Interviews

Im Gespräch mit: Michael Marrak

Der 1965 geborene Michael Marrak zählt zu den herausragendsten Figuren der deutschsprachigen Phantastik. Dabei beschränkt er sich beileibe nicht auf eine Tätigkeit - neben dem Verfassen ganz eigener Texte, schrieb er die Hintergrundgeschichte und einen Roman für ein SF-Computerspiel und tritt auch immer wieder als Illustrator in Erscheinung.
Dieses Frühjahr erscheinen zwei neue Titel von ihm - bei Memoranda wurde im März mit „Lex Talionis“ der erste Teil eines phantastischen Krimis vorgelegt, im Juni folgt im Amrûn Verlag mit „Cutter ante portas“ ein weiterer, kurzer „Kanon“-Roman. Grund genug für unseren Mitarbeit Carsten Kuhr, das Gespräch mit dem vielseitigen Künstler zu suchen.

 

Hallo Michael - nachdem es in den letzten gut zehn Jahren ein wenig still um den Autor Michael Marrak geworden war, hat sich dies in den letzten Jahren gewandelt. Im Amrûn Verlag erschien „Der Kanon mechanischen Seelen“ gefolgt von weiteren Bänden, die in derselben Welt angesiedelt sind, bei Memoranda gar eine dreiteilige Ausgabe der gesammelten Kurzgeschichten und jüngst der erste Teil eines Zweiteilers. Ganz kurz, wie kam es nach „Das Aion“, einem Jugendroman bei Ravensburger, zur Zäsur?

Hallo Carsten, besagte Zäsur nahm eigentlich schon 2005 ihren Lauf, als ich begonnen hatte, für die Hannoveraner Spieleschmiede Reakktor als Autor für das Computerspiel „Black Prophecy“ zu arbeiten. Zuerst als freier Mitarbeiter, ab Frühjahr 2006 dann in Festanstellung. Das ging bis zur Insolvenz des Studios Anfang 2012. In dieser Zeit entstanden eine Reihe von Kurzgeschichten sowie der zweite Teil von „Das Aion“, doch nur die Kurzgeschichten haben den Weg in die Öffentlichkeit gefunden. Den ersten „Aoin“-Band, 2008 erschienen, hatte ich bereits vor meinem Einstieg bei Reakktor abgegeben. Erst seit Mitte 2012 arbeite ich wieder als freier Schriftsteller und Illustrator. Zu dieser Zeit hatte ich auch begonnen, „Der Garten des Uroboros“ zu schreiben.

Damals war das „Das Aion“ ja als Auftakt einer kleinen Reihe gedacht - bestehen hier Pläne, das irgendwann aufzugreifen und fortzusetzen?

Eine Trilogie war angedacht gewesen, ja. Pläne, die fehlenden Bände nachzulegen, gibt es schon lange, und auch einen Verlag, der darauf wartet. Ich bekam die Rechte am Stoff aber erst 2018 zurück, und da lag mein Fokus gerade auf anderen Projekten. Neben „Der Kanon mechanischer Seelen“, „Der Garten des Uroboros“ und „Lex Talionis“ - mit Letzterem hatte ich 2014 begonnen - sind seit 2012 noch zwei weitere sehr umfangreiche Romane entstanden, ein reiner SF-Roman und ein Lovecraftian-Horror-Roman. Beide werden etwa den Umfang von „Lord Gamma“ und „Imagon“ haben, sind aber noch nicht ganz fertig. Es fehlen jeweils noch etwa hundert Manuskriptseiten. Sie werden in den nächsten zwei, drei Jahren erscheinen.
Den Horror-Roman hatte ich eigentlich schon 2020 veröffentlichen wollen, aber dann war Corona aufgeblüht, hatte an zig Rädern gedreht, alle Parameter verschoben und letztlich die damaligen Pläne zunichte gemacht. Die Einladung als Artist in Residence nach Wien hatte schließlich für den Beginn einer völlig konträren Veröffentlichungsreihenfolge der bestehenden und entstehenden Romane gesorgt. Hätte es 2019 keine KNV-Insolvenz, keine Golkonda-Insolvenz und keine LIBRI-Remission gegeben, und würde seit Anfang 2020 keine Pandemie ihr Unwesen treiben, würden heute neben den beiden Memoranda-Story-Sammlungen ganz andere Romane von mir vorliegen: besagter SF-Roman, besagter Horror-Roman und die „Lord Gamma“-Neuauflage. Jetzt leben wir leider in einer alternativen Realität, in der es mit der unauffälligen und reibungslosen Feinjustierung allerdings noch nicht so ganz klappt, und meine Werksschau sieht völlig anders aus. Über den Was-wäre-wenn-Aspekt des Ganzen denke ich oft nach.

Die „Aion“-Trilogie wird definitiv erscheinen, allerdings nicht als Dreiteiler, sondern in einem Band. Eine Gesamtausgabe, die alle drei Teile in sich vereint, erscheint mir gegenüber jenen Lesern, die bereits den ersten Band gekauft beziehungsweise gelesen haben, als fairste Option, anstatt noch einmal mit einem neu aufgelegten Band 1 zu beginnen. Selbst wenn die Leser damit letzteren automatisch noch einmal miterwerben würden, ist eine Gesamtausgabe für sie unterm Strich günstiger, als Band 2 und 3 als Einzelbände kaufen zu müssen.

