Aldous Huxley: Schöne neue Welt (Hörbuch)

Aldous Huxley
Schöne neue Welt
(Brave New World, 1932)
Übersetzung: Uda Strätling
Sprecher: Matthias Brandt
der Hörverlag, 2013, 6 CDs, ca. 482 Minuten, 19,99 EUR, ISBN 978-3-8445-1243-4

Rezension von Irene Salzmann

Der wohl bekannteste Roman von Aldous Huxley (1894-1963) ist zweifellos die Dystopie „Schöne neue Welt“ aus dem Jahr 1932, die wie zum Beispiel George Orwells „1984“ (1948) und Ray Bradburys „Fahrenheit 451“ (1953) eine Zukunft schildert, in der die Menschen der totalen Kontrolle durch ein autoritäres Regime ausgeliefert sind und, von einzelnen Ausnahmen einmal abgesehen, der Propaganda Glauben schenken, dass die Regierung nur das Beste für sie will, so dass sie Abweichler und Andersdenkende denunzieren, die dann von den Exekutiven gejagt, isoliert, gehirngewaschen und Schlimmeres werden.

 

Im Weltstaat des Jahres 2540 gibt es praktisch keine natürlichen Geburten mehr. Die austauschbaren Mehrlings-Kinder werden in Retorten gezüchtet und konditioniert für ein Kastenwesen (von Alpha Plus, die Führungspositionen einnehmen, bis Epsilon Minus, die niederste Tätigkeiten verrichten), in dem jeder später eine bestimmte Aufgabe erhält, die seiner Kategorie und somit seiner Fähigkeiten entspricht.

Arbeit und Freizeit sind strikt geregelt, und die Mußestunden werden mit Fühl- und Geruchsfilmen, freiem Sex (zu dem bereits Kinder angehalten werden), Reisen, Konsum und Ähnlichem verbracht. Wer sich unzufrieden oder überlastet fühlt, betäubt sich mit Soma, einer Droge, die allen regelmäßig verabreicht wird. Die Krankheiten sind besiegt, Angst vor Alter und Tod sind unbekannt, denn wer stirbt, wird zur Ressource.

Vereinzelt existieren Reservate, in denen Menschen wie in früheren Zeiten leben: Sie heiraten, gebären Kinder, arbeiten für ihr Überleben, glauben an Götter und geben ihre bewahrten Rituale und Kenntnisse an die Nachkommen weiter. Sie stellen eine Attraktion für die gelegentlichen Besucher dar, die erstaunt, entsetzt und angeekelt reagieren angesichts des Elends in den heruntergekommenen Dörfern, an denen der Fortschritt vorbeiging, in denen es schmutzig ist, die Bewohner alt und krank werden.

Desweiteren kennt man abgeschottete Inseln, auf die Personen verbannt werden, die das System hinterfragen, selbständig denken und deshalb eine Gefahr für die „schöne neue Welt“ darstellen, in der Obrigkeitshörigkeit für die angestrebte Ordnung und Harmonie sorgt. Nach der Vorstellung der Weltregierung ist Stabilität der Garant von Frieden und Freiheit; Individualität, Rückbesinnung und Veränderung sind unerwünscht.

Vor diesem Hintergrund bringt der Alpha Bernard Marx den ‚Wilden‘ John Savage in die sogenannte Zivilisation, denn der junge Mann ist der Sohn seines Vorgesetzten und dessen damals im Reservat verschollenen Begleiterin - das Kind einer natürlichen Geburt, die es nicht hätte geben dürfen.

John betrachtet die ihm fremde Welt, nach der sich seine Mutter immer gesehnt hatte, mit den Augen eines unschuldigen Kindes und ist zunächst überaus fasziniert von den vielen erstaunlichen Dingen und der Freundlichkeit, die ihm entgegengebracht wird, insbesondere deshalb, weil er im Dorf stets ein gemobbter Außenseiter war.

Je länger er dort weilt und wie ein Zirkustier vorgeführt wird, umso mehr durchschaut er das die Menschen diskriminierende und unterdrückende System. Seine Liebe zu Lenina Crowne bleibt unerfüllt, denn obschon sie einander begehren, weist er sie zurück, weil sie durch den Wunsch nach Sex, ohne mit ihm eine feste Beziehung einzugehen, ihre anbetungswürdige Reinheit in seinen Augen verloren hat. Die sich anbahnende persönliche Katastrophe ist nun nicht mehr aufzuhalten.


Der Roman schildert eine Gesellschaft, die sich ganz der Technologie verschrieben hat, ausgehend von der Industrialisierung des späten 19. Jahrhunderts, insbesondere seit der Einführung des Fließbands durch Henry Ford (Model T, 1801 = „Jahr 1 nach Ford.“), dessen Name immer wieder bei ehrenden Titeln, Flüchen und so weiter fällt. Allerdings geht es dem System längst nicht mehr um eine natürliche Weiterentwicklung zum Wohle aller, denn es wurde ein gewisser Standard erreicht, der erhalten wird, um die Stabilität zu wahren.

Es gibt etliche Personen und auch Alphas in hohen Ämtern mit diversen Privilegien, die ahnen und sogar wissen, was gespielt wird und zu welchem Zweck, die sich aber dennoch fügen (oder auf eine Insel abgeschoben werden), weil sie zu wenige sind und in diesem System, das keine Unruhen und Kriege mehr kennt, das kleinere Übel sehen als in einem Aufstand wissender und somit unzufriedener Massen. Was man sich Stück für Stück zusammenreimt, wird am Ende von Mustapha Mond bestätigt und noch weiter ausgeführt.

Es finden sich zahlreiche Anspielungen auf diverse Konzerne und Entwicklungen aus Aldous Huxleys Zeit, und auch den Werken Shakespeares kommt eine Schlüsselrolle zu.

Beschrieben wird ein Aufeinanderprallen einander diametral gegenüberstehenden Lebenswelten, verkörpert durch den ‚Wilden‘ John Savage auf der einen und seinen neuen Freunden aus einer scheinbar perfekten Welt auf der anderen Seite, in der sich das anfangs Primitive, eigentlich Konservative, trotz seiner Schattenseiten als wertvoll-traditionell und schöngeistig erweist, während der auf einer machterhaltenden Ideologie basierende Fortschritt, der alles Alte verdammt/verbietet (zum Beispiel Shakespeares Bücher) und den endlosen Konsum fördert, als seelenlos und menschenverachtend entlarvt wird.

Der Vortrag von Schauspieler Matthias Brandt, dem jüngsten Sohn des früheren Bundeskanzlers Willy Brandt, ist intensiv und überzeugend. Es läuft dem Zuhörer kalt den Rücken hinab, angesichts der Beschreibungen, die ihre Parallelen in der Realität finden.

„Schöne neue Welt“ ist aktueller denn je angesichts der gegenwärtigen weltweiten Entwicklungen und eine mahnende Lektüre, die nicht nur SF-Lesern bekannt sein sollte.