Gudrun Lerchbaum: Wo Rauch ist (Buch)

Gudrun Lerchbaum
Wo Rauch ist
Argument, 2018, Taschenbuch, 286 Seiten, 13,00 EUR, ISBN 978-3-86754-233-3 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Irene Salzmann

Olgas Ex-Mann Can, ein Journalist, ist gestorben. Seine Familie lehnt es noch am Grab ab, mit ihr gemeinsam zu trauern. Trost spenden ihr der Trauerredner Adrian und die vor Kurzem aus der Haft entlassene Mörderin Kiki, die schon bald darauf bei Olga, die an MS leidet, einzieht, um ihr bei den alltäglichen Dingen und im Buchladen zur Hand zu gehen.

Can fehlt Olga sehr, und sie kann einfach nicht glauben, dass er ‚einfach so‘ gestorben ist. Immer mehr gelangt sie zu der Überzeugung, dass die Story, an der er dran war, bestimmte Kreise - den türkischen Geheimdienst MIT oder/und die Nazis - aufgescheucht haben muss und man ihn umgebracht hat, bevor er mit seinen Recherchen an die Öffentlichkeit gehen konnte.

Um die Wahrheit zu erfahren, spannt Olga ihre beiden neuen Freunde ein, Nachforschungen anzustellen. Tatsächlich gelingt es Kiki, von Mehmet, einem guten Freund von Can, dessen Laptop ausgehändigt zu bekommen. Sie kann einige Ordner durchsehen, doch dann wird ihr das Gerät von einem Jugendlichen gestohlen. In Olgas Wohnung fordert ein Mann türkischer Abstammung die Herausgabe des Laptops und droht, die Anwesenden zu töten, wenn sie den Computer nicht herausrücken.

Gemeinsam gelingt es Olga, Kiki und Adrian, den Eindringling zu überwältigen. Nun haben sie eine Leiche am Hals, die entsorgt werden muss. Kurz darauf klingeln auch schon zwei Polizeibeamte.


Gudrun Lerchbaum thematisiert in dem Krimi „Wo Rauch ist“, wie sich die Folgen der Politik der letzten Jahre in Wien manifestieren und immer wieder zuspitzen. Extremistische Kräfte aus beiden Lagern reiben sich aneinander, und der türkische, rechtsgerichtete Geheimdienst mischt außerdem kräftig mit. Die Opfer sind, wie üblich, Zivilisten: Außenstehende, die in etwas hineingezogen werden, über das sie nichts wissen wie Adrian und Kiki, und gut integrierte Türken, die das gegenwärtige System in ihrer alten beziehungsweise der Heimat ihrer Eltern fürchten und von dessen Agenten überwacht werden wie Mehmet und Teile von Cans Familie.

Olga glaubt, dass sie nicht mehr viel zu verlieren hat, wenngleich sie noch lange nicht sterben möchte. Infolgedessen zögert sie nicht, sich auf die Suche nach der Wahrheit um Cans Tod zu begeben. Die psychisch angeschlagene Kiki bewundert Olga dafür, dass sie sich mit der schrecklichen Krankheit arrangiert hat und weitermacht. Auch ist sie dankbar für die Chance, die ihr durch den Job und den Einzug in Olgas Wohnung gewährt wird, und sie möchte die neue Freundin nicht enttäuschen. Adrian ist derjenige, der mit beiden Füßen fest auf dem Boden steht und sich zu seinen Ängsten bekennt, da er ahnt, dass sie sich auf etwas einlassen, was mehrere Nummern zu groß für sie ist. Dennoch ist er stets zur Stelle, wenn er gebraucht wird, und tut sein Möglichstes.

