Jens Lubbadeh: Unsterblich (Buch)

Jens Lubbadeh
Unsterblich
Heyne, 2016, Paperback, 446 Seiten, 14,99 EUR, ISBN 978-3-453-31731-4 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Armin Möhle

Marlene Dietrich lebt. In der Zukunft, versteht sich. Und verschwindet spurlos. Das ist die Ausgangssituation des Debüt-Romans des Journalisten Jens Lubbadeh. Marlene Dietrich ist freilich kein biologischer Klon, sondern ein digitaler, ein sogenannter ‚Ewiger‘, ein Computerprogramm, basierend auf allen Informationen, die man über sein Vorbild beschaffen konnte (bei den zeitgenössischen Menschen ist das einfacher: Sie tragen einen Lebenstracker - nomen est omen).

Die Ewigen haben kein Bewusstsein. Wahrnehmbar sind sie nur über das ‚NeurImplantat‘, das fast jedem Menschen in sein Gehirn eingesetzt wurde. Was auch zur Folge hat, dass die Ewigen von Kameras nicht aufgezeichnet werden können und sie für Tiere nicht existieren.

 

Puh. Was für eine komplizierte Konstruktion! Aber warum sollte die Zukunft unkompliziert werden…?!


Und Marlene Dietrich ist nicht mehr auffindbar. D. h., ihr Ewiger, versteht sich. Das ist bislang für völlig unmöglich gehalten worden. Benjamin Kari, Mitarbeiter der Zertifizierungsgesellschaft Fidelity (die dafür sorgt, dass die Ewigen ihren realen Vorbilder entsprechen) wird damit beauftragt, der Angelegenheit nachzugehen. Er reist nach Deutschland, spricht mit dem Regisseur Lars von Trier, der einen Film mit Marlene Dietrich drehen wollte, sucht das Restaurant auf, in dem die Diva zuletzt gesehen wurde, und trifft auf die Journalistin Eva Lombard, die sich mit dem Immortal-Konzern, der die Ewigen programmiert, beschäftigt.

Soweit klassische Ermittlungsarbeit. Dann stirbt von Trier eines ungeklärten Todes, und der Kellner, der die Dietrich zuletzt bediente, wird ermordet. Der Roman wird anschließend ungleich actionreicher und wartet mit spektakulären Szenen auf, sowohl in der virtuellen als auch in der realen Welt. Eva Lombard und Benjamin Kari nehmen die Spur Reuben Mars’ auf, eines ehemaligen Mitarbeiter von Immortal, der den Ewigen ein Bewusstsein geben will. Was sie wiederum der Manipulation von Immortal entziehen würde.


Nun, wie sich der Autor die Bewusstseinswerdung eines Computerprogramms vorstellt, erklärt er nicht. Es ist nur allgemein von einem ‚Algorithmus‘ die Rede, der in die Daten der Ewigen eingespeist werden muss. Und die dann, als Nebeneffekt, real werden (als Folge einer Licht-/Materieumwandlung…?!). Unsterblichkeit via Digitalisierung ist ein annehmbares Konzept in der Science Fiction, aber diese Ewigen benötigen keine Realwelt, sondern eine Datensphäre. Sie in die Realwelt zu transferieren, stellt einen - sagen wir: Medienbruch dar. Um der Action willen muss der Autor über diese Widersprüche und unbeantworteten Fragen hinweggehen.

Das ist schade, da der Autor in „Unsterblich“ durchaus die Probleme andeutet, die sich aus dem Zusammenleben von lebenden Menschen und Ewigen ergeben können. In ihrer Familie, in ihrer Partnerschaft etc. Dass das die Immortalisierung die Gesellschaft spaltet.

Einige amüsante Notizen am Rand: 2044 existiert der NDR noch (sic!), und der Autor sieht Hillary Clinton als US-Präsidentin voraus. In seinem Interview in der „phantastisch!“ 64, das vor der letzten US-Präsidentenwahl entstand, sicherte er sich für die Wendung ab, die tatsächlich eintrat: „Ja, ich hätte tausendmal lieber einen berechenbaren digitalen JFK als einen erratischen analogen Donald Trump.“ Den digitalen JFK hat er tatsächlich - in „Unsterblich“.

Es bleibt schwierig, was die Machbarkeit der Unsterblichkeit angeht, sowohl in Realwelt als auch in der Science Fiction. Auch Jens Lubbadeh hat - in dem Genre, versteht sich - kein schlüssiges Konzept vorgelegt.