Jules Verne: Das Geheimnis des Wilhelm Storitz (Buch)

Jules Verne
Das Geheimnis des Wilhelm Storitz
(Le Secret de Wilhelm Storitz, 1910)
Übersetzung: Gaby Wurster
Vorwort: Franz Rottensteiner
Piper, 2009, Taschenbuch, 272 Seiten, 8,95 EUR, ISBN 978-3-492-26692-5

Rezension von Irene Salzmann

Von Jules Verne (1828-1905) kennt man viele Klassiker der Phantastik. Nach seinem Tod veröffentlichte sein Sohn Michel einige weitere bearbeitete Manuskripte, die teilweise, sofern die Originalskripte verfügbar waren, Jahrzehnte später in ihrer ursprünglichen Form erneut publiziert wurden. Zu diesen Geschichten zählt auch „Das Geheimnis des Wilhelm Storitz“, das bei Piper ohne die nachträglichen Korrekturen und Erweiterungen erschien.

 

Henry Vidal reist mit dem Schiff von Paris nach Ragz in Ungarn, um bei der Hochzeit seines jüngeren Bruders Marc mit der schönen Myra anwesend zu sein. Zu seiner Verwunderung wird er vor einem gewissen Wilhelm Storitz, dem Sohn eines berühmte deutschen Wissenschaftlers, gewarnt, der vor Marc um Myras Hand angehalten hatte und abgewiesen worden war. Zwar nimmt Henry den Hinweis ernst, sieht aber keinen wirklichen Grund zur Besorgnis, bis er dem Rivalen seines Bruders auf dem Schiff begegnet und dessen Hass erkennt.

In Ragz scheint alles in bester Ordnung zu sein. Marc und Myra sind bis über beide Ohren verliebt, die Familie der Braut nimmt Henry überaus freundlich auf, und die Vorbereitungen auf den Festtag folgen dem üblichen Zeremoniell. Doch Storitz bittet erneut um Myras Hand und setzt die Familie durch Drohungen unter Druck, die darin gipfeln, dass der Blumenstrauß und der Kranz der Braut unmittelbar vor der kirchlichen Zeremonie zerstört beziehungsweise gestohlen werden. Und dann ist Myra plötzlich verschwunden!


In erster Linie ist das vorliegende Buch ein Reise-Roman, denn Jules Verne erzählt ausführlich von Henry Vidals Fahrt auf einem Donau-Schiff und seinen gelegentlichen Ausflügen an Land und den Besichtigungstouren an seinem Zielort Ragz. Nach aktuellem Ermessen entsprechen die Schilderungen nicht der political correctness, denn der Franzose Jules Verne lässt kein gutes Haar an den Deutschen beziehungsweise Preußen, den „Zigeunern“ (die man nun nicht mehr so nennen darf), Juden und anderen Volksgruppen.

Obwohl der Autor auf diese Weise sehr viele Seiten schindet, ist sein Hauptanliegen die Hochzeit eines jungen Paares, die empfindlich durch einen eifersüchtigen Rivalen gestört wird, der sich einer fantastischen Erfindung seines Vaters bedient, um die Verbindung zu zerstören und eigene Ansprüche anzumelden. Tatsächlich erfährt man nie, weshalb Wilhelm Storitz auf Myra fixiert ist, warum er ausgerechnet sie zur Frau begehrt und trotz mehrfacher Abweisung nicht aufgibt, zumal er als ein Mann geschildert wird, der zwar über ein Vermögen, in Ragz aber bloß über ein verwahrlostes Heim verfügt. Nach der französischen Niederlage gegen Deutschland/Preußen unter Bismarck 1871 offenbar die literarische Retourkutsche.

Storitz hat seine Möglichkeiten, die der moderne Leser früh erahnt und die spät formuliert werden („Rocky Horror Picture Show“: „… when Claude Rains was the invisible man …“). Dieser fantastische Aspekt nimmt nur sehr wenig Raum ein, wird langatmig vorbereitet, wäre als Kurzgeschichte ohne die ausufernden Reisebeschreibungen wesentlich straffer und spannender vermittelbar gewesen.

Trotzdem, für Verne-Fans und die Freunde der klassischen Phantastik eine interessante Lektüre, die nicht ganz so endet, wie es die meisten sicher erwarten dürften.