Du hast nach „Lord Gamma“ den Sprung zu den Konzernverlagen geschafft - war es in der Rückschau betrachtet ein Fehler, sich, Deine Werke den Großverlagen anzuvertrauen? Gab es da für Dich genügend Einwirkungsmöglichkeiten?

„Das Aion“ bei Ravensburger war vielleicht ein Fehler, die Zeit bei Lübbe jedoch nicht. Im Gegenteil. Ich hatte Einiges darangesetzt, wieder zu Lübbe zurückzukehren, wofür 2014 (nicht zuletzt auch aufgrund meiner beiden Kurzromane „Epitaph“ (2012) und „Ammonit“ (2013) für die eBook- und Hörbuchsparte Bastei Entertainment) die Weichen gestellt waren. Aber die Verlagsgroßwetterlage hatte sich seit „Morphogenesis“ (2005) gravierend verändert. Lübbe war 2013 an die Börse gegangen, wodurch in Sachen Veröffentlichungspolitik nun ganz andere Leute mitredeten, der Verlagsleiter war 2014 gestorben, mein damaliger Lektor hatte den Verlag verlassen, etc.

„Der Garten des Uroboros“ wäre eigentlich der Roman gewesen, der nach „Morphogenesis“ bei Lübbe hätte erscheinen sollen. Für ihn hatte ich sogar schon einen Vertrag, hatte aber 2006 den Verlag gebeten, diesen aufgrund meines Einstiegs bei Reakktor vorläufig auszusetzen, mit der Option (Verlagswunsch), dass sie den Roman nach seiner Fertigstellung als erste für die Veröffentlichung sichten und prüfen dürfen. Meine Agentur hatte ihnen den Stoff 2014 dann auch geschickt, aber es kam selbst nach seinem mehrmaligen Nachfragen nie eine Reaktion oder Antwort darauf. Aber vielleicht hatte sich das unglücklicherweise auch mit den Wirren nach dem Tod des Verlagsleiters gekreuzt. Bad Karma, morph’sche Ereignisfelder, und so...

2014 hatte mein Literatur-Agent zudem auch eine schriftliche Zusage für „Lex Talionis“ (damals noch unter dem Arbeitstitel „Kaskade“) von Lübbe erhalten. Dann war aus heiterem Himmel eine Woche später doch die Absage gekommen, womit der Verlag nicht nur meinem Agenten - um es mal diplomatisch zu formulieren - ein wenig vor den Kopf gestoßen hatte. Letzterer fand es etwas seltsam und war ebenso enttäuscht wie ich. Aber ich kenne die Verlagspolitik nicht und kann insofern nicht viel dazu sagen.

Na ja, ich bleibe am Ball, was Romane bei Großverlagen betrifft, aber Lübbe wird es wohl nicht mehr werden.

Es ist ja nicht so, dass Du mit dem Schreiben ausgelastet wärest. Deine Grafiken fanden und finden nach wie vor großen Anklang - gerade gestaltest Du für einen US-Verlag die Cover einer Charles-Platt-Ausgabe. Wie kamst Du zu dem Auftrag, wie läuft das in der Praxis ab - bist Du in regelmäßigem Kontakt mit dem Autor um die Bilder inhaltlich abzustimmen und auf dessen Anregungen einzugehen?

Den Grundstein dafür legte das Titelbild für die deutsche Erstveröffentlichung des Romans „Free Zone“, das ich vor knapp zwei Jahren für den Memoranda Verlag gestaltet hatte. Hier in Deutschland fand es keine große Beachtung, aber Charles Platt war davon so begeistert, dass er es seiner amerikanischen Verlegerin geschickt und mich empfohlen hatte. Ende 2020 bekam ich dann eine Mail von Hardy Kettlitz, dem Verlagsleiter von Memoranda, dass ein amerikanischer Verlag das Motiv gerne auch für eine US-Neuausgabe von „Free Zone“ verwenden würde, und ich solle mich bezüglich der Rechte und so weiter am besten direkt mit Charles in Verbindung setzen.

Alles Weitere hatte sich innerhalb weniger Tage (besser gesagt Nächte, der Zeitunterschied zur Westküste beträgt 9 Stunden) ergeben. Die Verlegerin hatte mich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte beziehungsweise Lust und Zeit hätte, alle Cover einer geplanten Platt-Neuauflage zu gestalten, mit einem Motiv pro Monat. Ich hatte mit höchstens vier oder fünf Büchern gerechnet, „Free Zone“ inklusive, und natürlich Ja gesagt. Inzwischen sind es acht Titel, mindestens drei weitere stecken noch in der Pipeline.

