S. M. Peters: Die Götter von Whitechapel (Buch)

S. M. Peters
Die Götter von Whitechapel
(Whitechapel Gods)
Aus dem Englischen übersetzt von Flora Schneider
Titelillustration von Oliver Graute
Feder & Schwert, 2011, Taschenbuch, 448 Seiten, 13,99 EUR, ISBN 978-3-86762-103-8

Von Carsten Kuhr

Whitechapel Ende des 18. Jahrhunderts. Das Viertel der Prostituierten, des zügellosen Vergnügens und des Tatorts der Morde Jack the Rippers hat sich gewandelt. Zwei Götter haben sich hier niedergelassen – Großvater Uhr, der durch jedes Zeitmessgerät sehen kann, was an dem jeweiligen Ort vorgeht, und Mutter Maschine.

Während sich der eine ganz der strengen Logik verschrieben hat und mit seinen Goldmännern, Menschen deren Herzen durch Maschinen ersetzt wurden und deren gleichförmiger Marschtritt die Wege erzittern lässt, hat sich Mutter Maschine im Zentrum des Viertels niedergelassen. Ihre gewaltigen Schlote rauchen, doch zum Überleben benötigt sie Menschen, die ihre Maschinen warten und füttern. Damit nicht genug, greift eine heimtückische Seuche um sich, die die Bewohner des Viertel zusehends in Maschinen verwandelt.

Großvater Uhr und Mutter Maschine sind nicht etwas menschliche Herrscher, sie sind Götter. Als Priester dienen ihnen Baron Hume, der sich seiner Umwelt nur in Versform mitteilt, und der Bettlerkönig John Scared. Deren Untergebene verbreiten Furcht und Schrecken.

Vor Jahren gab es bereits einmal den Versuch einer Rebellion. Angeführt von einem ganz normalen Mann, Oliver Summer, versuchten die Bürger aufzubegehren. Hunderte wurden von den mitleidlosen Jüngern der Gottheiten ermordet, der Aufstand blutig niedergeschlagen. Inzwischen haben sich Oliver und seine wenigen verbliebene Freunde Bailey angeschlossen – einem Gangster, der sich nicht zu schade ist, selbst aktiv zu werden. Als Bailey bester Spion Aaron, der eine Waffe gegen Großvater Uhr stehlen sollte, gefasst wird, geht die Jagd auf Oliver und seine Verbündeten in eine neue Phase. Mit Hilfe eines dritten Gottes – eines missratenen Kindes der beiden Götter – gelingt es Aaron, zu überleben. Während Oliver von Mutter Maschine als neuer Prophet zwangsrekrutiert wird, versuchen seine Freunde den Plan, die Götter vernichtend zu schlagen, umzusetzen. Doch dazu muss die Waffe in Mutter Maschines Innerstes gebracht werden…

Überall hörte man auf der letzten Buchmesse, dass Steampunk der Trend der nächsten Jahre wäre. Schon lange bevor die renommierten Publikumsverlage auf den Zug aufsprangen, machte sich insbesondere Feder & Schwert um die Mischung aus Viktorianischem Setting und phantastischen Elementen verdient. Eine eigene Reihe hob man gar für solche Romane aus der Taufe, suchte und fand entsprechende Werke. Mittlerweile haben auch die großen Verlage das Subgenre für sich entdeckt, so dass der Run auf entsprechende Titel deutlich zugenommen hat. Wie heißt es so schön, nur der frühe Vogel fängt den Wurm, soll heißen, wer seine Ohren rechtzeitig aufstellt, der kann sich neue potentielle Bestseller für sein Programm sichern. Vorliegender Roman ist ein gutes Beispiel hierfür. Als Debütwerk eines unbekannten Autors tauchte das Buch erst gar nicht wirklich auf dem Radar vieler Herausgeber auf. Dazu kommt, dass der Text – insbesondere zu Beginn – nicht einfach zu lesen ist. Ständig wechselt die Perspektive, wird der Leser mitten in die Handlung versetzt, ohne zunächst recht zu wissen. um was es geht. Orientierungslos versuchte ich mir also ein Bild zu machen von dem, wovon mir der Autor berichten wollte. Dennoch legte ich das Buch nicht aus der Hand, bot der Plot doch so viele interessante Ansatzpunkte und Ideen, dass ich einfach wissen wollte, wie sich all dies zu einem Ganzen fügen würde.

Hat man sich einmal eingefunden und eingelesen, nimmt die Handlung zusehends Fahrt auf, wird man durch die ganz eigenwilligen Kreationen und Ideen des Autors gefangengenommen. Letzteres ist auch das Pfund, mit dem Peters wuchert. Der Plot mit seinen skurrilen Gestalten bietet soviel frische Ansätze, dass er mit keinem mir bekannten Vorbild vergleichbar wäre. Das ist neu, innovativ und phantasievoll im positiven Sinne – eine, wenn auch nicht ganz einfache Lektüre, eine Entdeckung, die den Obolus mehr als wert ist.