Spider-Man: Die Klonsaga 1 (Comic)

Tom DeFalco, J. M. DeMatteis u.a.
Spider-Man: Die Klonsaga 1
Übersetzung: Michael Strittmatter
Titelbild: Ron Lim
Zeichnungen: Mark Bagley, Sal Buscema u.a.
Panini, 2014, Paperback, 236 Seiten, 19,99 EUR, ISBN 978-3-86201-909-0

Rezension von Elmar Huber

„Doppelgänger“, Teil 1-4:
Professor Warren alias Der Schakal züchtet in seinem Labor einen Klon von Peter Parker. Durch eine medizinische und hypnotische Behandlung macht er ihn zu Peter Parker mit all seinen Erinnerungen, Schuldgefühlen und… und versieht ihn zusätzlich mit einigen posthypnotischen Befehlen, die ihn unter anderem die Zeit in Warrens Labor vergessen lassen, bevor er ihn in die Freiheit entlässt, wo er plötzlich dem echten Peter Parker gegenübersteht.

„Doppelgänger“ spielt zu einer nicht näher beschriebenen Zeit, offenbar einige Jahre vor dem erneuten Treffen der beiden Peter Parkers, und funktioniert wunderbar als Prolog, um in die kommenden Ereignisse einzustimmen. Herrlich pathetisch und mit jeder Menge Off-Texten wird hier die Gefühlslage des Klons - die Unsicherheit, das Verloren sein, die Schuldgefühle - beschrieben, die eigentlich zu Peter Parker gehören.
Autor J. M. DeMatteis ist wirklich gut, während die Action-Szenen der Story etwas hölzern über die Bühne gehen. Ohne dass darauf weiter eingegangen wird, bleibt am Ende unklar, welcher Spider-Man der Explosion entkommen ist. Offenbar sowieso beide, wie man später erfährt. Trotzdem ein brillanter Schachzug, denn schon hier hätte durchaus ein Tausch stattfinden können.


„Kraft und Verantwortung“, Teil 1-4:
Jahrelang ist Peter Parkers Klon, der sich inzwischen Ben Reilly nennt, durch Amerika gezogen, hat sich bewusst von New York, Peter Parker und seiner Familie fern gehalten, doch der schlechte Gesundheitszustand von Tante May lockt ihn zurück in den Big Apple. Auf dem Dach des Krankenhauses, in dem Tante May im Koma liegt, trifft Ben auf Peter, der ihn - unversehens mit dem Doppelgänger konfrontiert - direkt in einen Kampf verwickelt.
Gleichzeitig reißt der Illusionist und Psychologe Judas Traveller mit einigen übersinnlich begabten Mitarbeitern die Herrschaft über das Ravencroft Hospital an sich, wo geisteskranke Superschurken untergebracht sind .Um die Natur des Bösen in einer Extremsituation zu studieren, schickt er Spider-Man die Botschaft, dass er ihn dort erwartet, um ihn einer Prüfung zu unterziehen. Sollte Spider-Man nicht auftauchen, würde er die Insassen des Hospitals töten; sollte er die Prüfung bestehen, will er die Geiseln aus der Anstalt freilassen.
Vor allem um Zeit zu gewinnen, lässt sich der ohnehin an einem moralischen Wendepunkt stehende Spider-Man auf die Zwangslage ein. Durch den Wahnsinn der Patienten wird seine eigene innere Zerrissenheit jedoch noch weiter verstärkt. Aus Spideys Gedanken erfährt Traveller von dem Klon, dem er nun ebenfalls eine ‚Einladung‘ schickt, um ein weiteres Dilemma zu produzieren. Schlägt er diese aus, wird Spider-Man sterben.