Dass in den USA eine Neuauflage aller SF-Romane von Charles Platt in Arbeit war, wusste ich zuvor nicht. Ursprünglich waren auch nur eBooks geplant gewesen, doch inzwischen gibt es von den ersten Büchern offenbar auch eine Printausgabe. Ich habe bis jetzt (Anfang April 2022) allerdings noch keine Belegexemplare erhalten, daher kann ich nur die Motive vorzeigen. Wenn mal eine Handvoll Titel als Print erschienen sind und sich der Versand nach Europa lohnt, frage ich mal an.

Mit Charles und dem Verlag bin ich regelmäßig in Kontakt, maile ihnen die Entwürfe, meist auch die Work-in-progress-Versionen oder alternative Motive, und frage sie nach ihrer Meinung. Aber Charles und ich plaudern gelegentlich auch so miteinander und erzählen uns Anekdoten.

Neben der Anerkennung - lohnt sich solch ein Auftrag auch monetär?

Es ist für US-Verhältnisse ein Kleinverlag, daher ist das Honorar nicht so üppig wie manch ein Leser dieser Zeilen wahrscheinlich erwarten würde. Aber, he, ich darf exklusiv für einen US-Verlag SF-Cover gestalten. Das ist eine tolle Sache und macht sich irgendwann bestimmt gut in der Vita - auch wenn ich es dort bisher noch nicht explizit erwähne. ;) Es ist schön, mit Illustrationen und Texten Teil einer SF- und Phantastikwelt zu sein, die nicht nur auf den deutschsprachigen Raum beschränkt ist.

Was bedeuten Dir die Preise, die Du im Laufe Deiner Karriere bekommen hast - Bestätigung, Befriedigung, Ansporn?

Ja. Nein. Ja. Befriedigung ist der Nährboden der Oberflächlichkeit. Wer satt und zufrieden ist, verliert meines Erachtens die Fähigkeit, sich Mühe zu geben, und driftet ins Mittelmaß ab. Ich versuche aus und mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln das Beste zu machen. Wer so etwas nur des Geldes wegen tut, aber nicht aus Liebe, wird schnell nachlässig. Es verhält sich wie bei der Präsentation von Literatur: Es gibt Papierverkäufer - und es gibt Verlage, die mit Herzblut arbeiten. Aber auch die Liebe zum Werk hat ihren Preis.

Bevor wir uns Deinen neuesten beiden „Kindern“ zuwenden, lass uns noch einmal ein wenig zurückschauen. Hättest Du jemals mit dem Erfolg, den „Der Kanon mechanischer Seelen“ und „Der Garten des Uroboros“ erreichten, gerechnet?

Was „Der Garten des Uroboros“ betrifft: Ich weiß jetzt nicht, woran du seinen vermeintlichen Erfolg festmachst. Er plätschert so dahin. Vielleicht kümmere mich aber auch zu wenig um Verkaufszahlen. Fakt ist: Die beiden Bücher sind, was die Definition von Erfolg angeht, kaum miteinander vergleichbar. „Der Garten des Uroboros“ ist ein Roman, der in der Leserwelt eher als Kielwasserveröffentlichung betrachtet wird. Nicht dass da kein Herzblut und keine Originalität drinstecken würde, aber er kam nach „Der Kanon mechanischer Seelen“, zu einer Zeit, als dessen Einfluss noch immer wirkte, und das ließ ihn ein wenig unter das Radar rutschen - was ich persönlich sehr schade finde.

Die Aufmerksamkeit für „Der Kanon mechanischer Seelen“ kündigte sich aufgrund der Entstehungsgeschichte des Romans mit den vier zwischen 2012 und 2015 veröffentlichten „Nova“-Novellen und dem Kurd-Laßwitz-Preis-Gewinn für die zweite Erzählung „Coen Sloterdykes diametral levitierendes Chronoversum“ bereits im Vorfeld seines Erscheinens an. Mit dem, was danach passierte (der SERAPH-Gewinn, die Einladung nach Dublin, die ungekürzte Hörbuchumsetzung mit Stefan Kaminski als Sprecher, und so weiter) hatte ich allerdings nicht gerechnet. Das hatte jedes für sich einen Wow-Effekt. Aber ich bin glücklich darüber, dass „Der Kanon mechanischer Seelen“ endlich „Lord Gamma“ als Referenz abgelöst hat, wenn es um mein Werk geht. Es war mit der Zeit etwas nervig, ständig auf diesen über zwanzig Jahre alten Roman (und „Imagon“) reduziert zu werden.

Wenn Du einem Leser, der Dich, Dein Werk noch nicht kennt die beiden Werke prägnant beschreiben solltest - was erwartet den Leser dort?

