Christian von Aster (Hrsg): Boschs Vermächtnis (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Sonntag, 22. April 2018 09:25

Christian von Aster (Hrsg)
Boschs Vermächtnis
Titelbild: Hieronymus Bosch
Edition Roter Drache, 2018, Hardcover, 438 Seiten, 17,95 EUR, ISBN 978-3-946425-40-3
Rezension von Carsten Kuhr
Hieronymus Boschs „Der Garten den Lüste“ gilt zurecht als eines der unerreichten Meisterwerke der bildenden Kunst. Das weltberühmte Triptychon das den Garten Eden, das Paradies und die Nachwelt/Hölle zeigt, präsentiert uns einen Künstler, der seiner Ära weit voraus war. Seine Zeitgenossen verstanden ihn und seine Phantasien nicht, waren von seinen Bildern verstört oder abgestoßen. Dennoch, oder gerade deshalb, inspirierten diese Werke über die Jahrhunderte unzählige Künstler zu ihren eigenen Kreationen.
Auch Christian von Aster hat sich das berühmte Kunstwerk bewusst herausgesucht und seine Kollegen gebeten, sich von dem Motiv oder vom Künstler inspirieren zu lassen. Der Zuspruch war überwältigend, weit mehr als die erwarteten Verfasser haben Beiträge eingereicht, so dass das Buch deutlich umfangreicher ausfiel, als ursprünglich vorgesehen. Von Aster selbst steuert im Vorwort eine persönliche Hommage bei, bevor er seinen Mitstreiter bildlich gesprochen die Feder in die Hand drückt.
Erwähnen darf ich noch die inzwischen vom Verlag gewohnte ungewöhnlich liebevolle handwerkliche Gestaltung des Buches. Gerundete Ecken, Fadenheftung, Lesebändchen und ein Gummiband zum Schließen der Kladde - man merkt dem Buch an, mit wie viel Herzblut die Macher das Projekt begleitet haben.
Nicht weniger als zweiunddreißig Verfasser haben ihr Talent dem Projekt beigesteuert. Dabei sind bekannte Namen aber auch Verfasser, auf die ich zumindest das erste Mal gestoßen bin. Gemeinsam ist all diesen Geschichten, dass sie handwerklich ansprechend geschrieben wurden, dass ich nicht auf eine einzige Geschichte gestoßen bin, die mich nicht überzeugt hat. Der Reigen reicht von Beiträgen, die im 15. Jahrhundert spielen bis hin zu Storys, die im hier und jetzt angesiedelt wurden.
Um was geht es im Einzelnen?
Lucy van Org präsentiert uns in „Vogeltränke“ ihre ganz eigene Version der Schöpfungsgeschichte in der Jhwh, als er sich selbst das erste Mal erblickt, erschrickt und sodann in Trübsinn, ja Verzweiflung ob seines Aussehens verfällt.
Alex Jahnke berichtet uns in „Zweifel“ von einem Kneipengänger, der die Bilder in seinem Kopf nicht aufs Papier bringen kann. Erst als ihn eine Muse besucht und ihn mit einer Erdbeere inspiriert…
In Sonja Rüthers „Spannerhase“ begegnet Bosch einem wollüstigen Hasen, der ihm als Wegweiser zu seinen Motiven dient. Als er ihn freilassen will, führt ihn der Hase zu seinem letzten, ultimativen Motiv - in Richtung des Pfarrhauses.
HagenTronje Grützmacher stellt uns in „Der Schädelsammler“ einen Medicus vor, der einem habgierigen Kaufmann zu Diensten ist - auch wenn dafür die Muse leiden muss.
Mario Steinmetz erzählt uns in „Der Gral“ vom Gemetzel auf der Schanze von Hemminstedt an der Magna Guardia, bei dem die Jungfrau Telse einen Becher bei sich führt - einen wundertätigen Becher.
In Dirk Bernemann „Grasende Tiere“ begegnet uns der Meister höchstselbst, der in seinem Schaffensdrang, nur beobachtet von einem jungen Paar, schwelt. Als diese angesichts der Brunstigkeit Boschs übereinander herfallen, mischt auch der Künstler mit Folgen mit.
Daniel Illgers „Der Schäfer“ zeigt uns eine Stadt, die vom Unheil heimgesucht wird. Ein Brand, eine Hitzeperiode und dann noch ein Mörder - doch wer steckt hinter den Taten?
Astrid Mosler „Zusammen ist man weniger allein“ zeigt uns eine Frau, die es geschafft hat. Als angesehene Spiele-Entwicklerin hat sie Preise abgeräumt und ein Vermögen verdient. Dass sie freiwillig aus dem Leben scheidet, dass sie offensichtlich unter einer Bewusstseinsstörung leidet, offenbart sich über ihre Abschiedsmail - eine verrückte Geschichte über eine Inspiration, die von ihrem innersten Wesen gespeist wird; wie vor ihr auch Hieronymus Bosch.
Vera Wehbergs „Das konnte keiner ahnen“ erklärt uns, wie das Stachelschwein in der Seifenblase ins Gemälde kam - eine angehende Schamanin spielt dabei eine bedeutende Rolle.
Axel Hildebrands „Ganz groß raus“ präsentiert uns den Messias in einem ganz ungewöhnlichen Bild - mit einem Bosch als Talentsucher.
Albträume sind etwas Bedrückendes. Dies muss in Tom Dauts „Flügel“ auch der junge Hieronymus erkennen, und sucht auf Anraten seines Bruders Hilfe bei einem Heiler - der ihn in seinen eigenen Traum versetzt; denn nur hier, aus eigener Kraft kann er seinen Alp besiegen.
