Simon Stålenhag: The Electric State (Buch)

Simon Stålenhag
The Electric State
(Passagen, 2017)
Übersetzung: Stefan Pluschkat
Tor, 2019, Hardcover, 142 Seiten, 34,00 EUR, ISBN 978-3-596-70379-1

Rezension von Gunther Barnewald

Sogenannte Post-Doomsday-Romane sind klassische Sujets in der Science Fiction (siehe auch die Liste mit subjektiven Literaturempfehlungen am Ende der Besprechung).

Während in vielen Büchern der Weltuntergang (meist im Sinne von Untergang der modernen Zivilisation) beschrieben wird (Doomsday), bestechen Post-Doomsday-Geschichten durch die Beschreibung der Zeit nach dem Zusammenbruch und dem Fortschreiten menschlicher Zivilisation unter erschwerten Bedingungen.

Einige Bücher beschreiben auch beide Situationen (so wie der vorliegende Text).

Das Besondere am diesem Werk sind Dutzende von grandiosen Bildern, die der Autor für seine Geschichte gemalt hat. Nur in einer Hinsicht dürften vielleicht die nicht so kunstbeflissenen Leser enttäuscht werden: Denn der versprochene Roman entpuppt sich als Kurzgeschichte oder maximal Novelle von ca. 40-50 Buchseiten Länge, nicht mehr. Zudem ist die vorliegende Geschichte, obwohl extrem atmosphärisch dicht geschildert, schwer zu rezipieren, wird sie doch nicht in chronologischer Reihenfolge erzählt.

Erst am Ende versteht der Leser so richtig, worum es ging; und der Klappentext verrät leider viel zu viel im vorliegenden Fall.

Und reichen die zarten Andeutungen einer Jesus-Geschichte wirklich aus, um den ganzen Plot zu begreifen in der Geschichte selbst? Sehr dezent spricht der Autor dies nur einmal kurz an, aber Michelles Bruder ist... (na ja, ich will hier nicht noch mehr spoilern; nur für die Leser, denen der Plot entgangen ist, vielleicht doch nochmal nachlesen wer der „Vater“ des Jungen ist!).

Insgesamt ist das vorliegende Buch jedoch ein Gesamtkunstwerk aus unglaublich tollen Bildern und einer erschütternden Erzählung, die den Leser trotz ihrer Kryptik in den Bann zu schlagen vermag.

Rätselhaft, dass die Handlung 1997 abgelaufen sein soll (die Originalausgabe wurde im Jahr 2017 in Schweden veröffentlicht), wie der Autor vorgibt, befremdlich die hiesige Technik einer vermeintlichen Parallelwelt mit ihren an riesige VR-Brillen erinnernden Helmen.

Absolutes Highlight sind jedoch die frappierenden und in wunderbares Licht getauchten Bilder des Autors, die der zerfallenden Zivilisation dieser Alternativwelt ein schaurig-schönes Image geben. Wer Philip E. Highs großen Klassiker „Reality Forbidden“ (dt. als „Verbotene Wirklichkeit“, siehe unten) mochte, dem wird auch diese Welt zusagen.

Alleine für die tollen Bilder lohnt sich die teuere Anschaffung dieses Bandes, der ein interessantes Gesamtkunstwerk darstellt.

Auch wenn das Ende offen bleibt, dürften alle Fans morbider Welten begeistert sein von diesem Werk und seiner Ausdrucksstärke.

Nur wer gerne länger am Text verweilt, der dürfte enttäuscht sein, denn mehr als ein, zwei Stunden Lese-Vergnügen sind leider nicht drin bei diesem „Roman“.


Eine Liste von 30 (aus Sicht des Rezensenten) empfehlenswerten Post-Doomsday-Romanen in alphabetischer Reihenfolge:

01) James Graham Ballard: „Welt in Flammen“ (auch: „Die Dürre“)
02) James Graham Ballard: „Karneval der Alligatoren“
03) James Graham Ballard: „Kristallwelt“
(alle zusammen auch in: James Graham Ballard: „Zeit endet“)
04) Algis Budrys: „Einige werden überleben“
05) Jeff Carlson: „Nano“
06) Jeff Carlson: „Plasma”
(der letzte Band der Trilogie unter dem Titel „Infekt“ ist so grottenschlecht, dass er leider hier nicht empfohlen werden kann!)
07) David Chippers: „Zeit der Wanderungen“
08) John Christopher: „Das Tal des Lebens“
09) John Christopher: „Leere Welt“
10) Michael G. Coney: „Eiskinder“
11) Arnold Federbush: „Eis“
12) Dmitry Glukhovsky: „Metro 2033“
13) Philip E. High: „Verbotene Wirklichkeit“
14) Sterling E. Lanier: „Hieros Reise“
15) Sterling E. Lanier: „Der unvergessene Hiero“
16) Emily St. John Mandel: „Das Licht der letzten Tage“
17) Richard Matheson: „Ich bin Legende“
18) Cormac McCarthy: „Die Straße“
19) Jack McDevitt: „Die ewige Straße“
20) Harold Mead: „Marys Land“
21) Walter M. Miller: „Lobgesang aus Leibowitz“
22) Sterling Noel: „Die fünfte Eiszeit“
23) Friedrich Scholz: „Nach dem Ende“
24) Arthur Sellings: „Schrottwelt“
25) Robert Silverberg: „Die Stadt unter dem Eis“
26) George R. Stewart: „Leben ohne Ende“
27) Hans Wörner: „Wir fanden Menschen“
28) John Wyndham: „Die Triffids“
29) Georg Zauner: „Die Enkel der Raketenbauer“
30) Georg Zauner: „Der verbotene Kontinent“
 
Auch wenn die Auswahl subjektiv ist und der eine oder andere Klassiker (Ward Moore, Carl Amery etc.) hier fehlt, da er dem Rezensenten unzugänglich erschien, dürfte diese Auswahl durchaus die meisten der großen Klassiker des Post-Doomsday-Genres (allerdings nicht der Doomsday-Romane, die hier ausgelassen wurden) enthalten (natürlich nicht alle, es gibt noch einige mehr: Zelazny, Dick, McIntosh, Yancey usw.!).

Ein besonderer Hinweis an dieser Stelle noch auf Mordecai Roshwalds beeindruckenden Klassiker „Das Ultimatum“, der allerdings komplett in einem Bunker spielt, deshalb sicherlich deutlich abweicht von den Werken oben, aber auch zu den empfehlenswerten Büchern gehört (ähnlich wie der leider vollständig unverfilmbare Roman „Dunkles Universum“ von Daniel F. Galouye, der eine Menschheit beschreibt, die sich nach einer Katastrophe in lichtlose unterirdische Höhlen geflüchtet hat und deren Mitglieder sich nach mehreren Generationen wie Fledermäuse orientieren können und so an die dortigen Bedingungen angepasst haben). In beiden Büchern entfällt jedoch die Erkundung der zerstörten Welt, die den anderen Romanen oft ihren besonders morbid-romantischen Charme verleiht.