Veronica Roth: Die Bestimmung - Die Gesamtausgabe (Hörbuch)

Veronica Roth
Die Bestimmung - Die Gesamtausgabe
(Divergent + Insurgent + Allegiant, 2012/2013)
Übersetzung: Petra Koob-Pawis
Sprecherin: Janin Stenzel
der Hörverlag, 2017, 3 mp3-CDs, ca. 36 1/2 Stunden, ca. 13,99 EUR, ISBN 978-3-8445-2559-5

Rezension von Irene Salzmann

Die Bewohner der Stadt (die später als Chicago identifiziert wird) leben seit dem letzten Krieg abgeschottet vom Rest der Welt, spekulieren, ob sie die einzigen Menschen sind und was sich außerhalb ihres Refugiums befinden mag, das sie nicht zu verlassen wagen. Ihre „Bestimmung“ ist es, sich mit 16 Jahren nach einem Eignungstest einer der fünf Fraktionen anzuschließen, welche bestimmte Eigenarten kultiviert haben, und alle diese Gruppen sind, so verschieden sie auch auftreten, notwendig, um die Bevölkerung am Leben zu erhalten: die Altruan (die Selbstlosen), die Amite (die Freundlichen), die Ferox (die Furchtlosen), die Kandor (die Freimütigen), die Ken (die Gelehrten).

Die Gruppenzugehörigkeit ist wichtiger als familiäre Bande. Es gibt aber auch die Fraktionslosen, die nirgendwohin passen, und jene, die die Anforderungen nicht erfüllen können. Sie alle werden von der Gesellschaft ausgestoßen und fristen, angewiesen auf Almosen, ein trauriges Dasein, falls sie nicht umgekommen sind.

Beatrice Prior, eine gebürtige Altruan, erfährt, dass ihr Ergebnis nicht eindeutig ist. Ihr wird geraten, niemandem davon zu erzählen und sich die Fraktion auszusuchen, die ihr am meisten zusagt. Das Resultat will die Frau, die den Test durchführte, manipulieren - einer ihrer Angehörigen wurde Opfer dieser Untersuchung, so dass sie weiß, was das Ergebnis bedeutet: Beatrice würde als Unbestimmte ausgestoßen und eher früher als später sterben.

Am bewussten Tag entscheidet sich Beatrice, die nicht in allen Belangen selbstlos sein kann und will, für die Ferox, während ihr wissensdurstiger Bruder Caleb die Ken wählt. Für den Vater der Kinder, ein überzeugter Altruan, bricht eine Welt zusammen, während die Mutter die Entwicklung klaglos hinnimmt, auch wenn es bedeutet, Tris und Caleb kaum oder gar nicht mehr zu sehen, weil sie Aufgaben haben, die sie von ihren Familien fern halten.

Lange zweifelt Tris, ob sie das Richtige getan hat, denn die Prüfungen der Ferox, ob man wirklich geeignet ist, Mitglied ihrer Fraktion zu sein, sind die härtesten von allen. Wer nicht in die Fraktion hineingeboren und geschult wurde, hat kaum eine Chance, das Training und die Tests zu überstehen und unter den ‚Top Ten‘ zu landen, die bleiben dürfen. Wer es nicht schafft, stirbt oder wird zu den Fraktionslosen entsorgt.

Obwohl sie klein und schwach ist, beeindruckt Tris ihren Ausbilder Four durch ihren Mut, so dass er ihr Tipps gibt uns immer ein bisschen seine fürsorgliche Hand über sie hält. Außerdem findet Tris Freunde, die versuchen, einander den Rücken freizuhalten, was dringend notwendig ist, denn in der Gruppe der Neulinge befinden sich auch einige skrupellose Rivalen, aber selbst den scheinbar besten Kameraden darf man nicht ganz vertrauen.

Nachdem Tris immer irgendwie bei gerade so durchkam, rückt sie plötzlich auf Rang 1 bei den Tests vor, weil sie die Simulationen steuern kann. Aufgrund dessen ist sie auch immun gegen das Serum, das die Ken den Ferox injizieren, um sie als willenlose Soldaten gegen die Altruan einzusetzen. Tris verliert ihre Mutter, kann jedoch ihren Vater, Caleb und Four sowie einige ihrer engste Freunde retten. Aber sie weiß nun um Dinge, die sie in Lebensgefahr bringen (Teil 1).


