Jonathan Stroud: Die Seufzende Wendeltreppe – Lockwood & Co. 1 (Buch)

Jonathan Stroud
Die Seufzende Wendeltreppe
Lockwood & Co. 1
(Lockwood & Co. – The Screaming Staircase, 2013)
Aus dem Amerikanischen von Katharina Orgaß und Gerald Jung
Illustrationen im Innenteil von Kate Adams
cbj, 2013, Hardcover, 414 Seiten, 18,99 EUR, ISBN 978-3-570-15617-9 (auch als eBook erhältlich)

Von Britta van den Boom

Sie nennen es mit typischem englischen Understatement „das Problem“: die Tatsache, dass die Toten nicht mehr tot bleiben und als die verschiedensten Arten von Geistern zurückkommen, um die Lebenden heimzusuchen. Da einige dieser Untoten keinesfalls freundlich oder harmlos sind, erwächst aus dem Problem ein ganzer Wirtschaftszweig, der alles anbietet, um sein Heim und sich selber vor Geistern zu schützen.

Und es gibt die Agenturen, deren Aufgabe es ist, die Quelle von Erscheinungen zu lokalisieren und zu vernichten, so dass die Geister Ruhe finden. Lucy Carlyle, Anthony Lockwood und George Cubbins sind solche Geisterjäger und sie setzten ihre übersinnlichen Wahrnehmungen dazu ein, Geisterhäuser zu reinigen und die Straßen Londons sicherer zu machen, allerdings mit mehr Kollateralschaden, als für ihren Ruf gut wäre. Als sich ihnen die Möglichkeit bietet, ihre Schulden zu begleichen und ihr angeschlagenes Image wieder aufzupolieren, indem sie ein ausgesprochen tödliches und verrufenes Herrenhaus untersuchen, nehmen sie den Auftrag trotz des hohen Risikos an. Doch obwohl sich das Haus als genauso grausig und gefährlich herausstellt wie erwartet, müssen sie feststellen, dass ihnen auch aus der Welt der Lebenden Gefahr droht, die mit einem ganz anderen Geist und seinem Schicksal verbunden ist.

Jonathan Stroud erschafft eine dichte alternative Realität, eine Welt, die unserer in so vielen Dingen gleicht und doch durch die nach vier Jahrzehnten fast zur Gewohnheit gewordenen Geistererscheinungen und ihre Folgen ganz anders ist. Dabei hält er sich nicht mit Erklärungen auf, sondern gibt dem Leser Gelegenheit, alles Neue und Sonderbare durch die Augen seiner Hauptfigur zu erforschen, die sich mühelos in der oft unheimlichen, auch gewaltsamen und blutigen, aber selten wirklich vom Horror gestreiften Welt bewegt. Auf diese Weise schafft er es, eine beständige Neugierde und Spannung zu halten.

Dieser Effekt wird durch den schönen, flüssigen Schreibstil noch unterstützt – Stroud benutzt nie zu viele Worte, aber stets die richtigen. Präzise und eloquent führt er den Leser durch seine Geschichte, in der es keinen Mangel an aktionsreichen Szenen gibt und doch stets genügend Raum für die Entwicklung der Charaktere, den Aufbau von Stimmung und Spannung und die Beleuchtung aller Hintergründe. Es ist ein Zeichen hervorragender Schreiberei, dass keine Szene zu lang erscheint, der Spannungsbogen nie abreißt, sondern die Erzählung in einem dynamischen Fluss vorankommt. Die eher ungewöhnliche Ich-Perspektive aus der Sicht der Agentin Lucy Carlyle erlaubt einen sehr unmittelbaren Zugang zu allen Geschehnissen, und es ist angenehm, wie sie ihre Geschichten direkt dem Leser erzählt.

Da auch der Krimi-Plot an sich, bei dem die Geisterjäger versuchen, einen jahrzehntealten Mordfall aufzuklären, durchaus interessant ist, ohne allerdings zu versuchen, mit verzwickten Kompositionen à la Agatha Christie in Konkurrenz zu treten, ist „Die Seufzende Wendeltreppe“ ein rundum unterhaltsames Buch, das durch seine Grundidee und deren Ausarbeitung sowie die Charaktere besonders reizvoll ist. Die jugendliche Zielgruppe wird sich an der Besonderheit freuen, dass alle Geisterjäger in ihrem Alter sein müssen, da die übersinnliche Wahrnehmung mit dem Erwachsenwerden vergeht. Man könnte befürchten, dass es einem älteren Publikum schwerer fällt, diesen Umstand zu akzeptieren, doch Stroud beschreibt seine jungen Helden einfühlsam, nachvollziehbar und – ihrem Beruf entsprechend – ziemlich erwachsen, so dass ihr Alter im Grund keine echte Rolle spielt.

Der erste Band von „Lockwood & Co.“ ist in sich abgeschlossen, streckt aber ein paar Erzählfäden verlockend in die Zukunft zum Folgeband „Der Wispernde Schädel“.