From Hell (Comic)

Alan Moore & Eddie Campbell
From Hell
(From Hell, 1991,1993-1998,2008,2015)
Übersetzung aus dem Englischen von Gerlinde Althoff
Titelbild und Zeichnungen von Eddie Campbell und Pete Mullins
Cross Cult, 2015, Paperback, 592 Seiten, 35,00 EUR, ISBN 978-3-86425-813-8

Von Christel Scheja

„From Hell“ ist wohl Alan Moores und Eddie Campbells ambitioniertestes Werk. Sie tragen in ihrer Geschichte wohl alle Theorien und Ideen über die Identität von Jack the Ripper zusammen, den bis heute unbekannten Mörder von fünf Prostituierten im Londoner Stadtteil Whitechapel. Dabei dauerte seine Mordserie im Jahr 1888 nur wenige Monate an. Die ausführliche und kommentierte Gesamtausgabe erschien bereits 2008 bei Cross Cult, nun liegt eine etwas preisgünstigere Paperback-Ausgabe vor.

Alles beginnt mit einer einfachen Liebesgeschichte. Der junge Künstler Walter Sickert verliebt sich in die Süßwarenverkäuferin Annie Crook. Mit ihr hat er eine Affäre und schließlich auch eine Tochter, die süße Alice Margaret. Er heiratet sie schließlich sogar in einer kleinen Zeremonie. Das Glück scheint vollkommen, doch dann wird Walter aus heiterem Himmel verhaftet und verschwindet auf Nimmerwiedersehen. Anne wird nur kurze Zeit später in ein Irrenhaus verschleppt, wo man ihren Verstand zerstört. Nur die kleine Alice ist nicht aufzufinden und könnte so noch immer für einen Skandal sorgen.

Denn Walter ist kein Mann aus dem Volk wie alle glaubten. Tatsächlich stammt er aus dem Hochadel und ist Prinz Eddy, einer der vielen Enkel von Königin Viktoria. Die will, das das Gerede nicht noch weitere Bahnen schlägt und beauftragt ihren Leibarzt Sir William Gull dezent, nach dem Kind und der Prostituierten Marie Kelly zu suchen, die sich der Kleinen angenommen haben soll.

Der freut sich über die Bitte seiner Monarchin, hat er doch etwas ganz anderes im Kopf. Als praktizierender Freimaurer will er seinen Theorien über die Unterlegenheit des Weiblichen nun endlich Beweise hinzufügen und nutzt aus, dass die Königin ihm Rückendeckung gibt. Die Opfer seiner Forschungen werden alle Frauen, die von der verbotenen Frucht des royalen Sprosses wissen.

Aus diesem Grund fährt er auch mit seinem Kutscher durch London und zeigt ihm die vielen Stätten in London, in denen das Weibliche bereits von männlichen Symbolen verdrängt wurde. Und kurz danach macht er John Nettles zum Mitwisser an seinem großen Werk, dem nach und nach vier Prostituierte zum Opfer fallen.

Natürlich sind Öffentlichkeit und Obrigkeit entsetzt, aber alle Fahndungen verlaufen im Sande, selbst die von Inspektor Fred Abberline, der vielleicht der Wahrheit am Nahesten kommt.

Auf der Graphic Novel basiert zwar der gleichnamige Film „From Hell“ mit Johnny Depp, aber es wurden nur einige Elemente aus der eigentlichen Geschichte entnommen und viele Details verändert. Die deutlichste betrifft Inspektor Abberline, denn dieser ist im Comic weder abhängig vom Absinth und hat im Opium alptraumhafte Visionen, sondern ist ein ganz normaler, fest mit beiden Beinen auf dem Boden stehender viktorianischer Mann.

Die Graphic Novel nimmt sich sehr viel Zeit, die Geschichte zu erzählen. Bewusst beginnt sie lange vor dem Morden und stellt die zentralen Figuren in all ihren Facetten vor. Da ist einmal die Königin, die als verbitterte alte Witwe alles dafür tut, um den Ruf ihrer Familie zu wahren – auch wenn sie damit das Glück ihrer Kinder und Enkel zerstört. Auf der anderen Seite lässt sie sich von den Visionen des zwielichtigen Sehers Nelson Edwin Lee über ihren verstorbenen Mann Albert einlullen. Sie ignoriert ganz und gar das pulsierende Leben in den Gassen und Straßen Londons, in dem all der Laster und den Untugenden gefrönt wird, die sie aus ihrem Leben verbannt hat.