„Der Garten des Uroboros“ ist im Grunde ein phantastischer, mit SF- und Horror-Elementen gespickter Archäologie-Ethno-Thriller, irgendwo angesiedelt zwischen meinen Romanen „Morphogenesis“ und „Imagon“ und Filmen wie „Rapa Nui“ oder „Apocalypto“. Er beschäftigt sich mit der Apokatastasis, einer Theorie, dass sich alles immer wieder zyklisch wiederholt, bis hin zu menschlichen Träumen und allen je gedachten Gedanken, und warum die Menschheit seit Äonen in dieser von höheren Mächten verursachten Zeitschleife gefangen ist. Er ist in vier ineinander verschachtelte Handlungsstränge unterteilt, zwei Wissenschaftlichen der Gegenwart um den Archäologen Hippolyt Krispin, der in Mexiko eine Ausgrabung leitet, und die junge peruanische Astronomin Adriana, welche in einer heruntergekommenen Sternwarte in Arequipa arbeitet und mit ihrem Kollegen Miguel eines Tages feststellt, dass die Sterne zu verblassen beginnen. Diesen gegenüber gibt es zwei ethnologische Erzählebenen. Die erste beschäftigt sich mit einem jungen Angehörigen des afrikanischen Dogon-Volkes in der Jetztzeit, dem ein besonderes Schicksal zuteilwird. Sie erzählt, wer für die Zeitschleife verantwortlich ist und warum sie existiert. Der vierte Handlungsstrang ist Jahrhunderte in der Vergangenheit angesiedelt und schildert die Geschichte eines Angehörigen des Chachapoya-Volkes im Peru vor der Ankunft der Spanier. Er erzählt den Kontakt mit einem uralten, im Nebelwald versteckten außerirdischen Volk, das vor Jahrtausenden auf der Erde Zuflucht gesucht hat. All diese Erzählebenen sind trotz ihrer räumlichen und zeitlichen Distanz durch die Apokatastasis miteinander verknüpft.

„Der Kanon mechanischer Seelen“ spielt in einer Zukunft, in der die Erde nur noch von wenigen Menschen bevölkert wird. Diese führen in ihren jugendlichen Körpern ein Leben, das viele Jahrhunderte währt, und manche von ihnen besitzen eine Gabe: Einzig durch ihren Wunsch und eine flüchtige Berührung sind sie fähig, Materie zu beseelen. In dieser wundersamen, von einer bizarren Mechafauna dominierten Welt lebt die Wandlerin Ninive, die auf der Suche nach uralten Relikten das Hochland durchstreift, um längst vergessenen Dingen Leben einzuhauchen und sich ihre Geschichten anzuhören. Das alles beherrschende Bauwerk ist eine vier Kilometer hohe Mauer, von der niemand weiß, wozu sie einst errichtet wurde und wovor sie die Menschen und Maschinen seit Jahrtausenden schützt.

Der Roman beschäftigt sich mit der Erkundung besagter Mauer und dem Land dahinter. Er ist eine Hommage an Stanislaw Lems „Kyberiade“ und seine Robotermärchen, an Miyazaki-Trickfilme wie „Chihiros Reise ins Zauberland“ und „Das wandelnde Schloss“, an Michael Moorcocks Epos „Am Ende der Zeit“, garniert mit einem Schuss „Alice hinter den Spiegeln“. Es finden sich darin aber auch viele weitere versteckte Zitate und Bilder aus Literatur und Film.

Zu „Der Kanon mechanischer Seelen“ gibt es diverse kurze Spin-offs, wie es neudeutsch so schön heißt. Wie kam es zu den Novellen, warten hier weitere Texte auf die Veröffentlichung?

„Anima Ex Machina“ (inklusive der darin enthaltenen Novelle „Die Reise zum Mittelpunkt der Zeit“) ist kein Spin-off, sondern die direkte Fortsetzung von „Der Kanon mechanischer Seelen“. Der Roman beginnt rund acht Monate nach den Ereignissen des ersten Buches und führt den Leser in die von beseelten Maschinen bewohnte Kronstadt, die Heimat von Aris - und weiter zum Mittelpunkt der Zeit und schließlich in eine wüste Gegend, die als die pränumerische Öde bekannt und gefürchtet ist.

Der kommenden Juni erscheinende Roman „Cutter ante portas“ hingegen ist tatsächlich ein Spin-off um die bei Fans sehr beliebte Gestalt Thanatos Daimon alias Cutter und spielt zwischen dem ersten und dem zweiten Roman. Es ist zudem der erste Roman ohne die bisherigen Protagonisten Aris und Ninive, eine reine Stand-alone-Geschichte um den grantelnden Finsterling mit der Sense. Sie nimmt allerdings Figuren des ersten Romans mit auf und erzählt, warum Cutter in „Anima Ex Machina“ so gut wie nicht in der aktiven Geschichte auftaucht. Vor allem aber schildert sie, woher die Bedrohung stammt, mit der sich Aris und Ninive in „Anima Ex Machina“ konfrontiert sehen.

Die Novelle „Die Reise zum Mittelpunkt der Zeit“ war im Zuge des SERAPH-Gewinns für „Der Kanon mechanischer Seelen“ entstanden. Im Frühjahr 2018 war ich vom Goethe Institut Irland für knapp eine Woche nach Dublin eingeladen worden, für zwei Lesungen im Rahmen der Neueröffnung ihrer Bibliothek, eine im Goethe Institut selbst, und eine in der Trinity Library. Nicht im berühmten historischen Lesesaal, denn der steht für Publikumslesungen nicht zur Verfügung, aber in den College-Räumlichkeiten. Bei einem ersten Telefonat mit der Bibliotheksleiterin hatten wir damals im Vorfeld ein wenig Brainstorming betrieben, was man denn Exklusives zur Eröffnung produzieren könnte. Das in der zur Verfügung stehenden Zeit lösbare Ergebnis war die Idee, eine neue „Kanon“-Novelle zu schreiben, in der es auch um Bibliotheken geht. So entstand „Die Reise zum Mittelpunkt der Zeit“.

