Jeff Wheeler: Die Geisel - Königsfall 1 (Buch)

Jeff Wheeler
Die Geisel
Königsfall 1
(The Queen’s Poisoner, 2016)
Übersetzung: Johann Birken
Heyne, 2019, Paperback, 400 Seiten, 14,99 EUR, ISBN 978-3-453-32016-1 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Carsten Kuhr

Man kennt das zur Genüge: ein despotischer Herrscher nimmt die Kinder seiner wankelmütigen Gefolgsleute als Geisel, um die Fürsten auf Linie zu halten. So ergeht es auch dem achtjährigen Owen Kiskaddon, dessen Vater, seines Zeichens Herzog der Westmark, seinen König im Kampf im Stich gelassen hat. Sein Ältester wurde daher der Quelle übergeben, sprich gefesselt auf einem kleinen Boot einen Wasserfall hinunter gesandt. Unnötig zu erwähnen, dass der Junge den Fall nicht überlebte. Nun soll also der Jüngste der Kiskaddons, ein verschüchterter, lungenkranker Hänfling dem Fürsten als neue Geisel dienen.

Der despotische Herrscher, von dem gemunkelt wird, dass er um den Thron für sich zu sichern gar seine eigenen Neffen umgebracht habe, versammelt jeden Morgen zum Frühstück seine jungen adeligen Gäste, allesamt Geiseln, um diese als Vorkoster zu nutzen. Geheimer Zweck des gemeinsamen Frühstücks ist aber auch, die magische Gabe des Herrschers, die sich aus Beleidigungen und verbalen Verletzungen der Kinder stärkt, zu füllen.

Dass der zwar in sich gekehrte, aber geistig rege Junge so manche Unterstützer am Hof hat, erfährt er bald. Owen findet in der Küche Unterschlupf, die er als Refugium und Spielstätte nutzt. Hier begegnet ihm auch erstmals die gleichaltrige Elysabeth Victoria Mortimer, adelige Enkelin des engsten Beraters des Königs und ein nordischer Wildfang sondergleichen. Alles was an Owen ruhig und zurückhaltend ist, das besitzt die Achtjährige im Übermaß. Dass sie sich ihres Kameraden annimmt, mit ihm spielt, ihn auf andere Gedanken bringt und Abenteuer erlebt, schweißt die auf den ersten Blick so Ungleichen zusammen. Gemeinsam erkunden sie die Geheimnisse der Feste und versuchen sich der Heimsuchungen durch den intriganten Leiter der Espione zu erwehren.

Dass Owen zudem in der legendären, vermeintlich seit Jahren toten Giftmischerin der Königin eine geheime Unterstützerin findet, erweist sich als lebensrettend. Nicht nur, dass die selbst todkranke Kräutermischerin seine Lunge stabilisiert, sie unterrichtet ihn in ihrer Profession, weckt die Gabe der Quelle in Owen und kümmert sich darum, ihn vor den Anfeindungen der Herzöge und der drohenden Verurteilung der Familie wegen Hochverrats zu schützen - steht Owen doch eine große Zukunft bevor; so er denn überlebt.

 

Was ist das für ein Roman, einmal mehr der Auftakt einer Fantasy-Trilogie, den uns der Heyne Verlag hier an die Hand gibt?

Ein Jugendbuch mit fast noch kindlichen Protagonisten in einem archaischen Setting oder vielleicht doch eher ein historisch angehauchter Thriller mit magischen Einflüssen?

Man könnte auch meinen, es sei ein Coming-of-Age-Roman? Oder die Geschichte eines späteren Giftmischers und Leiters der Spionage eines Weltreiches vielleicht?

Nun, von all diesem ein bisschen, und doch wieder ein klein wenig mehr.

Zunächst erinnert die Ausgangslage in sehr groben Maße an Robin Hobbs gefeierte Saga um Fitz den Weitseher (Neuauflage gerade bei Penhaligon). Hier wie dort lernen wir einen jungen Menschen kennen, der an einen fremden, brutalen Hof kommt, sich dort, umringt von vielen die ihn misstrauisch und neidisch beäugen, die ihn triezen und auf ihm und seinen Gefühlen herumtrampeln, zunächst einfinden und behaupten muss. Dass er eine Zukunft haben könnte ist zunächst nicht ersichtlich, dass seine Rolle später eher im Hintergrund bleiben wird, kommt seinem Naturell entgegen.

Jeff Wheeler hat dies wunderbar stimmig dargestellt. Zunächst stellt er uns das Kind mit acht Jahren vor - ein Dreikäsehoch, der angesichts der dramatischen Entwurzelung durch die ungewollte Umsiedlung in eine andere, feindliche Umgebung traumatisiert ist. Furcht, panische Angst lähmt ihn, verständlich angesichts des Schicksals seines ältesten Bruders, so dass er sich immer mehr in sich zurückzieht. Der Versuch der Köchin und ihres Mannes, ihm in der Küche etwas Geborgenheit zu geben fruchtet langsam, zeigt uns nach wie vor ein Kind, das obzwar verängstigt spielen will und versucht sich anzupassen. Geistig ist der Kleine zwar weit, aber so richtig kann er die Machtspiele der Fürsten, die gegenseitigen Manipulationen und Abhängigkeiten nicht einschätzen. Erst mit und durch die Bekanntschaft mit der Giftmischerin wird seine Entwicklung hier in Gang gesetzt, lernt er das Intrigenspiel am Hof zu durchschauen und macht unter Anleitung erste eigene Versuche, andere zu Manipulieren. Mit Evie kommt dann ein weiterer kindlich-jugendlicher Faktor ins Bild, hier wird der Grundstein für die nächsten Bände gelegt.

Dass der Autor seine Handlung gar nicht so weit von der Realität entfernt angesiedelt hat, berichtet er uns im Nachwort. Als Vorbild standen Richard III. und dessen Hof Pate. Angereichert hat Wheeler dies dann sehr dezent mit selten auftretenden übersinnlichen Gaben, die sowohl der König, die Giftmischerin und der Junge besitzen. Hinzu kommen verschlagene, aufs eigene Wohl schielende Geheimdienstler - fertig ist das überschaubare Figurenkabinett.

Ich erwähnte vorhin bereits Robin Hobbs. Nun, bei allen Unterschieden konzentrieren sich beide Verfasser auf die Zeichnung eines jungen, verängstigten Menschen in einer fremden, unheimlichen und für ihn zunächst unbegreiflichen Umgebung. Die Nachstellungen der Älteren, der Brutaleren nimmt verklausuliert das Problem des Mobbings in den Roman auf, der Rückzug in die selbst gewählte Einsamkeit der Kinder ist dabei nachvollziehbar.

Owen wird aus dieser durch seine Lehrmeisterin und seine überschäumende Freundin gerissen. Diese Entwicklung, der Gegensatz zum anfänglich vor Angst starren Jungen hin zu einem Bub, der sich etwas (zu)traut ist sehr gut nachvollziehbar und auch in sich logisch dargestellt. Dabei kommt der Plot mit erstaunlich wenig - ja, fast keinen - Gewaltschilderungen aus, zieht seine Spannung aus den Geheimnissen, die nach und nach erkundet und teilweise aufgedeckt werden.

So ist dies ein sehr vielversprechender Beginn einer kleinen Reihe, die Heyne uns in sehr kurzem Abstand in den nächsten Monaten komplett präsentieren wird.