Thomas Le Blanc (Hrsg.): Auf phantastischen Pfaden - Eine Anthologie mit den Figuren Karl Mays (Buch)

Thomas Le Blanc (Hrsg.)
Auf phantastischen Pfaden - Eine Anthologie mit den Figuren Karl Mays
Titelbild: Elif Siebenpfeiffer
Karl-May-Verlag, 2016, Paperback. 224 Seiten, 14,99 EUR, ISBN 978-3-95627-514-2 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Armin Möhle

Die Anthologie mit dem wenig prägnanten Titel „Auf phantastischen Pfaden“ begleitet den Start der Reihe „Karl Mays Magischer Orient“ aus dem Karl-May-Verlag, in denen der Autor Alexander Röder die Orient-Abenteuer um Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar fortsetzt - mit phantastischen Elementen (Fantasy und Horror), versteht sich. Drei Romane sind bereits verfügbar, der vierte soll demnächst erscheinen.

Zugegeben, dass die Karl-May-Bücher auch zur Jugendlektüre des Rezensenten gehörten. Nicht nur die Abenteuer im Wilden Westen und im Orient, sondern auch seine Romane, die in Südamerika, in Europa und in Deutschland angesiedelt sind, ebenso seine Spätwerke - wohl fast alles, was seinerzeit in den „Gesammelten Werken“ des Karl-May-Verlags erschienen war. Bei einer heutigen Lektüre würde man die Werke selbstverständlich aus einer völlig anderen Perspektive betrachten und erleben. Das Lese-Erlebnis und -Vergnügen wäre also nicht wiederholbar.

Und man muss auch einräumen, dass zunächst skeptisch vorherrschte: Karl May und Phantastik - kann das überhaupt miteinander funktionieren…?! Zwei verschiedene Genres scheinen dabei aufeinander zu treffen!

„Auf phantastischen Pfaden“ beruht auf der 4. Ausgabe der „Phantastischen Miniaturen“ der Phantastischen Bibliothek zum Thema Karl May, was man einigen Kurzgeschichten in der Anthologie auch anmerkt, die weder erweitert noch neu geschrieben wurden. Es wurden freilich nicht alle Texte aus den „Miniaturen“-Ausgaben in die vorliegende Anthologie übernommen. Nichtsdestotrotz enthält „Auf phantastischen Pfaden“ 23 Storys. Bei der einen oder anderen Kurzgeschichte stellt sich jedoch die Frage, weshalb sie in „Auf phantastischen Pfaden“ aufgenommen wurden. Man will aber gern einräumen, dass die Kenntnisse der Werke Karl Mays nach der mehrere Jahrzehnte zurückliegenden Lektüre möglicherweise lückenhaft geworden sind.


Im Gegensatz zu der „Karl Mays Magischer Orient“-Reihe spielen die Kurzgeschichten in „Auf phantastischen Pfaden“ etwa zur Hälfte im Wilden Westen. Aber beginnen wollen wir mit den Orient-Kurzgeschichten.

Maike Braun bringt in „Die Weisheit des Hadschi Halef Omar“ den Begleiter Kara Ben Nemsi in eine bedrohliche Situation und lässt ihn sich selbst daraus befreien (mit der für ihn typischen Spitzfindigkeit). Auf die Spur eines Phänomens führt Monika Niehaus die beiden Protagonisten in „Das Auge des Zyklopen“. Alexander Röder schickt Kara Ben Nemsi und Hadschi Halef Omar in „Die Zedern des Libanon“ auf die Verfolgung von Banditen, die mit einer Überraschung endet. Und in „Durch Wüste und Hades“ werden sie von Kai Riedemann sogar in die griechische Unterwelt geschickt, in der sie vor Überfällen und seltsamen Phänomen natürlich nicht sicher sind. Thomas Le Blanc stellt Kara Ben Nemsi in „Allein mit Qendressa“ vor eine Lebensentscheidung, mit der ihn Karl May nie konfrontiert hätte, nämlich vor die, sein Leben mit einer Frau zu verbringen oder eben alleine.

„Der Frevel des Waka-teh“ von Karl-Ulrich Burgdorf bedroht Winnetou und Old Shatterhand. Kai Focke und Holger Marks greifen in ihren Storys „Wetten unter Gentlemen“ und „Begegnung mit einem Scout“ nicht auf die beiden Blutsbrüder als Protagonisten zurück. In der ersten Kurzgeschichte versucht ein Trapper, seinen Auftraggeber zu übertölpeln, während die zweite eine Episode im US-amerikanischen Bürgerkrieg schildert, in der eine Gruppe von Unionssoldaten befreit wird. „Lehrmeister“ von Tanja Kinkel ist weit vor dem ersten Zusammentreffen von Winnetou und Old Shatterhand angesiedelt und zeigt auf, dass Old Shatterhand nicht der erste Weiße war, der bei den Apachen lebte. „Old Onehand“ von Anja Stürzer konfrontiert Old Shatterhand mit seiner Vergangenheit (als Bärenjäger).


Das sind die abenteuerlichsten und gelungensten Kurzgeschichten in der Anthologie. Das Wiedersehen, pardon, das Wiederlesen mit den bekannten Figuren ist schön. Den Autorinnen und Autoren gelingt es nicht nur, phantastische Elemente in die Welten Karl Mays einfließen zu lassen, sondern seine Protagonisten auch aus anderen Perspektiven zu zeigen. Sie vermögen sich auch dem Original-Stil Karl Mays anzupassen.


Die kürzeren Storys wie „Halef in Nöten“ von Jörg Weigand, „Windigo“ von Paul Felber, „Old Undeath“ von Rainer Schorm und „Das Geisterpferd“ von Karla Weigand weisen zwar auch reizvolle Ideen auf, konzentrieren sich jedoch auf ihre Pointen.

In diversen Storys wird auch Karl Mays Rolle als Autor thematisiert, der vorgab, die Reisen, von denen er in seinen Romanen berichtet, selbst erlebt zu haben. Das geschieht entspannt in „Das Vermächtnis des Kara“ von Jacqueline Montemurri, bemüht in „Unter der Teufelskanzel“ von Kai Riedemann und tragisch in „Reservat“ von Ansgar Schwarzkopf.


Auch wenn man „Auf phantastischen Pfaden“ mit einem gewissen Vergnügen gelesen hat, springt der Funke nicht über: Man fühlt sich nicht motiviert, etwa die alten Karl-May-Romane nochmals oder den Nachklapp von Alexander Röder zu lesen. Aber das schmälert die Leistungen der Autorinnen und Autoren der Anthologie selbstverständlich nicht.