Mur Lafferty: Das sechste Erwachen (Buch)

Mur Lafferty
Das sechste Erwachen
(Six Wakes, 2017)
Übersetzung: Bernhard Kempen
Heyne, 2018, Taschenbuch, 480 Seiten, 9,99 EUR, ISBN 978-3-453-31919-6 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Gunther Barnewald

Das gewaltige Raumschiff „Dormire“ befindet sich auf seinem jahrzehntelangen Weg zu einem fernen Stern, als die sechs Crewmitglieder plötzlich, frisch geklont, ohne Erinnerungen an die lange Reise erwachen. Zwar sind alle Erinnerungen bis zur Abreise des Schiffs intakt, nicht jedoch was sich danach in vielen Jahrzehnten an Bord ereignet hat. Zudem finden die sechs die Leichen ihrer Vorgänger und schnell wird allen klar, dass einer von ihnen ein brutaler Mörder sein muss, der außerdem alle Erinnerungen gelöscht hat, so dass man den Täter nicht gleich identifizieren kann.

Deshalb bemühen sich alle, die Vorgänge der letzten Tage (und Jahre) zu rekonstruieren, entdecken jedoch schnell, dass jeder der sechs unerfreuliche Geheimnisse hütet, jeder von ihnen eine dunkle Vergangenheit besitzt. Auch der Schiffscomputer wurde in seiner Software beeinträchtigt und kann so den sechs Raumfahrern erst einmal nicht helfen, so dass jeder schnell jeden verdächtigt, bis das monströse Geheimnis hinter dieser Reise mehr und mehr ans Tageslicht tritt...


Der Autorin gelingt ein bestrickend spannendes Buch, welches seine vielen Geheimnisse wie ein genial konstruierter Krimi erst nach und nach entblättert. Der Spannungsbogen ist atemberaubend und der flüssige und packende Stil von Lafferty und damit auch die hervorragende Übersetzung von Bernhard Kempen machen die vorliegende Geschichte zu einem gewaltigen Lese-Vergnügen.

Selten wurde in den letzten Jahren eine Erzählung so wendungsreich und packend inszeniert. Die sechs Charaktere sind zwar nicht überragend aber doch sehr glaubhaft und anschaulich beschrieben, die vielen verschiedenen Ideen werden von der Autorin nahtlos unter einen Hut gebracht. Erfreulich ist dabei auch, dass die geschilderte Technik nie dominiert, sondern sich immer harmonisch der erzählten Geschichte unterordnet, nie dem Selbstzweck dient wie dies bei anderen Autoren manchmal der Fall ist.

Geschickt werden von der Autorin neuere technische Entwicklungen integriert, auch wenn man an der Glaubwürdigkeit der einen oder anderen Prämisse sicherlich zurecht zweifeln kann (und sollte). Vor allem das problemlose Klonen von Menschen inklusive all deren Erinnerungen und Charakterzügen muss man als Leser erst einmal hinnehmen, damit die Erzählung funktionieren kann.

Interessant, dass Lafferty so nebenbei auch noch die nächsten Jahrhunderte der menschlichen und gesellschaftlichen Entwicklung entwirft, mit Morden als sportliche Betätigung und als spannendes Amüsement der Superreichen, denn wenn jeder jederzeit wieder fast vollständig (maximal beraubt um die Erinnerungen an die letzten Stunden oder Minuten vor dem Tod) wieder auferstehen kann, warum sollte man sich den Nervenkitzel nicht gönnen, sich umbringen zu lassen (und natürlich auch nebenbei noch anderen Geschmacklosigkeiten frönen).

Die darauf folgenden Exzesse (da man nicht nur Erbschäden, sondern auch Erinnerungen und einzelne Charakterzüge beim Reprogrammieren der Klone verändern kann, führt dies zu heftigen Eingriffen in die Persönlichkeit von politischen, religiösen oder wirtschaftlichen Führern mit teilweise erheblichen Effekten wie Entführungen, Folterungen, Eingriffen in die Psyche und Charaktere dieser Menschen) leiten dann eine Gegenbewegung ein, die wiederum wildes Klonen verbietet und versucht, den immer barbarischer werdenden Umgang der Menschen mit- und untereinander zu unterbinden.

All dies schildert die Autorin quasi im Vorbeigehen, als sich die Geschehnisse der Vergangenheit an Bord immer mehr und mehr klären. Bald zeigt sich, welch grauenvolle Türen die neue Technik aufgestoßen hat, und dass skrupellosen Menschen für ihre persönlich Macht, ihre Ziele und ihren Erfolg jedwede Mitmenschlichkeit zu opfern bereit sind. Deshalb ist auch der Plot natürlich ein monströser, der jedoch hier selbstverständlich nicht verraten werden soll. Es macht jedoch ungeheuren Spaß, der Geschichte bis zum Ende zu folgen, immer wieder neue Wendungen zu entdecken und am Ende mit dem irrsten Plot von allen belohnt zu werden.

Der US-amerikanischen Autorin ist mit dem vorliegenden Buch nicht nur eine unglaublich bestrickende Erzählung gelungen, sondern auch ein Roman voller bezaubernder Ideen und exorbitanter Spannung, der sicherlich seinesgleichen sucht.

Ähnlich wie „Split Second - Zurück in der Zeit“ von Douglas E. Richards ist „Das sechste Erwachen“ ein absolut packender Knaller, bei dem es einfach unglaublichen Spaß macht, den Volten der vielfältigen Handlung bis zum bitteren Ende zu folgen (was nicht heißen soll, dass die Autorin aus der Geschichte nicht doch noch eine Art Happy End heraus quetscht, was einfach großartig ist)!