„Anima Ex Machina“ hingegen entstand im Rahmen eines zweimonatigen Artist-in-Residence-Aufenthaltes, zu dem ich im Frühjahr 2020 von der Stadt Wien und dem Paraflow-Festival eingeladen worden war. Zur Zeit der Einladung befanden wir uns seit einigen Monaten im Corona-Lockdown, und um der damals ein wenig bedrückenden The-worst-is-yet-to-come-Stimmung mit etwas Humorvollem entgegenzuwirken, hatte ich im März oder April ohne Ziel begonnen, an einem neuen „Kanon“-Roman zu schreiben. Das Witzige daran ist, dass hinter Paraflow das Kollektiv um die Wiener Künstlergruppe Monochrom und die Edition Mono steckt. Just jene Edition Mono, in der 1997 mein Roman-Erstling „Die Stadt der Klage“ und ein Jahr später „Der Weg der Engel“ erschienen waren. „Die Stadt der Klage“ markiert zugleich auch die allererste Publikation der Edition Mono. Ich hatte dem Verleger Johannes Grenzfurthner dereinst erzählt, woran ich gerade arbeitete, und er fand die Idee, als AIR-Projekt einen neuen „Kanon“-Roman zu publizieren, klasse. So schloss sich der Kreis, dass er der Verleger meines Debütromans und fast ein Vierteljahrhundert später auch der meines damals neuesten Romans ist.

„Cutter ante portas“ ist (bis jetzt) an kein Projekt gebunden. Ich hatte einfach Lust gehabt, eine Cutter-Novelle zu schreiben, mit dem Veröffentlichungsziel Leipziger Buchmesse. Nachdem letztere aufgrund der pandemischen Lage zum dritten Mal in Folge abgesagt worden und die Deadline somit hinfällig geworden war, hatte ich in Absprache mit Jürgen Eglseer, dem Verlagsleiter des Amrûn Verlags, den Veröffentlichungstermin um ein Quartal nach hinten verschoben, mit dem Ziel Roman statt Novelle.

Statt des dritten Bands der „Besten Erzählungen“ erschien just bei Memoranda mit „Lex Talionis“ der erste Teil eines phantastischen Thrillers - eine Mischung aus Kriminalroman mit immer deutlicher zutagetretenden phantastischen Elementen. Wie kam es zu dem für Dich doch ungewöhnlichen „Gemisch“?

Um das kurz vorwegzunehmen: Der dritte Storyband ist im Grunde fertig, aber auch wenn in den beiden ersten Bänden viel Neues enthalten ist, wollte ich bei Memoranda beziehungsweise für Hardy Kettlitz nicht nur altes Essen aufwärmen, sondern auch etwas Neues abliefern. Aber ich hatte ihn natürlich vorgewarnt: Dieser Roman ist keine SF, sondern eher Horror, dazu sehr realitätsbezogen, und die Phantastik setzt nur sehr langsam ein.

Zu „Lex Talionis“ selbst: Ich brauchte nach den „Kanon“-Romanen und den Storybänden mit ihrer oft überbordenden SF und Phantastik unbedingt ein wenig Erdung. Einen Gegenentwurf zu dem teils doch sehr verrückten, realitätsfernen Stoff der vergangenen zehn, im Grunde sogar zwanzig Jahre. „Der Kanon mechanischer Seelen“ spielt ja rund 12.000 Jahre in der Zukunft. Ich hatte schon beim Schreiben von „Imagon“ und „Der Garten des Uroboros“ bemerkt, dass auch die Realität sehr verlockend sein kann und ich mich darin zu bewegen weiß. Als ich Ende 2019 den Auftrag erhalten hatte, die Hörbuch-Story für das Heimataerde-Album „Eigengrab“ zu schreiben, lautete die Prämisse der Band: Keine Phantastik, keine phantastischen Elemente! Entstanden war daraufhin eine Archäologie-Crime-Novelle. Die Arbeit hat überraschend viel Spaß gemacht. Das hatte mich damals wieder auf einen Roman fokussiert, den ich 2014 begonnen hatte, aber mit dessen erstem Entwurf ich so unzufrieden gewesen war, dass ich ihn erstmal beiseitegelegt hatte: „Lex Talionis“.

Was den Krimi-Aspekt des Romans betrifft: Eine meine Lieblings-Streamingserien der vergangenen Jahre ist „Bosch“. Die hat zweifellos ein wenig abgefärbt. Aber auch Filme wie „Seven“, „The Bone Collector“ oder der Okkult-Thriller „Fallen“.

Natürlich erinnert uns die Grundanlage, wenn auch mit umgekehrten Vorzeichen, an den Film-Blockbuster „Minority Report“ - wie kamst Du auf die Idee mit dem Rekonstruktor?

