Ransom Riggs: Die Bibliothek der besonderen Kinder (Buch)

Ransom Riggs
Die Bibliothek der besonderen Kinder
(Library of Souls, 2015)
Übersetzung: Silvia Kinkel
Knaur, Taschenbuch, 542 Seiten, 14,99 EUR, ISBN 978-3-426-52027-7 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Gunther Barnewald

Diesmal hat der Autor (im Original) zum Glück nur ein Jahr gebraucht, um endlich den Abschlussband seiner Trilogie vorzulegen. Soweit die gute Nachricht. Die schlechte ist, dass dieser Band leider nicht mehr ganz die Kraft und die unwirklich-überirdische Ausstrahlung der ersten beiden Bände hat (und das man sich beim Verlag leider dazu entschlossen hat, den dritten Band nicht als Hardcover wie die anderen beiden Romane erscheinen zu lassen, sondern als Taschenbuch, was im Regal in der Zusammenschau keinen schönen Eindruck hinterlässt!).

Verglichen mit dem, was sich andere Schriftsteller im Bereich der Phantastischen Literatur ausdenken, ist dieser dritte Band zwar noch immer hervorragend und außergewöhnlich, nach den hohen Standards, die der Autor selbst gesetzt hat, fällt das Buch jedoch deutlich ab.

Oberflächlich betrachtet wird dies schon beim Anschauen der immer noch wunderbaren, aber längst nicht mehr zauberhaften alten Photos auffällig. Hier fehlen die „übersinnlichen” Bilder der Vorgängerbände völlig. Egal ob das kleine Mädchen mit dem Loch, der unsichtbare Junge oder andere Illusionen sucht man im Abschlussband der Trilogie vergeblich. Lediglich das auch als Coverphoto verwendete Bild mit dem Jungen, der scheinbar Eulenflügel hat (bei dem man aber gleich bemerkt, dass er nur vor einer ausgestopften Eule posiert), hat noch etwas von der alten Magie. Viele andere Bilder wirken dagegen profan, auch wenn schöne alte Aufnahmen unter ihnen zu finden sind.

Ähnlich wirkt auch die hier erzählte Geschichte. Zwar schafft es Riggs noch einmal, die eine oder andere interessante Figur einzuführen (vor allem den Fährmann Sharon mit der schwarzen Kapuze und einer Größe von 2 Meter 10, die Grimmbären oder die Heilerin Mother Dust), ansonsten läuft aber zu viel auf den Endkampf der Guten gegen die Bösen hinaus. Auch die Reise in eine viktorianische Zeitschleife, die im berüchtigten Londoner Stadtviertel Devil’s Acre endet, bleibt leider unbefriedigend, da des Autors Beschreibung der dortigen Zeit und der schlimmen Verhältnisse blass und oberflächlich bleibt (üble Gerüche und gravierend mangelhaft Hygieneverhältnisse sind halt nicht alles, was diese Zeit kennzeichnete).

Aber auch hier muss einschränkend gesagt werden, dass der Autor noch immer in der Lage ist, eine packende Geschichte zu erzählen und den Leser nochmals auf 500 Seiten fest in seinen Bann zu ziehen. Denn der Kampf des jungen Jacob Portman und seiner Helfer gegen die bösen Wights und deren Helfershelfer, die Hollowgasts, ist wahrlich fesselnd und sehr unterhaltsam.


Erneut muss Jacob um die Befreiung der Ymbrynen und der besonderen Kinder kämpfen, begleitet von der jungen Emma, deren Hände Hitze und Feuer produzieren. Mit Hilfe von Sharon, der in Devil’s Acre touristische Flussausflüge anbietet, gelingt es den Jugendlichen, die Wights in deren eigener Festung zu stellen. Und Jacob entdeckt, dass er noch eine andere Fähigkeit hat, als nur die Gabe, die unsichtbaren Hollowgasts zu sehen und sprachlich oberflächlich zu beeinflussen. Schließlich stoßen die Protagonisten auf ein großes Geheimnis aus alter Zeit, welches unendliche Macht verspricht, bisher aber immer zum Untergang der Ehrgeizigen führte: Die Bibliothek der Seelen im sagenumwobenen Abaton, wo alle mächtigen Energien einstiger Besonderer aufbewahrt und nutzbar gemacht werden können, um die Weltherrschaft anzustreben, so wie dies der fiese Caul beabsichtigt. Und so kämpfen Jacob und seine Verbündeten nicht nur um ihr eigenes Schicksal, das der Ymbrynen und aller Besonderen, sondern auch um das der ganzen Menschheit...


So weit so trivial. Dass die farbenprächtigen Details der Geschichte von der eigentlich trivialen Grundkonstellation ablenken, ist das größte Verdienst des Autors. Aber manchmal ist weniger halt mehr und vielleicht sollte man Regisseur Tim Burton einfach nur gratulieren, der in der Verfilmung des Stoffes nur einen Teil braucht, um die Handlung zu einem vernünftigen Ende zu bringen. Dadurch fällt nicht allzu sehr auf, dass der Vorlage durch ihr Detailreichtum und die seltsamen Ideen fesselnder Geschichte zum Schluss etwas die Luft ausgeht.

Wer die ersten beiden Teile mochte, wird sicherlich auch den dritten Teil verschlingen. Wer das gleiche innovative Niveau erwartet, wird eher enttäuscht sein und sich wünschen, Ransom Riggs habe sich etwas kürzer gefasst. Manchmal liegt tatsächlich in der Kürze die wahre Würze!