Offenbar sind sogar einige Jahre vergangen, seit dem Ende vom „Doppelgänger“. Das erklärt erstens Peter Parkers Überraschung, als er plötzlich (wieder) seinem Klon gegenübersteht, und zweitens, dass er auch noch andere Möglichkeiten in Betracht zieht, wen er da vor sich hat.
Der Klon Ben Riley kommt zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt nach New York zurück. Spider-Man hadert massiv mit seiner Existenz und der Verantwortung, die ihm seine Fähigkeiten aufbürden. Am liebsten möchte er Peter Parker mit allen menschlichen Schwächen hinter sich lassen, als er plötzlich seinem Doppelgänger gegenübersteht. Ben Reilly dagegen würde nichts lieber tun, als Peter Parkers Leben zu führen, und er bekommt hier sogar die Chance, sein ‚Original‘ einfach sterben zu lassen.
So birst „Kraft und Verantwortung“ förmlich vor Subtext und psychologischem Zündstoff, der zwar reichlich plakativ vermittelt wird, aber nichtsdestoweniger phantastisch funktioniert und die Story einige Stockwerke über den reinen Action-Level der Handlungsebene hinaus hebt. Da sich dieses Kapitel über Hefte aus gleich vier „Spider-Man“-Serien verteilte, sind hier auch vier Kreativteams am Start. Trotzdem ist die Story, inklusive des ersten Auftritts von Judas Traveller, aus einem Guss.


„Er kehrt zurück“, Teil 1-4:
Nach den Ereignissen im Ravencroft Hospital will Ben Reilly New York wieder verlassen, doch zwei Ereignisse - ein Überfall und ein versuchter Selbstmord -, deren Zeuge er wird, sowie das erneute Auftauchen von Venom im Big Apple lassen ihn umdenken.
Er bleibt als zweiter Spider-Man - der Bugle-Reporter Ken Ellis gibt ihm den Namen „Scarlett Spider“ - in New York und wird gleich in einen Kampf zwischen Venom und einem Nachkommen des außerirdischen Symbionten verwickelt. Zwar hat er den beiden nur wenig entgegen zu setzen, doch kann er auch hier einige Menschen retten. Außerdem erhält er selbst Hilfe, als er verletzt ist, was ihn schließlich zu der Entscheidung führt, als Scarlett Spider in New York zu bleiben und für das Gute zu kämpfen.

Reilly hadert weiter mit seiner Existenz, leidet unter den Erinnerungen, die gar nicht seine eigenen sind und sieht doch, dass in New York Not am Mann ist, erst recht, als er plötzlich Venom gegenübersteht, der offenbar mit Spider-Mans Einverständnis handelt. So beginnt eine Charakter-Schere zwischen Peter Parker, der hier gar nicht auftaucht, und Ben Reilly aufzuklaffen, was sich im Lauf der Handlung noch verstärkt. Die Sympathien des Lesers sind nun endgültig bei Ben, der auch - verletzlich und ungeübt im Kampf - sehr viel nachvollziehbarer agiert als das Original. Zwar ist das alles mit der großen Kelle aufgetragen, funktioniert aber auch mit inzwischen mehr als 20 Jahren Abstand immer noch einwandfrei.
Hier wird also zementiert, dass Ben Reilly eine feste Größe im „Spider-Man“-Universum bleibt, nicht zuletzt, da in „Er kehrt zurück“ gleich noch eine ganze Handvoll Handlungsstränge gestartet werden, sodass man das Gefühl hat, der ganze Mega-Band war gerade die Einleitung.


Insgesamt ist zumindest dieser erste Band der als zwiespältig geltenden „Klon-Saga“ ein wahres Fest, nicht nur für Comic-Nostalgiker. Was hier an moralischem Dynamit und an Personen-Entwicklung drin steckt, das sollen moderne Autoren erst einmal nachmachen.

Immer wieder verdeutlichen die Autoren, dass man eigentlich eine Person vor sich hat, mit den gleichen Erinnerungen, den gleichen Verhaltensmustern und den gleichen ethischen Grundsätzen. Aus diesem Grund kann Ben Reilly Peter Parker auch nicht sterben lassen und einfach das Leben übernehmen, dass er sich immer erträumt hat. Er muss eine eigene Identität finden, und das kann ja schon beinahe als allgemeine Metapher für die einzelne menschliche Entwicklung, das Erwachsen werden, gesehen werden.

Die Originalgeschichten sind dermaßen verstreut über mehrere Serien, teilweise sogar Zweitgeschichten von nur wenigen Seiten, sodass diese Zusammenstellung eine absolut dankenswerte Sache ist.

Fulminanter Start des „Spider-Man“-Events überhaupt, das auch 20 Jahre nach der Erstveröffentlichung noch funktioniert und das durch den Nostalgiefaktor sogar noch gewinnt.