Die Idee ist sicher nicht neu, und auch in „Minority Report“ gibt es eine Szene mit dem Precog Agatha, in der sie keine Vision eines zukünftigen Verbrechens hat, sondern mit John Anderton als Trigger selbigem immer wieder eine Fremdvision aus der Vergangenheit zeigt, nämlich den Mord an ihrer Mutter. Das ist im Grunde nichts anderes als jene Echos, die mein Protagonist in „Lex Talionis“ beim Berühren bestimmter Gegenstände oder Personen durchlebt.

Ich dachte mir: Wenn zukünftige Ereignisse tatsächlich vorhersehbar sind, dann können die Geschehnisse der Vergangenheit zweifellos auch visionär zurückverfolgt werden - sofern die Schlüsselereignisse „Markierungen“ in der Zeit hinterlassen haben. Temporale Leuchtfeuer und in die Vergangenheit gerichtete Wegweiser. Wenn einem gravierenden Ereignis wie einem Mord eine Folge von Kausalitäten zugrunde liegt, dann könnte das Geschehen, sofern man den kausalen Hauptstrang erkennt und sich auf ihn konzentriert, theoretisch auch entlang derartiger Ereignismeridiane zurückverfolgt werden. Wie eine Art gegenläufig durch die Zeit führende Schnitzeljagd. Im ersten Band kommt dies noch nicht zur Geltung, da der Protagonist sich aufgrund des „Souvenirs“ in seinem Kopf und der eventuellen neuronalen Konsequenzen nicht traut, diese Gabe des Fährtenlesens anzuwenden. Seine Ausflüge in die Echo-Dimension wirken noch ziellos und unfokussiert. Die Schnitzeljagd beginnt erst im zweiten Band.

Du beschreibst zum Beispiel sehr detailreich und sachkundig - so zumindest wirken die Szenen auf mich - den Besuch in der Pathologie. Wie hast Du hier in Sachen Obduktion recherchiert? Warst Du selbst zur Recherche vor Ort?

Ich war mal kurz in der pathologischen Abteilung eines Krankenhauses, als dort gerade nicht gearbeitet wurde. Mehr als ein Obduktionssaal-Stillleben war das allerdings nicht, und es ist zudem auch schon Jahrzehnte her. Ich kann mich beispielsweise nicht daran erinnern, einen PC oder dergleichen gesehen zu haben. Eventuelle Mikroskopmonitore müssten also in einem Nebenraum gestanden haben. Auch an den sogenannten „Besteckkasten“ beziehungsweise „Besteckwagen“ mit den Sezierinstrumenten erinnere ich mich nicht.

Man findet im Netz und in diversen Sender-Mediatheken jedoch viele Dokumentationen und natürlich auch Fotos, die zeigen, wie es in einem pathologischen Institut aussieht und (tatsächlich) zugeht. Es gibt auch informative Literatur zum Thema wie etwa „Wegen Todesfalls geöffnet: Denkwürdige Geschichten aus der Pathologie“ von Hans Bankl. Fernsehserien wie „CSI: Miami“ und so weiter sind hingegen so gut wie gar nicht zur Recherche zu gebrauchen.

Als Nicht-Medizinstudent zwecks Recherche einer echten Sektion beiwohnen zu dürfen, ist glaube ich mit einigen Hürden und Auflagen verbunden. Da fehlt mir der nötige Einfluss und Bekanntheitsgrad - und wahrscheinlich auch die olfaktorische Voraussetzung nebst robustem Magen. Ich denke, jeder weiß, wie penetrant allein eine verwesende Maus oder ein toter Igel stinken können. Das brauche ich nicht auch noch in XXL. Stephen King hat glaube ich seinerzeit eine lange Privatführung durch ein Passagierflugzeug und einen Flughafen erhalten, als er für seinen Roman „Langoliers“ recherchiert hatte. Für meine Zwecke hat mir das genügt, was ich „aus der Ferne“ erfahren habe. Den Rest hat mein Vorstellungsvermögen zusammengenagelt.

Du hast Deinen Roman in einer unbenannten Kleinstadt nahe der tschechischen Grenze angesiedelt - gab es da ein reales Vorbild?

Ich habe der Stadt bewusst keinen Namen gegeben. Es ist schlicht „die Stadt“, und sie liegt irgendwo, aber nicht direkt in der Nähe der Grenze. Ich könnte daher auf alle relevanten Städte verweisen: Nürnberg, Bamberg, Regensburg, Dresden, Chemnitz, Zwickau... Vielleicht aber auch auf keine davon, oder auf alle zusammen, als Stadt im literarischen Schmelztiegel. Das Ganze entwickelte sich, als ich mich für Navotna als Nachnamen des ersten im Buch geschilderten Opfers entschieden hatte, sowie für die Saldek-Villa als Tatort. Ich war früher, als ich noch in Süddeutschland lebte, oft in Tschechien und in der Slowakei, sowohl vor als auch nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. So kam im Laufe der Zeit eins zum anderen. Französisch war mir zu klischeehaft und versnobt, und dänische Schauplätze hatte ich bereits in „Imagon“.

