Kriminal Tango 1: Das Totenhaus von Gremlington Village, Barbara Büchner (Buch)

Kriminal Tango 1
Das Totenhaus von Gremlington Village
Barbara Büchner
Hrsg.: Alisha Bionda
Titelbild und Innenillustrationen: Shikomo
Arunya, 2016, eBook, 2,99 EUR

Rezension von Elmar Huber

„An zuverlässigen Fakten gab es nur einige wenige: Ein Dutzend Fotos, die die sechs wie ein Berg Hackfleisch zu Hauf liegenden Mordopfer zeigten, und einen Bericht des - viel zu spät verständigten - Polizeiarztes, demzufolge alle vor etwa einer Woche und etwa zur selben Zeit mit zahllosen wuchtigen Axthieben erschlagen worden waren - selbst das erst zweijährige Kind. Gefunden hatte man sie in der Milchkammer zwischen Stall und Küche, auf dem Boden nebeneinander und übereinander liegend, mit Stroh bedeckt, die Köpfe in Tücher gewickelt.“

Inspector Stephen Bedloe wird von einem Vorgesetzten aus London in den Norden Englands abkommandiert, wo nun, nach Ende des Ersten Weltkriegs, Räuberbanden die Gegend unsicher machen und die örtlichen Polizeikräfte nicht mehr Herren der Lage werden.

Auf dem Bauernhof Woody-End waren alle Bewohner, der Altbauer, dessen zweite Frau, die Jungbäuerin Genoveva, ihre zwei Kinder sowie eine Magd, brutal mit einer Axt zerstückelt worden. Die Rawlings waren als geizige und rohe Leute bekannt, sodass es niemanden wundert, dass die Leichen erst eine ganze Woche nach der Tat entdeckt wurden. Merkwürdig ist jedoch, dass sich in der ganzen Zeit offenbar jemand um den Wachhund, der keinen Alarm geschlagen hat, und das Vieh gekümmert haben muss. Ein simpler Raubmord kann bald ausgeschlossen werden, und die Aufzeichnungen des örtlichen Constables beinhalten noch weitere Ungereimtheiten.

„Ein ranziger Geruch hing in der Luft, gemischt mit den Ausdünstungen des nebenan liegenden Stalles. Gewiss, bei so wenig Personal konnte man keinen blitzblanken Haushalt erwarten, aber es war nicht allein die Unreinlichkeit, die Bedloe zutiefst zuwider war. In dem Haus hatte sich etwas eingenistet, das es schon lange vor der schrecklichen Mordtat zu einem üblen Ort gemacht hatte. Er spürte, welche bösartige Spannung zwischen den in Streit, Neid und Habgier verstrickten Bewohnern geherrscht hatte.“


Dass sich Barbara Bücher von dem wahren Fall „Hinterkaifeck“ zu ihrer Novelle ‚inspirieren‘ ließ, scheint anhand der zahlreichen Parallelen deutlich untertrieben, doch schmälert dies in keiner Weise das Lesevergnügen. Wie es bei unaufgeklärten Verbrechen eher die Regel ist, birgt der Fall von 1922 auch heute noch genügend Mystery-Potential, das Barbara Büchner mustergültig zu nutzen weiß. Für die anhaltende Aktualität des Falls sprechen auch Andrea Maria Schenkels Roman „Tannöd“ von 2006 inklusive der gleichnamigen Verfilmung von 2009, sowie der Film „Hinterkaifeck“ aus demselben Jahr.

Um keinen nackten Polizeibericht abzuliefern, hat Barbara Büchner den Fall nach England versetzt und dem fiktiven Ermittler Stephen Bedloe übertragen, der nach Auswertung aller Beweise, Aussagen und Indizien eine Lösung präsentiert, wie die Mordnacht und die folgenden Tage abgelaufen sein könnten.

Die angenehme Kürze der Büchnerschen Novelle trägt außerdem dazu bei, eine dichte und unruhige Intensität zu erzeugen, die von der Unerklärbarkeit einzelner Indizien noch befeuert wird. So soll zum Beispiel der Inzest zwischen Vater und Tochter einvernehmlich und keinesfalls nur einmalig gewesen sein. Für mysteriöse Spannung sorgt auch die Vorstellung, dass sich jemand zusammen mit sechs Leichen über Tage allein auf dem Bauernhof aufgehalten haben soll und einem geregelten Tagwerk nachging. Wie eine mysteriöse Glocke schwebt über allem noch die Tatsache, dass niemand genau weiß, was auf dem abgelegenen Hof der einsiedlerischen Rawlings so vor sich ging.

Mit dieser knackige Prosa-Bearbeitung des Falls „Hinterkaifeck“ spielt Barbara Büchner einmal mehr ihre Stärke aus, in kurzer Zeit eine spannungsgeladene Atmosphäre aufzubauen.