Das Trio agiert weitgehend auf sich gestellt. Genauso wie Olga Cans Spuren zu folgen vermag, können dies aber auch andere, und so geraten die Hobby-Detektive sehr schnell in Lebensgefahr. Nachdem sie sich eines türkischen Agenten entledigen konnten, scheint die Polizei weniger denn je der geeignete Verbündete, nicht nur weil Olga als linke Aktivistin und Kiki als Ex-Knacki entsprechende Erfahrungen sammeln konnten, sondern auch weil denkbar ist, dass die Behörde von den Nazis unterwandert wurde.

Bei diesem Punkt bedient sich die Autorin leider der bekannten Gut-Böse-Klischees, die nicht die ganze Wirklichkeit repräsentieren: Türken wie Can und Mehmet sind bestens integriert, sprechen perfekt Deutsch, haben ein abgeschlossenes Studium und gehen einem Beruf nach. Die Heimat ihrer Eltern und die Gebräuche dort sind ihnen fremd, und sie sind keine praktizierenden Moslems. Weil man sie als Abweichler und Verräter an den Traditionen erachtet, leben sie in ständiger Angst von den Spionen aus der Türkei und den Reaktionären innerhalb der türkischen Community. Dem gegenüber stehen ausländerfeindliche, pöbelnde Nazis, die sich nur an den Schwachen vergreifen und sich feige verziehen, sobald sie auf Widerstand treffen.

Nachdem das abgehandelt wurde, stellt sich letztendlich heraus, dass nicht alle von Olgas Vermutungen zutreffen. Zu Cans Tod führten ganz andere Gründe, die ihre Wurzeln in einer reaktionär-orientalischen Kultur haben und regelmäßig für Schlagzeilen in der Presse sorgen, da sie im Widerspruch zum westlichen Wertekanon stehen. Wodurch das Bild der ‚pauschal gut‘ integrierten Mitbürger wenigstens ein bisschen realistisch zurechtgerückt und ‚entschönt‘ wird.

Auf jeden Fall sympathisiert man mit den drei Hauptfiguren. Der konservative Leser findet sich in Adrian wieder, die desillusionierte Kämpferin in Olga, die zerrissene, sich selbst suchende Person in Kiki. Man bringt Verständnis für die jeweiligen Lebensbilder auf, weil die Erklärungen nachvollziehbar sind, selbst für die Tötung des MIT-Agenten, denn hier ging es um ‚wir oder er‘.

Skeptischer sieht man hingegen die Gewaltbereitschaft - Sachbeschädigung - im Bagatellfall. Olga zerkratzt einen ‚Bonzenschlitten‘ mit dem Rollstuhl, weil er ihren Weg einengt. Dabei wird kein Gedanke an den Besitzer verschwendet, der vielleicht lange und hart gearbeitet, auf Urlaub und sonstige Ausgaben verzichtet hat, um sich nach Jahren des Sparens den Traum von diesem Wagen, in dem die ganze fünfköpfige Familie Platz hat, endlich zu erfüllen. Man soll doch nicht pauschalieren?! Man soll nicht neidisch sein, wenn Migranten mit H4-Empfängern gleichgestellt werden?! Man soll nicht neidisch sein, wenn Migranten bei der Vergabe von Wohnungen/beim Wohnungsbau  bevorzugt werden (siehe Boris Palmer)?! In dem Sinne: Nicht jeder, der ein schönes Auto fährt, heißt Krösus. Und dann wird der Wagen aus niedrigen Beweggründen beschädigt, nicht aus Versehen, sondern aus Neid und mit Genuss, weil man es machen kann. Ja, eine Bagatelle, die womöglich über den finanziellen Spielraum der Familie hinausgeht, aber Gewalt ist Gewalt und verwerflich, egal von welcher Seite und aus welcher Motivation heraus.

Der Argument Verlag fiel immer positiv auf durch Bücher, die sich gegen Standard-Themen und Pauschalisierung stemmten, die mutig Probleme aufgriffen und sich kritisch gegen den Mainstream stellten. Im Moment beginnt man, das Aufbegehren und die objektive Auseinandersetzung mit unbequemen Motiven - trotz gut geschriebener, spannender Bücher - ein wenig zu vermissen.