Ulrike Stutzky: Das Rad der Fortuna (Buch)

Ulrike Stutzky
Das Rad der Fortuna
AAVAA, 2013, Paperback, 280 Seiten, 11,95 EUR, ISBN 978-3-86254-890-3 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Irene Salzmann

Eberstein, 1346: Die Geschäfte des Krämers Dietrich Berlinger laufen gut. Auch seine Familie, bestehend aus seiner Frau Elsina, dem Sohn Niclas sowie den Töchtern Greda und Katherine, macht ihn glücklich. Sie alle sind fleißig und führen ein gottgefälliges Leben. Infolgedessen behagt es Dietrich gar nicht, als er von den Ratsherren gebeten wird, zwei wichtige Gäste zu beherbergen und sie im Auge zu behalten. Mit den Angelegenheiten der Höhergestellten will er nichts zu tun haben, da sich daraus - davon ist er überzeugt - bloß Unheil ergeben kann.

Ihm bleibt jedoch keine andere Wahl, denn verärgern darf er die einflussreichen Räte nicht. Kurz darauf treffen der düstere Lukas Cardo aus Speyer und der aufgeschlossene Balthasar Brunner aus Straßburg ein. Beide sind als Unterhändler für ihre Heimatstädte gekommen, die eine Allianz bilden wollen, um einerseits Kaiser Ludwig (IV-, auch Ludwig der Bayer aus dem Haus Wittelsbach, 1282 (oder 1286) bis 1347) zu unterstützen und andererseits einander zu helfen gegen feindlich gesinnte Fürsten und Bischöfe sowie deren marodierenden Anhänger, die sich bereits auf die Seite des Gegenkönigs Karl (IV., Markgraf von Mähren, römisch-deutscher Kaiser ab 1355, 1316-1378) geschlagen haben.

Dietrich lässt die Gäste von seinem Knecht Konrad beschatten, der tatsächlich einige seltsame Beobachtungen macht, die darin gipfeln, dass die Männer offenbar versuchen, die Zunftmeister aufzuwiegeln, welche danach streben, die Stellen der Räte einzunehmen. Die Verschwörung wird aufgedeckt, die Beteiligten werden hingerichtet und der wahre Strippenzieher, an dessen Händen viel Blut klebt, entkommt.

Für seine Mithilfe wird Dietrich belohnt: Einer der Ratsherren macht seinen Einfluss geltend, sodass Niclas und Konrad in Italien von den dortigen namhaften Kaufleuten lernen dürfen. Die jungen Männer erleben viel, denn auf der Reise müssen sie allerlei Gefahren überstehen. Niclas verliebt sich in die hübsche Antonella, doch dann bricht die Pest aus und fordert viele Opfer, auch unter den Menschen, die Niclas und Konrad wichtig sind. 1350 kehren die beiden nach Eberstein zurück. Sie haben sich verändert - genauso wie ihre Heimat.


Man merkt dem Buch an, dass die Verfasserin Geschichte studiert und sich intensiv mit dem 14. Jahrhundert befasst hat, mit den politischen Hintergründen, den religiösen Strömungen, den lokalen und länderübergreifenden Katastrophen und dem alltäglichen Leben der Menschen.

Die Auseinandersetzungen der Fürsten und die Intrigen ihrer Handlanger spielen lediglich eine untergeordnete Rolle und liefern die Auslöser für unerwartete Entwicklungen wie die Lehrjahre von Niclas und Konrad in Verona. Im Mittelpunkt steht das Schicksal der einfachen Menschen, die kaum mehr als Schachfiguren der Mächtigen sind und über sich ergehen lassen müssen, was diese entscheiden, sei es im Großen, sei es innerhalb einer kleinen Gemeinde. Jeder von ihnen hat seinen von Gott zugewiesenen Platz, und nach Höherem zu streben, gilt als eitel und hochmütig und fordert Gottes Strafe heraus.

Dietrich Berlinger, ein Kind seiner Zeit, ist zufrieden, mit dem, was er durch ehrliche Arbeit erworben hat, und seinem Gott dankbar, denn was er anpackte, ist ihm stets gelungen, sodass er und seine Familie ein annehmbares Leben führen können. Infolgedessen gerät er in eine Zwickmühle, als er wider Willen in die Angelegenheiten der Stadtoberen hineingezogen wird, denn das sind nicht seine Kreise. Allerdings darf es sich nicht mit diesen Männern verscherzen, die die Macht haben, ihm die Erlaubnis zu entziehen, seinen Krämerladen zu betreiben. Obwohl er kein gutes Gefühl dabei hat, fügt sich Dietrich den Wünschen der Ratsherren, und tatsächlich müssen mehrere Männer sterben, nachdem er und Konrad gezwungen waren, gegen sie auszusagen. Für seine Dienste wird er damit belohnt, dass Niclas und Konrad in Verona von reichen Kaufleuten deren Sprache, Gebräuche und Art des Handels lernen dürfen.

Der Aufbruch der jungen Männer rückt nun deren weiteres Schicksal in den Fokus. Es werden die mannigfaltigen Gefahren geschildert, denen Reisende in jenen Zeiten ausgesetzt waren: das Wetter, unpassierbare Wege, Unfälle, Krankheiten, Raubritter, Wegelagerer. Schließlich erreichen sie ihr Ziel, und alles scheint sich zum Guten zu wenden, bis die Pest ausbricht. Die noch Gesunden verschanzen sich in ihren Häusern oder fliehen aufs Land in der Hoffnung, dem Tod entrinnen zu können.

Diese Katastrophe, der Unzählige zum Opfer fallen, zieht Veränderungen nach sich. Als Niclas und Konrad einige Jahre später nach Eberstein zurückkehren, sind etliche der alteingesessenen Familien ausgelöscht, und die wenigen Überlebenden haben neue Positionen inne, die besetzt werden mussten. So gelingt auch dem intelligenten und tatkräftigen Konrad der gesellschaftliche Aufstieg durch die Ehe mit Katherine, deren Namen er annimmt, und seinen Fleiß, der ihn zum reichen Kaufmann und sogar zum Ratsherrn macht.

Das alles ist sehr realistisch und nachvollziehbar, zudem spannend erzählt. Ulrike Stutzky erlaubt es ihrem Publikum, in eine mittelalterliche Welt einzutauchen und die Freuden und Nöte der einfachen Menschen mitzuerleben. Die Handlung spielt an verschiedenen Orten, und es sind zahlreiche Personen involviert, die ihre Rollen erfüllen und für eine gewisse Zeit zu Weggefährten der Berlingers werden.

„Das Rad der Fortuna“, das sich ständig dreht und die Menschen mal ganz oben und dann wieder ganz unten sein lässt, ihnen im Wechsel Glück und Pech beschert, ist ein gut gewählter Titel für dieses interessante und packende Buch. Das Cover ist zwar sehr hübsch, würde aber eher zu einem Fantasy-Roman oder zu einem Historischen Roman passen, in dem eine Frau mit den Konventionen bricht und ihr Leben und das Schwert selbst in die Hand nimmt.

Insgesamt ein sehr lesenswertes Buch, das neugierig auf weitere Titel der Autorin macht!