Marie Brennan: Der Wendekreis der Schlangen - Lady Trents Memoiren 2 (Buch)

Marie Brennan
Der Wendekreis der Schlangen
Lady Trents Memoiren 2
(The Tropic of Serpents) 
Übersetzung: Andrea Blendl
Titelbild und Innenillustrationen: Todd Lockwood
Cross Cult, Taschenbuch, 2018, 390 Seiten, 14,00 EUR, ISBN 978-3-95981-505-4 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Carsten Kuhr

Was erwartet man von einer jungen Frau in der viktorianischen Zeit? Nun, sie soll ihre Ballkarte füllen, sich einen Adeligen aus angesehener Familie angeln und fürderhin als Ehefrau über das Anwesen, die zu gründende Familie und die Bediensteten wachen. Es gilt Bälle auszurichten und in die Oper zu gehen. So geht es auch Isabella, Lady Trent - nur, dass sie statt sich auf Tee-Gesellschaften und Stricken zu beschränken lieber in der Welt herumreist und ihrem Faible für die Forschung an Drachen frönt.

Und dies in einer Welt, in der Frauen gefälligst ans Heim und Herd gekettet sind - ein Skandal, zudem sie als Witwe nun auch noch eine junge, kaum zwanzigjährige Geschlechtsgenossin vom rechten Pfad des „gute Partie Machens“ abbringt. Dass sie ihren Sohn zu Pflegeeltern gibt, facht das öffentliche Getuschel weiter an.

Zusammen, nur begleitet von einem Forscher aus bürgerlichen Kreisen, machen sie sich ins wilde Eriga auf. Hier wollen sie, nachdem sie bereits die Drachen des Hochgebirges erforscht haben, deren Vettern im Dschungel untersuchen.

Dumm dabei, dass die Wilden, die eigentlich die Reichtümer ihres Landes gefälligst der weißen Nation als Tribut darbringen sollten, so dumm gar nicht sind. So muss sich Lady Trent zunächst im Harem des Fürsten einfinden; nein, Liebesdienste werden ihr hier keine abverlangt, sie wird nur höchst geschickt ausgefragt, bevor sie und ihre Begleiter zu den Wilden in den Dschungel dürfen.

Hier, unter den Nackten, lernen sie den Geschmack von Insekten ebenso zu schätzen wie öffentliche Nacktheit, erkennen den Wert von Hosen als skandalöse Bekleidungsstücke für Frauen und kommen, bei der Annäherung an ihre Forschungsobjekte, einer feindlichen Invasion auf die Spur. Für Aufregung ist also, nicht zu knapp, gesorgt…


Im zweiten Band der Memoiren von Lady Trent, ihres Zeichens skandalöse Erforscherin der Drachen, setzt Brennan dort an, wo sie im ersten Teil aufgehört hat. Sprich, erneut steht eine Frau im Mittelpunkt, die aus Forschungsdrang gegen die engen Grenzen ihrer Welt, gegen Vorurteile und Beschränkungen aufbegehrt, die mutig ihren Weg beschreitet und sich dabei nicht zu schade dafür ist, eigene Annahmen zu hinterfragen.

Unschwer kann der Leser erkennen, dass hinter der Welt, die uns Brennan präsentiert, das Britische Weltreich zur Zeit Königin Victorias als Blaupause gedient hat. Ergänzt wird diese Bühne um Stämme und Völker, die von denen unserer Geschichtsschreibung abweichen.

Im Zentrum der Erzählung, und diese letztlich dominierend, steht unsere Protagonistin, Lady Trent. Mit ihrem unstillbaren Wissensdurst, ihrer direkten, ehrlichen aber auch einfühlsamen Art nimmt sie den Leser für sich ein.

Dass sie dabei ihre Schwierigkeiten hat, dass sie zunächst ganz im Kontext ihrer Erziehung und ihrer Herkunft agiert und Zeit braucht, um sich umzustellen, letztlich um sich anzupassen, verleiht dem Roman ein gerüttelt Maß an innerer Glaubwürdigkeit. Dabei lässt die Autorin auch immer wieder, en passent, Wissen aus ihrem Studium der Archäologie und Anthropologie einfließen, beschreibt uns wilde Völker ebenso überzeugend wie faszinierend, ohne sie auf ihr Unwissen in technischen Belangen zu reduzieren. Ganz im Gegenteil zeigt sie über die Abenteuer auf, dass auch Naturvölker Wissen - aber eben anders Wissen - ihr Eigen nennen, sich im Einklang mit der Natur bewegen und mit dieser leben, ohne sie zu zerstören. Hier, wie in der Auseinandersetzung mit der starren Gesellschaft, zeigt Trent ihre Flexibilität und präsentiert sich als Vorreiterin für Selbstbestimmung und Gleichberechtigung. Auch wenn die Hauptfigur gar ein wenig zu dominant wirkt, wenn die Figuren neben ihr oft blass bleiben, liest sich der Roman erneut sehr flüssig und packend in einem Rutsch durch.

Fazit: Begleitet und eingeleitet durch wunderbar passende Illustrationen bietet sich hier ein Lese-Abenteuer an, das nicht nur Drachen-Fans begeistern wird, sondern auch wichtige Fragen um die Gleichberechtigung von Menschen jeglichen Geschlechts und Herkunft thematisiert.