C. L. Polk: Witchmark - Die Spur der Toten (Buch)

C. L. Polk
Witchmark - Die Spur der Toten
(Witchmark, 2018)
Übersetzung: Michelle Gyo
Hobbit Presse, 2019, Paperback, 382 Seiten, 16,00 EUR, ISBN 978-3-608-96395-3 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Carsten Kuhr

Willkommen in Aeland, genauer gesagt in der Hauptstadt, Kingston. Hier leben die meisten Menschen, von hier aus wird das Empire regiert und die Geschicke der Welt geleitet.

Seit Jahren befindet sich die Nation in einem verlustreichen Krieg mit Laneer. Immer mehr Veteranen kehren versehrt und traumatisiert von der Front heim, nur um dort dann erst die Menschen in ihrer unmittelbaren Umgebung, dann sich selbst zu meucheln. Posttraumatische Verhaltensstörung, so nennen die Mediziner das Problem, hinter dem vielleicht weit mehr steckt, als die großen Schlagzeilen verkünden.

Die Unsichtbaren, eine elitäre Magiergruppe aus der Haut-Volee der adeligen Familien, kontrollieren Aelands Wetter. Hunderte von ihnen, Sturmsänger genannt, arbeiten zusammen, um die Stürme, die Aeland sonst verwüsten würden zu zähmen und für sichere, ertragreiche Ernten zu sorgen. Gebundene Sekundäre dienen den Sturmsängern als menschliche Batterien für ihre magischen Kräfte - ob sie wollen, oder nicht. Begabte aus den unteren Schichten werden als Hexer gebrandmarkt und in Sanatorien verschleppt.

Aus dieser Welt stamme ich. Einst als Sir Christopher bekannt, war ich der älteste Sohn des Lordkanzlers. Als Enttäuschung meines Vaters, lag und liegt mein Talent doch nicht bei der Wettermagie sondern im Heilen, sollte ich meiner Schwester als Sekundär dienen. Um diesem Schicksal zu entgehen floh ich unter fremden Namen an die Front. Hier, inmitten von Matsch, Elend und Blut versuchte ich als Arzt meine Kameraden vor dem Tod zu bewahren.

Mittlerweile bin ich zurückgekehrt und diene als Dr. Miles Singer im Beauregard Veteranenhospital. Meine übernatürlichen Kräfte darf ich nicht einsetzen, sonst droht mir die Verschleppung - oder schlimmer noch: die Versklavung als Sekundär.

Eines Tages hält eine Kutsche vor der Klinik - an Bord, ein vergifteter, sterbender Journalist und Hexer sowie ein Angehöriger des legendären, lang verschollenen Volks der Amaranthine.

Zusammen machen wir uns daran, den Grund für den Mord und die Amokläufe der Veteranen zu suchen.


Lassen sie mich, bevor ich mich dem Inhalt zuwende, kurz etwas zum Cover ausführen. Auf den ersten Blich wirkt das Titelbild fast ein wenig langweilig. Sicher, der Verlag hat dem Titel einen Prägedruck gegönnt, doch wirklich aufsehenerregend ist das Motiv nicht gewählt. Man sieht einen britischen Gentleman mit Bowler auf einem Fahrrad. Im Mondlicht spiegeln sich auf dem Kopfsteinpflaster nicht etwa das Rad und der Mann, sondern ein Gentleman mit Zylinder und eine Dame - Dr Singer und dessen Schwester? Dieses Bild fasst die Rätsel wie die Atmosphäre des Buchs wunderbar zusammen und passt daher, bei aller Unaufgeregtheit, wunderbar zum Inhalt.

C. L. Polk hat einen beeindruckenden Erstlingsroman vorgelegt. In der Welt, die unschwer als ein magisches England zur Zeit des Ersten Weltkriegs erkennbar ist, mischen sich zarte Steampunk-Anspielungen mit jeder Menge Rätsel, Verbrechen, einer eigenen Magie und Schicksalen.

Ohne zu sehr auszuufern bietet die Autorin ihren Lesern peu a peu gerade die nötigen Informationen an, um die Geschehnisse einordnen zu können, zeichnet Schicksale - gerade die psychotischen Veteranen sind hier exemplarisch zu nennen - die uns bewegen und mixt dies mit Morden, Intrigen, Verbrechen und etwas Gesellschaftskritik.

Hier geht es ihr um die gedankenlose Art und Weise, wie die gehobenen Schichten ihre Vormachtstellung ausnutzen, sie festzementieren und einen Aufstieg de facto unmöglich machen. Und es geht ihr darum, auf wunderbar nebensächliche Art und Weise, eine Lanze für die Akzeptanz von gleichgeschlechtlichen Beziehungen zu brechen. Ebenso wie wir die Hintergründe des Krieges, die Erlebnisse von Miles an der Front erst nach und nach erfahren, wird auch dessen Homosexualität erst spät und auf eine Art in die Handlung integriert, die eine Selbstverständlichkeit ausstrahlt, die selten ist. 

Natürlich geht es Polk in erster Linie um persönliche Freiheit. Gerade Miles, der zwar in einer bevorzugten Familie aufwuchs, dann aber, als er die Erwartungen dieser nicht erfüllen konnte, floh, dient hier als idealer Erzähler.

Freiheit und Selbstbestimmung sind die zwei großen Themen des Buchs, kann unser Erzähler seiner Fähigkeiten als Heiler doch, aus Angst verraten und interniert zu werden, nicht zum Wohl seiner Patienten einsetzen. Dazu kommt, dass Miles selbst ein gewisses Pflichtgefühl gegenüber der Gesellschaft umtreibt. Muss sein persönliches Glück nicht zum Vorteil des Volkes zurückstecken? Eine Frage, die ihn und damit den Leser beschäftigen.

Natürlich nutzt die Autorin so manche Klischees und Vorgaben, beim Mixen ihres Cocktails. Die erst nach und nach zu Tage tretenden Fähigkeiten von Miles, das verschollene, Elfen-ähnliche Volk, der zynische, auf Machterhalt schielende despotische Vater sind bekannte Topics, doch die Mischung selbst stimmt und die ruhige Art, ihre Geschichte zu erzählen fasziniert den Leser.

Dies ist ein beeindruckendes Debüt, das uns eine faszinierende Welt vorstellt, eine packende Geschichte erzählt und dies alles, ohne große Gewaltschilderungen - bitte mehr davon!