William Lindsay Gresham: Nightmare Alley (Buch)

William Lindsay Gresham
Nightmare Alley
(Nightmare Alley, 1946)
Übersetzung: Christian Veit Eschenfelder & Anja Heidböhmer
Festa, 2019, Hardcover, 510 Seiten, 22,99 EUR, ISBN 978-3-86552-713-4 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Carsten Kuhr

Stan Carlisle hat einen Traum - nein, eigentlich sind es zwei Träume. In einem, dem Alptraum, rennt er durch eine dunkle Gasse auf ein fernes Licht zu und wird von etwas Bösem, etwas Dunklem verfolgt. Der zweite Traum ist weit profaner und lange nicht so beunruhigend: Er träumt davon, eines Tages als Magier auf den großen Bühnen der Welt aufzutreten.

In jungen Jahren schließt er sich einer umherreisenden Menagerie an. Hier, inmitten von absonderlichen Menschen, lernt er die Grundlagen des Show-Geschäfts kennen, und wird in die Geheimnisse der Schausteller eingeweiht. Er verliert seine Unschuld an eine alternde Diva, die einst zusammen mit ihrem trunksüchtigen Partner als Gedankenleser-Duo für Furore gesorgt hat. Jetzt lehrt sie dem jungen Stan nicht nur, wie man eine Frau im Bett glücklich macht, sondern auch, wie man das Publikum mit Tricks wahr macht, Gedanken lesen zu können.

Fasziniert lernt der Junge die Codes, mit denen das Wissen zwischen der Bühne und dem Helfer ausgetauscht werden und übt, aus der Körpersprache und der Mimik seines Gegenübers zutreffende Wahrsagungen abzuleiten.

Kurz darauf macht er sich zusammen mit Molly, einer hübschen, unbedarften Schaustellerin selbstständig, trifft auf Honoratioren, Betrüger und Politiker und startet seine große Karriere als Wahrsager - und gefeierter Star, der seinem Publikum das gibt, was sie sich erträumen.


Was ist das für ein Roman, der 1947 mit Tyrone Power in der Hauptrolle verfilmt wurde?

Zunächst weckt das tolle Cover das Interesse des Käufers. Schon bald aber lässt einen der Inhalt nicht mehr los.

Es ist ein Sittengemälde der USA Anfang des 20. Jahrhunderts. Es geht um Rassismus, um wirtschaftliche wie psychische Depression, viel um unterschwellig einfließenden Sex und natürlich um die Träume und Heimsuchungen eines Mannes, dessen Aufstieg zu Ruhm und Ehre als Betrüger und Hochstapler wir begleiten.

Im Verlauf der Handlung, die man getrost im Bereich des Noir-Romans einordnen kann, lernen wir nicht nur Vieles über die Tricks der Wahrsager und Schausteller, der Autor versorgt uns auch mit markanten, im Gedächtnis bleibenden Bildern des Lebens der unterschiedlichen Schichten und Gegenden der USA zu der Zeit der Handlung. Dabei beleuchtet der Autor auch die Niederungen der menschlichen Existenz, zeigt uns die Verzweiflung, die innere Einsamkeit und die Psychosen seiner Figuren geradezu exemplarisch auf.

Weiter aufgefallen ist mir, dass sich der Autor ebenso wie die sehr guten Übersetzer darum bemühen, die unterschiedlichen Arten, wie die Menschen sich ausdrücken - ausgehend von ihrer Herkunft und der jeweiligen sozialen Stellung - differenziert im Buch umzusetzen. Der Sheriff einer Südstaaten-Kleinstadt redet ganz anders, als die eine vornehme Dame aus New York. Hier, wie in den unzähligen Details aus der Zeit, die der Autor in seinen Text hat mit einfließen lassen, bekommen wir einen sehr detailreichen Einblick in das Leben und das Denken zur Zeit der Handlung.

Auch wenn mir die Person des Stan fern blieb, ich selten - wenn überhaupt - mit dem Protagonisten warm wurde, überzeugte mich der Roman durch seine sehr gelungene Darstellung des Lebens und Denkens einer lange vergangenen Epoche.