Wie viel von Dir selbst steckt in Alexander Crohn, der Hauptfigur des Bandes?

Ich hoffe, recht wenig, aber ein solches Statement wirkt bei Charakteren, die aus der Ich-Perspektive berichten, immer ein wenig unglaubwürdig. Da denkt der Leser oder Rezensent automatisch, dass viel Autor in der Figur enthalten sein muss, vor allem, was die Innerspace-Abschnitte betrifft, mit denen ich viele Kapitel beginne. Wir teilen uns sicher ein wenig unseres misanthropischen Weltbildes und ein bisschen Echo-Dimension, aber ich habe zum Glück kein persönliches Visionarium. Einer meiner langjährigen Testleser, der lustigerweise auch Alexander heißt und Lex gerufen wird, fand sich in vielen Alltagsmarotten der Hauptfigur allerdings wieder und war darüber recht amüsiert. Das ist jedoch Zufall, denn wir kennen uns nicht persönlich, sondern kommunizieren bisher ausschließlich schriftlich miteinander.

Warum habt ihr euch entscheiden, den Roman in zwei Bänden aufzulegen? Ist der zweite Teil, der für Frühjahr nächsten Jahres in Vorbereitung ist, bereits fertig?

Halb fertig. Die Entscheidung fiel, als der Verlag den Wunsch äußerte, dass er am liebsten ein Buch um die 300 Seiten (sogar eher darunter) bringen würde, was die voraussichtlichen Druckkosten und den daraus resultierenden Verkaufspreis betrifft. Es geschah zu einem Zeitpunkt, an dem für mich klar war, dass der Roman im Memoranda-Format wahrscheinlich weit über 400 Seiten Umfang haben würde.

Dass derzeit immer noch eine gravierende Papierknappheit herrscht und die Druckereien die gestiegenen Beschaffungskosten auf den Preis aufschlagen, werden die meisten inzwischen mitbekommen haben. Der Aufschlag beträgt bei meinen Verlagen zwischen 25 und 40 Prozent. Weniger bekannt sein dürfte, dass Ende letzten Jahres in Japan die wichtigste Fabrik, die schwarzen Toner für den Digitaldruck herstellt, explodiert und abgebrannt ist. Es gibt also nicht nur einen Papiermangel, sondern auch einen Tonermangel. All das macht gut gemachte Bücher immer mehr zu einem kleinen Luxusgut. Die 300-Seiten-Marke und Zweiteilung des Bandes war also hauptsächlich eine ökonomische Entscheidung.

Warum hast Du nicht auch das Titelbild zum Buch beigesteuert, sondern einen fremden Illustrator verpflichtet?

Ich möchte das Illustrieren meiner eigenen Bücher - sei es mit einem Cover oder mit Innenillustrationen - auf die „Kanon“-Romane beschränkt halten. Das Titelbild von „Der Garten des Uroboros“ ist eine Ausnahme, die entstanden war, als ich lange vor Veröffentlichung des Romans ein Hintergrundbild für eine Online-Lesebühne in Second Life gebraucht hatte, in deren Rahmen ich erstmals einen kleinen Ausschnitt aus dem Roman gelesen hatte. Was dafür entstanden war, hatte mir so gut gefallen, dass ich es als Grundlage für das Cover genutzt hatte. Mich interessiert aber mehr, welche Vorstellung und grafischen Ideen andere Künstler beim Lesen meiner Texte haben, und wie sie diese illustrativ umsetzen.

Wir hatten es schon einmal von Deiner Erzählung „Insomnia“ - damals hast Du erzählt, dass aufbauend auf dieser vielleicht ein Future-Crime-Roman daran anschließen würde - gibt es da spruchreife Pläne?

Das erste Viertel davon (mehr wollte die zuständige Instanz nicht) liegt seit einigen Monaten zur „Prüfung“ bei einem Großverlag, aber er ist wie schon erwähnt noch nicht ganz fertig. Ich hätte mich auch schon längst erkundigt, wie es darum steht, aber ich bin dieses Jahr mit dem Rest von „Cutter ante portas“, diversen Cover-Illustrationen und dem zweiten Teil von „Lex Talionis“ so ausgelastet, dass ich mir eigentlich keine Unterbrechung leisten kann, sofern es mit Frühjahr 2023 als Veröffentlichungstermin klappen soll.

Du gibst als literarisches Vorbild Philip José Farmer an - was schätzt Du an ihm besonders, welches ist hier Dein Lieblingswerk und wichtiger noch warum gerade dieses?

Es ist so verdammt lang her, dass ich meinen letzten Farmer gelesen habe... Er gehörte zu meinen ersten Influencern, aber das war vor 30 bis 40 Jahren, und meine Erinnerung an seine Bücher sind eine von mehr intellektueller Schlichtheit geprägte. „Die Welt der tausend Ebenen“ gehört aufgrund meines Faibles für Dimensionsreisen sicher zu meinen Favoriten, ebenso „Die Flusswelt der Zeit“. Philip José Farmer, Larry Niven, Alan Dean Foster (und ganz am Anfang auch Rolf Ulrici) bildeten dereinst sozusagen mein geistiges SF-Gründerquartett. H.P. Lovecraft, C.A. Smith, Clive Barker und das Sammelpseudonym Robert Lamont das des Horror-Autors Michael Marrak.