Die Geschichte zeichnet daher auch als Gegensatz ein farbenfrohes Sittenbild der späten viktorianischen Zeit, das so gar nichts mit dem zu tun hat, was der Nachwelt überliefert werden soll. Gerade Whitechapel ist ein Hort der Drogen und Wollust, der letzte Hafen für die Frauen, die aus der normalen Gesellschaft ausgeschlossen wurden. Denn keine der Prostituierten verkauft sich aus Überzeugung. Die meisten haben ihren Mann verlassen, versuchen ihre Kinder durchzubringen oder wurden als Dienstmädchen ungewollt schwanger. Jedes der späteren Opfer hat somit seine ganz eigene Geschichte, die ebenfalls nicht vergessen wird.

Als Mörder haben sich die Künstler Sir William Gull auserkoren, der nach außen hin wie ein ganz normaler Gentleman und fortschrittlicher Arzt wirkt, in seinem Inneren aber von Wahnsinn zerfressen und ganz esoterischem Denken verhaftet ist. Und manchmal hat man schon das Gefühl, an diesem mystischen Hintergrund könnte etwas dran sein – schlagen sie doch auch kleine aber feine Verbindungen in die kleine österreichische Stadt Braunau.

Natürlich bekommt auch die damalige Polizei ihr Fett weg, lassen sie es sich doch auch nicht nehmen, deren Fehler und Unzulänglichkeiten aufzulisten. Denn immerhin lässt man die Ermittlungen bald mangels weiteren Beweisen fallen. Allein Abberline scheint nicht aufgeben zu wollen und verdächtigt erst einmal eine ganze Menge anderer Männer, ehe ihn ausgerechnet Nelson Lee auf die richtige Spur bringt.

Campbell beschwört durch die holzschnittartigen Zeichnungen, die zeitgenössischen Bildern aus Zeichnungen und Büchern des ausgehenden 19. Jahrhunderts nachempfunden sind und manchmal sogar entsprechende Bilddokumente nachahmen, die düsteren Seiten der viktorianischen Zeit herauf, zeigt aber auch, dass selbst in Verkommenheit und Laster, Hoffnungen, Träume und Liebe existieren können.

Allerdings gesteht dem, was auch das entbehrungsreichste Leben lebenswert macht, gerade in den unteren Schichten der Gesellschaft keine Existenzberechtigung zu. Das perfektioniert die eindringliche Milieu-Studie aus einer Zeit, in der gute und strenge Sitten alles bedeuteten, aber die strenge Reglementierung des alltäglichen Lebens hinter den Kulissen zu immer größeren Exzessen führten, die vor allem die Frauen – ob nun verheiratet oder nicht –, ausbaden mussten.

Hat man jedenfalls einmal angefangen, „From Hell“ zu lesen, kommt man nicht mehr so einfach davon los. Denn die Graphic Novel ist nicht nur in ihrer äußeren Form wuchtig, auch inhaltlich ist sie nicht leicht zu verdauen. Unwillkürlich wird man in die düstere Geschichte hineingezogen und kann nur schwer abbrechen, so tief taucht man in die Handlung ein.

Die mehr als zehnjährige Recherche hat sich bezahlt gemacht – trotz der langsamen Entwicklung bleibt die Spannung erhalten. Das ändert sich auch bei der Paperback-Ausgabe nicht, die dem Hardcover gleicht, wenn man einmal vom Cover absieht, das neu gewählt wurde.

Interessant ist auch der über mehr als fünfzig Seiten starke Anhang, in dem Alan Moore auflistet, welchen Quellen die Kapitel zugrunde liegen und was er sich dazu ausgedacht hat. Das öffnet an manchen Stellen die Augen und macht die Geschichte noch plausibler. Auch der Bonus-Comic „Tanz der Möwenjäger“, in dem er die Entwicklung des Ripper-Mythos’ nachvollzieht, tut sein Übriges dazu.

„From Hell“ ist nicht nur formal ein Mammut-Werl, ein ausgesprochen dicker Wälzer, der es in sich hat, sondern auch inhaltlich eine mehr als beeindruckende Graphic Novel, die ihr Geld mehr als wert ist. Man wundert sich nach der Lektüre nicht mehr, warum aus der Saga letztendlich ein Klassiker geworden ist, denn dieses Werk von Moore und Campbell ist mehr als reine Unterhaltung!