Dennis E. Taylor: Ich bin viele (Buch)

Dennis E. Taylor
Ich bin viele
(We are Legion, 2016)
Übersetzung: Urban Hofstetter
Heyne, 2018, Paperback, 460 Seiten, 14,99 EUR, ISBN 978-3-453-31920-2 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Gunther Barnewald

Kurz nachdem der Physiker und reiche Software-Entwickler Bob Johansson einen Vertrag abgeschlossen hat, seinen Kopf mit Gehirn im Falle seines Todes konservieren zu lassen, stirbt er, nachdem ein Auto ihn bei einem Unfall rammt.

Als Bob wieder erwacht, hat man sein Gehirn gescannt und seine Persönlichkeit in der nahen Zukunft (2133) in eine Software verwandelt. In einem totalitären, religiösen Amerika sind Persönlichkeitsrechte kein Thema mehr. Die ultrakonservativen Rechten habe die Macht ergriffen und einen christlich-fundamentalistischen Gottesstaat errichtet, der aber trotzdem ethisch extrem zweifelhafte technische Entwicklungen fördert, um hinter anderen nationalen Gruppierungen nicht zurück zu stehen. Vor allem das militaristische Brasilianische Reich versucht dem Gottesstaat das Wasser abzugraben.

Bob soll eine Raumsonde bemannen, die ins Weltall vordringt, denn vermittels neuerer Technik ist es gelungen, schnell zu reisen. Ihm gelingt es, sich unabhängig zu machen von der Unterdrückung seiner Macht durch Schadsoftware, hemmende Befehle und Sprengfallen an Bord und ins All zu reisen.

Durch Reproduktion seiner Sonde und immer wieder neue Kopien seiner Persönlichkeit (die wie durch ein Wunder immer wieder seine Persönlichkeit etwas verändern und zu neuen Persönlichkeiten führen), gelingt es ihm, den Feind aus dem Brasilianischen Reich (der ebenfalls in einer sich reproduzierenden Sonde unterwegs ist) in Schach zu halten.

Nach der Entdeckung fremder Planeten, kehrt eine Bobkopie mit seiner Sonde zur Erde zurück und entdeckt, dass hier ein dermaßen vernichtender Krieg tobt, dass die Menschheit kurz vor der Auslöschung steht.

Der hiesige Bob, der sich zu Ehren des Ersten Offiziers des späteren Raumschiffs „Enterprise“ Riker nennt, nimmt die Dinge in die Hand und es gelingt ihm tatsächlich, die Vernichtung der Erde zu stoppen. Doch was soll er mit den Überlebenden auf der Erde unternehmen? Und was ist mit den anderen Sonden, die noch durch das Weltall reisen? Von welchen droht Gefahr? Und was werden Bobs Kopien noch alles entdecken in fremden Sonnensystemen?


Bei der Fülle der Ideen, die Dennis E. Taylor hier hat, ist es kein Wunder, dass dieser Band nur der Auftakt zu einer Serie ist. Dies ist einerseits begrüßenswert, denn die Geschichte ist höchst vergnüglich zu lesen; sie ist spannend, extrem unterhaltsam und ideenreich wie kaum eine andere. Andererseits stellt sie die ultimative Selbstbefriedigung dar, der totale Triumph der „Generation Ichling”, jener Menschen also, die allein das Universum beherrschen wollen und keinen anderen brauchen, wenn ihre Bedürfnisse sofort und ohne Bedingungen erfüllt werden (oder andere auch höchstens genau zu diesem Zweck benötigen!).

„We are Legend“ (so der Originaltitel) ist somit der ultimative feuchte Traum aller Nerds und der Autor verkauft diesen Plot mit unglaublich viel Verve und Geschick, so dass man diese hinderlichen Gedanken einfach verdrängen und sich selbst in die Rolle des Helden begeben möchte, der nicht nur die Menschheit alleine errettet, sondern auch noch das Universum erforscht.

Zwangsläufig bleiben bei einem derartigen Plot die Charakterisierungen fast auf der Strecke. Wen wundert es, dass Bobs Persönlichkeitskopien mehr Leben in sich tragen, als alle anderen Protagonisten im ganzen Buch! Auch einen gewissen Hang zur Schwarz-Weiß-Malerei kann man dem kanadischen Autor Dennis E. Taylor sicherlich nicht absprechen (vor allem wenn es um die feindlichen Sonden geht, aber auch bezüglich aller überlebenden Anführer auf der Erde, die gar nichts auf die Reihe kriegen und ewig nur streiten, so dass der geniale Bob alles alleine machen muss und darf).

Größte Stärke des Autors ist jedoch die kurze Skizzierung des christlich-fundamentalistischen Zukunftsstaats, der Teile der vormaligen USA übernommen hat. Da das Buch aus dem Jahr 2016 stammt, muss man sich fragen, ob die anstehende Wahl eines Donald Trump und die vielen regressiven ethischen und politischen Entwicklungen in den USA hier vom Autor nicht sehr geschickt aufgegriffen worden sind. Leider kommt dieser Aspekt viel zu kurz, der Staat wird zu selten dezidiert geschildert!

Ebenfalls glaubhaft und packend ist die Schilderung Taylors bezüglich des zeitaufwendigen Vorankommens des Protagonisten nach seinem Erwachen. Der Autor nimmt sich hier viel Zeit, die Entwicklung der Persönlichkeit Bob Johanssons, der sich in eine omnipotente Maschine verwandelt, zu erzählen.

Insgesamt eine wunderbare Lektüre, mit der kleinen Einschränkung, dass man über den gnadenlosen Egoismus der Geschichte nicht allzu intensiv nachdenken sollte als Leser, denn sonst vergällt einem dies das große Lesevergnügen.

Auf die Fortsetzung dieser besonderen Superhelden-Geschichte darf man gespannt sein!