Grady Hendrys: Horrorstör (Buch)

Grady Hendryx
Horrorstör
(Horrorstör, 2014)
Übersetzung: Jakob Schmidt
Illustrationen: Michael Rogalski
Knaur, 2015, Paperback, 276 Seiten, 16,99 EUR, ISBN 978-3-426-51722-2 (auch als eBook erhältlich)

Von Gunther Barnewald

Das Buch wirkt auf den ersten Blick wie der Hochglanzkatalog eines Möbelhauses, sowohl was Format als auch Anmutung betrifft. Wobei sowohl Titelbild als auch Rückseite bei genauerem Hinsehen verraten, dass es sich hier um einen Horror-Roman handelt.

Und zwar um einen verdammt guten, nicht nur wegen der ungewöhnlichen Aufmachung (auch auf den Innenseiten finden sich immer wieder Anzeigen und Möbelillustrationen eines imaginären Möbelhauses namens Orsk, welches sich bewusst an den Erfolg des Möbelriesen Ikea anlehnen will) und der vielen tollen Ideen, welche hier oft auch optisch umgesetzt werden. Sondern auch, weil hier eine packende Geschichte zwar nicht ganz klischeefrei, aber mit viel Schmackes und Verve erzählt wird, welche den Leser mit Haut und Haaren packt und bis zum durchaus interessanten Ende nicht aus den Klauen lässt.

Zudem ist es erstaunlicherweise ein Debüt-Roman, Grady Hendrix hat bisher noch kein anderes Buch veröffentlicht. Da muss man dann schon sagen: Chapeau!


Erzählt wird aus der Sicht der Angestellten Amy, die eine von jenen prekären Arbeitsstellen hat, wie sie in den heutigen USA so häufig sind. Neben ihrer Tätigkeit als Verkäuferin beim (imaginären) Möbelriesen Orsk hat sie noch einen weiteren Job. Trotzdem schafft sie es kaum, die laufenden Kosten abzudecken, ständig schuldet sie den Leuten in ihrer WG Geld und zudem muss sie einen Kredit, den sie dereinst für ein (später abgebrochenes) Studium aufgenommen hatte, zurückzahlen.

Während sie, manchmal zwischen den Jobs im Auto übernachtend, um ihre Existenz kämpft, beginnt ihr das Leben immer mehr zu entgleiten. Zumal sie den Verdacht hat, dass ihr neuer Vorgesetzter Basil, der stellvertretende Filialleiter bei Orsk, sie nicht leiden kann. Dabei hatte sich Amy extra in die neu errichtete Filiale nach Cuyahoga versetzen lassen, da sie hier hoffte, für sich neuen Elan entwickeln zu können und vielleicht irgendwann eine bessere (vielleicht sitzende) Tätigkeit zu ergattern.

Leider läuft gar nichts rund in der neuen Filiale, weder für Amy, noch für die Firma Orsk. Die Verkaufszahlen sind schlecht, die elektrischen Geräte (Rolltreppen, automatische Türen etc.) drehen durch, morgens finden sich mit Fäkalien besudelte Möbelstücke und auch sonst passiert Ungewöhnliches, vor allem in den Nächten im Möbelhaus. Deshalb beschließt Basil (der Amy, zu deren Erstaunen, ganz gut leiden kann), mit zwei Angestellten eine Nachtwache einzurichten.

Neben Amy soll die nette Ruth Anne, die schon seit 14 Jahren für Orsk arbeitet und wegen ihrer freundlichen und mitfühlenden Art von allen Kollegen geschätzt wird, den stellvertretenden Filialleiter auf der Nachtwache begleiten. Doch kaum ist die Geschäftszeit beendet, finden Amy und Ruth Anne auch noch ihre Kollegen Matt und Trinity im Laden wieder, die heimlich ein Gespenstervideo drehen wollen. Als dann auch noch der obdachlose Carl auftaucht, der hier oft seine Nächte verbringt, scheinen sich einige der unheimlichen Vorgänge rational erklären zu lassen und die Anspannung bei den Beteiligten lässt nach.

Vielleicht wäre alles gut gegangen, hätte die gespenstergläubige Trinity nicht ausgerechnet vorgeschlagen, eine Séance abzuhalten, die den Spuk zu vollem Leben erweckt.

Nach Carls grausamem Tod wird schnell klar, dass hier möglicherweise keiner mehr lebend rauskommt...


Zwar hätte der Autor an manchen Stellen durchaus etwas subtiler vorgehen können, aber man muss ihm zugestehen, dass er aus der Ausgangssituation fast das Optimale herausschlägt an Spannung und Grusel.

Die wunderbaren Illustrationen von Michael Rogalski setzen dem Ganzen noch die Krone auf. Vor allem die vorgestellten Möbel, welche sich immer mehr zu Folterinstrumenten wandeln, sind herausragende Schmalkerl dieses „ganz besonderen Möbelkatalogs“.

Ein innovatives, grandios gestaltetes Buch mit einer nervenzerfetzenden Handlung, die zwar das ein oder andere Klischee bemüht (durch ehemalige Nutzung beziehungsweise „Vormieter“ belastetes Grundstück, Séance), dies aber so geschickt verwendet, dass man als Leser diese Erzählung in einem Zug verschlingen möchte (was auch kein Problem ist, da die Seitenanzahl durchaus überschaubar und an einem Tag lesbar ist; was aber nur wieder einmal zeigt, dass wirklich gute Ideen nicht ewig ausgewalzt werden müssen).

Aus meiner Sicht ein absolutes Highlight dieses Buchjahres, vor allem wegen der perfekten Aufmachung: Der genialste „Möbelkatalog“, den ich jemals in der Hand gehalten habe!