Wonderland 1: Rückkehr ins Wunderland (Comic)

Raven Gregory, Ralf Tedesco & Joe Tyler
Wonderland 1
Rückkehr ins Wunderland
(Return to Wonderland # 0-6, 2009)
Aus dem Amerikanischen von Sandra Kentopf
Titelbild und Zeichnungen von Rich Bonk & Daniel Leister
Farben von Thomas Mason & Nei Ruffino
Panini, 2010, Paperback mit Klappenbroschur, 192 Seiten, 19,95 EUR, ISBN 978-3-86607-986-1

Christel Scheja

Lewis Carrolls "Alice im Wunderland" ist 2010 durch die filmische Umsetzung von Tim Burton für Disney wieder in das Interesse der Öffentlichkeit gerückt, vermutlich der beste Zeitpunkt für Panini die Comicreihe "Wonderland" zu veröffentlichen, die bereits im vergangenen Jahr in den USA erschien. Denn gerade viele phantastische Autoren lassen sich von der Skurrilität und Zweideutigkeit der eigentlich als Erbauung für junge Mädchen aus dem Bekanntenkreis von Carroll gedachte Geschichte inspirieren, gerade wenn sie sich dem "Goth" ergeben haben. Auch "Rückkehr ins Wunderland" atmet diesen Geist.

Sie erzählt die Geschichte der jungen Carroll-Ann. Das Mädchen glaubte bisher, in einer ganz normalen Familie zu leben, mit einem netten Vater, einer liebevollen Mutter und einem lästigen kleinen Bruder. Doch als ihre Mutter Alice versucht sich umzubringen und seither nicht mehr die gleiche ist, verändert sich alles um Carroll-Ann herum schrittweise. Erst räumt man alle Dinge aus dem Weg, die Alice erschrecken, wie etwa ein großer Wandspiegel, dann verdonnert der Vater sie dazu, sich immer öfters um die teilnahmslose Mutter zu kümmern

Erst versucht das Mädchen noch, diese Entwicklungen auszublenden und das zu tun, was alle anderen ihres Alters auch tun – sich einen Freund anzulachen und mit dem netten aber etwas einfältigen Brandon erste sexuelle Erfahrungen zu machen. Doch das geht nicht mehr, als ihre Mutter zur Therapie einen Hasen bekommt, aus dessen Albino-Augen abgrundtiefe Bosheit spricht. Ihre Mutter liebt ihn allerdings heiß und innig. Doch als das Tier verschwindet, wird Carroll-Ann immer öfter von Albträumen heimgesucht. Einer, der ihren Bruder als Psychopathen zeigt, führt sie schließlich in den Keller.

Da erwacht der alte Wandspiegel zum Leben. Er entführt Carroll-Ann in eine fremde und erschreckende Welt. Denn das "Wunderland", dass sie nun kennenlernt, hat nicht mehr viel mit den magischen und harmlosen Visionen aus dem 19. Jahrhundert zu tun. Der Verrückte Hutmacher ist ein wahnsinniger alter Mann mit den Gelüsten eines Kannibalen, die Raupe auch ein wenig mehr an Alice Körper als an ihrem Geist interessiert ... und nicht zuletzt erwartet sie am Hof der Herzkönigin eine Entscheidung über Leben und Tod...

Doch das ist nur der Anfang des Grauens, wie sie bei der Rückkehr in die reale Welt feststellen muss.

Die Graphic Novel ist nicht die erste Umsetzung von "Alice im Wunderland" in ein Goth-Märchen. Auch das ein oder andere Computerspiel hat die Visionen von Lewis Carroll schon in einen Horror-Szenario verwandelt und mit Grauen erfüllt und es gibt sicherlich auch genug Nacherzählungen in Textform, die nicht nach Deutschland gekommen sind. In dieser Hinsicht steht "Rückkehr ins Wunderland" in einer interessanten Tradition.

Wer einen Hauch düsterer Erotik erwartet wird ebenso zufrieden gestellt, wie die Fans von Hardcore-Horror, denn nicht nur im Wunderland fliegen Köpfe und andere Gliedmaßen und fließt Blut in Strömen. Hin und wieder wirkt das wie reiner Selbstzweck und um die Leser zu schocken, doch hin und wieder haben die grausigen Bilder auch einen tieferen Sinn. Der Horror weitet sich nämlich schleichend (aber gekonnt) auf die reale Welt aus und demaskiert sehr schnell die typische weiße Mittelstands-Vorstadtfamilie. Die Geschichte zieht alle Register um die Motivation der Figuren zu begründen. Und so ist Carroll-Ann am Anfang die einzige unbefleckte Unschuld – auch wenn sich das während ihrer Reise durch das Wunderland sehr schnell ändert. Anders als ihre Mutter zerbricht sie jedoch nicht an den Prüfungen, sondern entwickelt Stärke. So ist der Band zwar in sich geschlossen, lässt sich aber ein interessantes Hintertürchen offen.

Alles in allem weiß "Rückkehr ins Wunderland" all jene zu fesseln, die es schon einmal sehr horrorlastig böse, zynisch und grausam mögen oder zwischen den Zeilen zu lesen verstehen. Die Alterskennzeichnung ist durchaus angemessen, nicht nur wegen der Brutalität der Geschichte sondern auch einiger Aussagen, die für jüngere Leser doch zu gewagt sind.