In Norman Liebolds „Azurit“ trifft ein Restaurator auf die Quelle der Inspiration, die auch Bosch zu seinen Werken angestiftet hat - eine Quelle, tief im Innern eines Künstlers.
Michael Hess’ „Paradiesvogel“ beschäftigt sich mit einem der vielen Motive des Malers im Meisterwerk. Ein Angehöriger der Gesellschaft zur Erforschung verborgenen Wissens stößt in einem abgelegenen französischen Tal auf die Inspiration des Malers.
Ein Wochenendausflug bringt zwei abgearbeitete Freundinnen in Silke Lindenbergers „Wie ein Fisch im Wasser“ in die Geburtsstadt Boschs - in der eine der Beiden eine merkwürdige Begegnung mit einer Meerjungfrau hat.
Germaine Paulus’ „Serge wohnt hier nicht mehr“ entführt uns in die Welt der verbotenen Hundekämpfe; ein Wesen, wie aus einen Gemälde von Bosch hat entscheidenden Anteil an der Kreation neuer Champions.
Carsten Steenbergens „Dem Berg die Buße“ entführt uns nach Bergen. Die kleine Stadt am Fjord wird von einer Vogelmeute heimgesucht, die Alles und Jeden angreift. Nur ein Sühneopfer könnte das Unheil aufhalten - ein Opfer, das später einmal zu einer Inspiration für einen Künstler werden könnte.
Juliane Uhls „Die Muse des Meisters“ präsentiert uns die Muse hinter dem Triptychon - niemand anders als Johanna I. von Kastilien offenbart dem Künstler ihre Gedanken, die Sorgen vor der Inquisition und ihr Leid.
Sandra Baumgärtners „Das Geheimnis des Draakmeeres“ erzählt von einem verwunschenen Drachen, der tief in einem See lebt und seine Opfer mittels eines magischen Bernsteins auf sich aufmerksam macht.
In Christian Krumms „Ein Tor zur Hölle“ sind zwei Honoratioren der Kirche auf der Spur des Künstlers. Der eine, ein Ordensbruder der sich den Ablasshandel hat einfallen lassen, der andere ein Inquisitor. Beide solle im Auftrag des Papstes über Hieronymus zu Gericht sitzen - der der Anklage erstaunlich gelassen gegenübersteht.
Ju Honischs „Der Besondere“ stellt uns einen jungen, begabten Mann, einen Musiker vor. Seine Eltern taten alles, um seine Karriere zu fördern, nun ist er in Klausur in der nur die Besten angenommen, ausgebildet und gefördert werden - doch, wie immer, gilt es einen Preis zu bezahlen.
In Isa Theobalds „Am Baum der Erkenntnis fault die Frucht“ treffen wir auf einen unsterblichen Bosch und den Mann, der für sein altersloses Leben verantwortlich ist - einen Magier, einen selbsterwählten Prometheus.
David Grays „Damenwahl“ stellt uns eine Frau vor, die ein altes Unrecht zu rächen hat - und dafür einen ebenso perfiden, wie cleveren Plan ersinnt.
Boris Koch erzählt uns in „Der wilde Hannes“ eine Mär von einem heimgesuchten Dorf, in dem einst ein wilder Bursche beim Teufel geschworen hat, ein jedwedes männliche Tier zu missbrauchen - auf dass das Dorf und dessen Bewohner verflucht seien.
In Michael Schweßingers „Die Feder der Simurgh“ bricht der Autor eine Lanze für die Toleranz, als er uns einen dunkelhäutigen Jungen vorstellt, der mit seiner Kunst und den Vögeln die er zeichnet selbst Meister Bosch rührt.
Ein Traum sucht Hieronymus in Christoph Marzis „Elefant und Affe“ heim, ein Traum vom listigen Affen, vom mächtigen Löwen und starken Elefanten.
Diana Kinne berichtet uns in „Ohrenschmaus“ von einer Völlerei der Honoratioren, die dem Bild der Hölle des Triptychon ähnelt.
Fromme Büßer bevölkern den Jakobsweg. Auch in Christian von Asters „Die Krüppel von Burgos“ gibt es Büßer, Gläubige, die ihren verloren gegangenen oder zweifelnden Glauben an Gott erneuern möchten, die ihn lobpreisen wollen - auch wenn der Weg eine Abzweigung zu einem ganz besonderen Dom aufweist, um den sich Krüppel aller Art sammeln.
Leonardo hat einen Traum, den Traum vom Fliegen. In Sascha Leidingers gleichnamigen „Der Traum vom Fliegen“ reist er zu Bosch, um von diesem seinen Traum erfüllt zu bekommen - doch wird er damit zufrieden sein?
Robin Gates’ „Nachtmahr“ berichtet uns vom Wind über der Erde, von einer Urkraft aus der fernen Vergangenheit, einem Albtraum und doch so real, der auch in Boschs Bild seinen Platz hat.
Anja Bagus’ „Fliegenfische“ stellt uns einen jungen Burschen vor, der auf sein erstes Mal hinfiebert. Dass Bosch ihn unter seine Fittiche nimmt, beschert ihm zwar nicht die erhoffte Lust, dafür aber eine Zukunft.
In Sascha Dinses „Lisbeth“ bricht das letzte Gericht über ein kleines Dorf und dessen Bewohner herein - die Toten erheben sich aus ihren Gräbern und nehmen blutige Rache an ihren Peinigern.
Der Garten Eden nimmt in Michael Marraks „Die Parabel vom Zwielicht“ eine besondere Rolle ein. Vor Jahrhunderten Bosch als Inspiration dienend, von dessen Frau gesucht und gefunden, existieren die Überbleibsel wohl verborgen auch heute noch - auch wenn weder Anblick noch Geruch sonderlich paradiesisch sind, doch dem Herren der dunklen Musen eine Heimat…