Obwohl Tris, Four und ihre Freunde viele Verluste erleiden mussten und noch Schlimmeres haben verhindern können, werden sie gejagt, weil sie zu viel wissen. Selbst wo man ihnen Zuflucht gewährt, können sie nicht lange bleiben, da die Sicherheit der eigenen Fraktion Vorrang genießt.

Letztendlich sind es die Fraktionslosen, welche die Flüchtlinge aufnehmen und für ihre Sache gewinnen wollen: die Abschaffung des Fraktionssystems. Die Anführerin der Rebellen ist niemand Geringeres als Fours Mutter Evelyn! Zu gern würde er wieder an ihrer Seite sein, wurde sie doch genauso wie er vom Marcus, ihrem Mann und seinem Vater, gequält und war der einzige Lichtblick seiner Kindheit. Es gibt jedoch gute Gründe, an Evelyns hehren Motiven zu zweifeln.

Derweil bewirkt ein neues Serum, dass viele Ferox Selbstmord begehen. Tris beschließt, sich zu opfern, um Jeanine, die in der Stadt die Strippen zieht und hinter all dem steckt, davon abzuhalten, weiterhin sinnlos Menschen zu ermorden, um die Unbestimmten in ihre Gewalt zu bekommen. Ihre Freunde wollen Tris um jeden Preis befreien - mit weitreichenden Folgen, denn es kommt die „tödliche Wahrheit“ ans Licht, die geheim hätte bleiben sollen (Teil 2).


Evelyn und die Fraktionslosen herrschen nun über die Stadt und lösen die Fraktionen auf, was nicht allen gefällt. Diese, ‚die Getreuen‘, schließen sich zusammen und planen, die Welt hinter dem Zaun zu erkunden und nach anderen Menschen zu suchen, die vermutlich ein ähnliches Schicksal teilen.

Tatsächlich werden sie aufgegriffen von Leuten, die mehr über das wissen, was in der Stadt, Chicago, und in anderen Städten passiert ist, ja, sie sind sogar fähig zu beobachten, was dort passiert, greifen aber nicht helfend ein, um Leben zu retten, es sei denn, das Experiment würde gefährdet: Menschen mit reinen Genen sollen geschaffen werden. Tris‘ Mutter war ein solches Exemplar, und auch sie selber ist etwas Besonderes - nicht jedoch Four, den sie liebt, und ihre anderen Freunde. Diese gelten als gendefekt und weniger wert.

Zu gern hätte Tris dieses neue Refugium zur Heimat erkoren, aber mit der strikten Zweiklassengesellschaft will sie nichts zu tun haben. Außerdem verübelt sie es den neuen Freunden, dass sie jederzeit hätten eingreifen und unnötige Tode - darunter ihre Eltern - verhindern können, es aber nicht taten. Die Situation eskaliert, als man in Chicago schließlich doch intervenieren will, damit das Experiment weiterläuft, zu dem Preis, dass die Menschen alles vergessen, Familien- und Freundesbande zerrissen werden.

Tris und Four trennen sich, da sie unterschiedliche Aufgaben haben. Zwar erreichen sie ihre jeweiligen Ziele, aber für einen von ihnen endet es gar nicht gut… (Teil 3).

 

der Hörverlag hat „Die Bestimmung“-Trilogie von Veronica Roth komplett und ungekürzt als Hörbuch herausgegeben. Infolgedessen ist es schwierig, eine Inhaltsangabe zu allen der sonst einzeln erschienenen Titeln zu erstellen, ohne allzu viel zu verraten, so dass die Lektüre beziehungsweise in diesem Fall das Zuhören nichts an Spannung einbüßt.

Die Autorin schuf mit dieser postapokalyptischen Welt eine Dystopie, in der die Menschen gemäß ihrer Eigenschaften in Fraktionen eingeteilt werden. Die eindeutigen Stärken werden gefördert zu Lasten anderer Charakteristika, so dass beispielsweise das Helfersyndrom der Altruan quasi zur Selbstaufgabe führt, während Fraktionen wie den Ferox und Ken echtes Mitgefühl völlig fehlt.

