Ian Beck: Pastworld (Buch)

Ian Beck
Pastworld
(Pastworld)
Aus dem Englischen übersetzt von Barbara Abedi
Titelillustration von Christian Keller
Loewe, 2010, Taschenbuch, 396 Seiten, 9,95 EUR, ISBN 978-3-7855-7156-9

Carsten Kuhr

Kennen Sie Vergnügungsparks? Ich meine jetzt weniger den Europa-Park in Rust oder Legoland, nein eher schon Disneyworld oder die Parks der großen Filmstudios in den USA. Dort wird dem Besucher vorgegaukelt, dass er sich in einer anderen Welt, in einer überzeugend ausgestalteten fremden Umgebung befindet, in der er dann seine Abenteuer erlebt. Ian Beck hat diese Idee für seinen Roman genutzt.

Wir schreiben das Jahr 2048. In London, an historische Stätte – die durch den großen Finanzcrash erschwinglich wurde – hat der Großindustrielle Buckland seine Vision verwirklicht. Er sprengt sämtliche neueren Gebäude der ehemaligen Hauptstadt des britischen Empires, renoviert die historischen Häuser und baut entsprechende Bauwerke hinzu. Überspannt wird das Ganze von einer gigantischen Kuppel, die das Klima bestimmt. Und innerhalb der Kuppel leben Freiwillige wie zur Zeit Königin Victorias. Es gibt ein paar wenige Begüterte, dazu viele Arbeiter, Bettler und Diebe. Die medizinische Versorgung entspricht ebenso dem Standard des 19. Jahrhunderts, wie die drakonischen Strafen für Verbrecher. Mörder werden gehängt, und die Hinrichtungen sind bei den Gaffern, Menschen aus der Außenwelt, die in Zeppelinen und authentisch gekleidet ihre Besuch teuer bezahlen, mehr als beliebt.

In dieser Welt wächst ohne Wissen, dass es eine Scheinwelt ist, ein Mädchen mit ganz besonderen Fähigkeiten auf. Eve verlässt, um ihren Vormund vor den Angriffen des Phantoms, eines grausamen Mörders der Jack the Ripper nachempfunden wurde, zu schützen, ihr Heim und flieht zu fahrenden Schaustellern. Im Verlauf der Handlung aber muss sie erkennen, dass sie mit dem Phantom mehr verbindet, als die Opferrolle. Zusammen mit einem sympathischen Taschendieb und ihrem Bruder aus der Außenwelt macht sie sich daran, das Geflecht aus Lügen, Verkommenheit und Profitgier zu enttarnen, und den Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen – und sie stoßen dabei auf ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit ...

Kaum ein Zeitalter ist bei den Autoren so beliebt wie die Herrschafts-Ära Königin Victorias. Das 19. Jahrhundert mit seiner beginnenden Industrialisierung, dabei aber immer noch mit anheimelnder Gasbeleuchtung in den Straßen mit Pferdekutschen und ersten Dampflokomotiven, mit Inspektor Lestrade und dem Ripper, begeistert Leser wie Verfasser gleichermaßen. Mischt sich die Handlung dann mit phantastischen Elementen, dann spricht man vom Subgenre des sogenannten Steampunks. Während sich solche Romane in anderen Ländern wie warme Semmeln verkaufen, kann sich das teutonische Publikum mit derartiger Lesekunst kaum anfreunden. Entsprechende Romane werden kaum publiziert, die wenigen, die aufgelegt werden, schlummern zumeist in den Regalen der Buchhandlungen.

Umso mehr ist es zu begrüßen, dass der Loewe Verlag einen entsprechenden Roman herausbringt. Die Idee als solches ist bestechend. Ein abgeschottetes Refugium, in dem sich Menschen freiwillig vor ihrer eigenen Zeit und Entwicklung zurückziehen, ja in dem junge Menschen ohne das Wissen um die Außenwelt aufwachsen. Dazu mit den Gaffern die Besucher von außen, die in Luftschiffen herangekarrt werden, Augen durch die wir staunend die uns fremde, teilweise brutal realistisch gezeichnete Welt betrachten. Es geht um die Aufklärung mehrerer Verbrechen, um die Suche nach den eigenen Wurzeln, eine Jagd um das persönliche Überleben der Protagonisten.

So beeindruckend die Kulisse auch ausgefallen ist, die Personen können leider nicht überzeugen. Die Charaktere bleiben flach, nehmen nie wirklich Gestalt und Leben an. Das ist umso bedauerlicher, als die Figuren per se durchaus Potential hätten und sympathisch angelegt sind. Sowohl der mysteriöse, und damit interessante Bösewicht (das Phantom), als auch Eve, gar nicht zu reden vom gutherzigen Taschendieb, sind von ihrer Anlage her geeignet, den Leser in ihren Bann zu ziehen. Leider bleiben sie undifferenziert, weder ihre Motivation noch ihre Charakterentwicklung werden glaubwürdig aufgebaut. Hier hat Beck viel Potential verschenkt.

Die Idee als solche ist interessant, das Setting stimmig, es fehlt aber an glaubwürdig agierenden Figuren um das Buch wirklich loben zu können.