Aber lassen wir das Gestern einfach mal ruhen. Wir schreiben 2022. Die Dinge haben sich geändert, die literarische Welt auch. Neue phantastische Einflüsse sind an die Stelle der alten getreten. Heute kann ich Autoren wie Iain Banks, China Mieville, Michael Marshall Smith, Terry Bisson, Greg Egan und Ted Chiang als Inspiratoren aufzählen.

Du bist bekannt dafür, Dir sehr genau zu überlegen, wie Du was ausdrückst - Deine Texte zeichnen sich immer auch durch stilistische Finessen aus. Feilst Du lange an den Sätzen, ist das etwas, was Dir bewusst wichtig ist, oder läuft das als innere Zensur im Kopf beim Schreiben ab?

Mal so, mal so, aber meist geschieht es schon beim Schreiben. Ich finde es einfach schade, wenn Sprache in der Literatur verlottert. Wer Texte schreibt und denken kann, sollte aus dem zur Verfügung stehenden Wortschatz schöpfen. Manche Autoren sind zu trivialliteraturverseucht, viele Leser eine sehr simple Sprache gewöhnt, die existiert, um die Masse zu erreichen.

Aber das ist Sprache für den Augenblick, für die Vergänglichkeit. Dennoch gibt es viele Autoren, die sie verwenden - entweder aus Bequemlichkeit, oder weil sie es einfach nicht besser können oder wollen. Es zählt für sie nur die Vermittlung der Information und die oft unbeholfene, mit den falschen Worten gefüllte Beschreibung des Geschehens. Das Mittelmaß ist Anspruch genug. Ich mag es beispielsweise nicht, wenn Autoren ihre Protagonisten alles nur „machen“ lassen. Einen Kuchen machen, den Rasen machen, das Essen machen, ein Bild machen... Was ist so schwierig daran, einen Kuchen zu backen, den Rasen zu mähen, das Essen zu kochen oder ein Bild zu malen? In einer Zeitungsmeldung über einen Verkehrsunfall stand mal, „ein Mann und eine Frau seien auf einer Kreuzung zusammengebumst“. Da frage ich mich: Wo bleibt hier die Qualitätskontrolle? Oder ist das die Zukunft? Ich hoffe nicht.

In den Augen mancher Leser übertreibe ich es, verwende eine zu dichte oder zu „blumige“ Sprache, zwinge sie, sich beim Lesen zu konzentrieren, lasse sie das Buch nicht „nebenher“ schmökern, einen Text nicht einfach „weglesen“, schreibe zu anspruchsvoll, um Mainstream zu sein und vom einfachen Textkonsumenden verstanden zu werden. Biete zu wenig literarisches Fast Food, schreibe zu verkopft, zu informationslastig. Jüngst antwortete eine Rezensentin in einem Lesezirkelforum auf den Kommentar eines Lesers, der meinte, „Lex Talionis“ sei nicht sehr dick, und sie wäre mit dem Buch in zwei Tagen durch: „Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich bei Marrak mehr als zwei Tage brauche! Von dem, was ich bisher gelesen habe, ist mehr Page Hugging als Page Turning angebracht, sonst verpasse ich zu viel.“

Ich schreibe also „Page Hugger“. Das ist doch was.

Wie oft überarbeitest Du Deine Texte, bis Du sie zur Veröffentlichung frei gibst?

In der Regel zwei Mal. Nach Fertigstellung des Romans oder eines Romanteils drucke ich eine Korrektur- beziehungsweise Redigierfahne aus, überarbeite und korrigiere den Text auf deren Basis noch einmal und schicke ihn anschließend an die Testleser und den Verleger nebst Lektorat, deren gesammelte Anmerkungen ich nach erfolgter Rücksendung einarbeite. Die so entstandene Version sende ich als satzfertig an den Verlag, der sie ans Korrektorat weiterleitet. In der Satzfahne entscheide ich im Falle der meist zahlreichen Anmerkungen schließlich nur noch mit Ja oder Nein (zu 95% mit Ja), und der Verleger erstellt anhand meiner Kommentare schließlich die Druckfahne. Die schaue ich mir natürlich auch nochmal genau an. Aber selbst dann MUSS es einfach noch die Fehler geben, die man erst sieht und sich über deren Offensichtlichkeit ärgert, wenn alles gedruckt ist. Das ist ein literarisches Naturgesetz.

Hab ganz herzlichen Dank, dass Du Dir für uns Zeit genommen hast. Wir wünschen Dir für die Zukunft alles Gute und uns weiter tolle Bilder und Bücher.

Vielen Dank für das Interview. Ich hoffe, es wird eine Zukunft geben. Momentan wirkt es ja eher, als ritten die vier Reiter im Schweinsgalopp um den Globus...