Im Laufe der Zeit stellt sich heraus, dass das Ganze ein großangelegtes Experiment ist, um ‚reine‘ Gene herauszufiltern, da diese Menschen angeblich weniger aggressiv sind, während ‚gendefekte‘ Personen die Schuld an den zurückliegenden Kriegen zugeschoben wird. Man muss nun nicht näher auf die vermutlich dem Thema zugrundeliegenden schlimmen realen Vorbilder eingehen, wie zum Beispiel die Mitte des 19. Jahrhunderts aufkommende Eugenik und die nationalsozialistische Rassenhygiene in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die beide das Ziel hatten, eine ‚Super-Rasse‘ zu schaffen. Und das sind nicht die einzigen Pläne, die in den letzten etwa zweihundert Jahren entworfen wurden, um die Bevölkerungen bizarren Experimenten zu unterziehen. Das Internet liefert allerlei Stichworte, die nicht in den Geschichtsbüchern erscheinen und gern als ‚Verschwörungstheorie‘ aus der öffentlichen Diskussion genommen werden.

Vor einem solchen Hintergrund versuchen die Protagonisten - in erster Linie Tris und Four, aus deren Sicht abwechselnd erzählt wird, was geschieht -, erst einmal am Leben zu bleiben und, nachdem sie begriffen haben, dass an dem Bestimmungs-System sehr viel faul ist, herauszufinden, was wirklich los ist, was mit ihnen gemacht wird, was die Wahrheit hinter all den Lügen ist. Leider macht auch das Wissen um die Wahrheit nichts besser, denn beide Systeme - das derjenigen, die das Experiment seit Generationen überwachen, und das ihrer Opfer, die als Fraktionsmitglieder und Fraktionslose interne Machtkämpfe austragen - sind korrupt, es geht nicht ums Wohl der Menschen, sondern um Machterhalt und Machtgewinn, und die jeweiligen ideologiegeleiteten Rädelsführer kennen keine Skrupel.

Die Liebe von Tris und Four, aber auch die Beziehungen zu Angehörigen und Freunden wird von all den Ereignissen überschattet. Zum einen haben sie unterschiedliche Ansichten und erfahren Geheimnisse, die sie nicht einfach ausplaudern dürfen, was den Vorwurf mangelnden Vertrauens nach sich zieht. In Konsequenz entscheiden sich die beiden, Dinge zu tun, von denen der andere nichts weiß oder sie nicht gutheißt, weil sie überzeugt sind, keine andere Wahl zu haben.

Während es Tris vor allem darum geht, möglichst viele zu retten, da sie glaubt, dass auf ihren Schultern die Last eines Erbes ruht, sind die Motive von Four viel persönlicher, denn ihn lenken vor allem der Hass auf seinen grausamen Vater und die Enttäuschungen, die ihm seine Mutter bereitet. Beider Kameraden, die anfangs große Handlungsanteile hatten, werden immer mehr an den Rand gedrängt und durch das Hinzukommen neuer Figuren mehr oder weniger ausgetauscht, zumal nicht alle am Leben bleiben.

Das Ende ist dann auch, ganz so wie alle Geschehnisse in der stellenweise sehr traurig stimmende Trilogie, nicht so happy, wie man es gern gehabt hätte. Der Ausklang gestaltet sich sehr lang, ohne dass es eine Überraschung gibt. Dadurch wirkt der Titel sehr realistisch, denn auch das wirkliche Leben wartet viel zu selten mit einem positiven Schlusspunkt auf.

Alle drei Teile werden von Janin Stenzel gelesen, die sehr überzeugend Tris in Szene setzt durch diese für - seit „Buffy“ - für Jugendliche typische Sprechweise, die nölig von oben herab alles aus ihrer Perspektive kommentieren und anderen wenig Raum für eigene Gedanken zugestehen. Mit etwas veränderter Stimme spricht sie Four und die diversen Dialogpartner, denen sie durchaus individuelle Züge verleiht.

Schätzt man Romane/Hörbücher wie die „Panem“-Bände, so wird man auch mit der „Die Bestimmung“-Trilogie gut fahren, die um einen weiteren Band, „Die Bestimmung: Fours Geschichte“ erweitert wurde. Ob man jedoch das, was als Hörbuch ganz angenehm ins Ohr geht, während man zum Beispiel. in der Küche Kartoffeln schält, auch lesen möchte, muss jeder für sich entscheiden, denn es gibt viel persönliches Hin und Her, viele Grausamkeiten, auch daraus resultierende Längen. Im Zweifelsfall sollte man dem Hörbuch gegenüber rund 1500 Seiten Papier den Vorzug geben.