Die Herberge am Ende der Welt (Comic)

Die Herberge am Ende der Welt
(L'Auberge du bout du Monde: Intégrale)
Text: Patrick Prugne
Artwork: Tiburce Oger
Übersetzung: Tanja Krämling
Lettering: Delia Wüllner-Schulz
Splitter, Hardcover, 144 Seiten, 19,80 EUR, ISBN 978-3-940864-08-6

Von Frank Drehmel

Prugnes und Ogers „Die Herberge am Ende der Welt“ erscheint – anders als ihr gemeinsames großformatiges Album „Canoe Bay“ – in der handlichen „Books“-Hardcover-Reihe des Splitter-Verlags, die sich insbesondere durch Komplett-Editionen ausgewählter Serien auszeichnet. So enthält auch der vorliegende Sammelband mit den drei Einzelalben „La fille sur la falaise“, „Des pas le sur le sable“, „Les remords de l'aube“-, welche 2004 bis 2007 im französischsprachigen Original bei Casterman erschienen, eine komplette Trilogie.

An einem namenlosen französischen Gestade liegt das kleine, menschenleere Dorf Trebernec. Lediglich die alte Herberge des Ortes harrt noch der Gäste, die regelmäßig dann doch nicht kommen. In einer stürmischen Nacht des Jahres 1884 findet ein Mann dennoch den Weg in das Gasthaus. Es ist der Schriftsteller Edgar Saint-Preux, der in der Einsamkeit der Küstenlandschaft die Inspiration sucht, die ihm in der Großstadt mit ihren vielen Zerstreuungen verlorenging. Der alte, einbeinige Herbergsvater nimmt den Gast freundlich auf, auch wenn der Alte unter der Last der Jahre und einer Erkrankung der Lungen zu leiden hat.

Kaum hat Saint-Preux sein Zimmer bezogen, tauchen in Ecken und Nischen kleine Wesen auf, die der Neuankömmling zunächst für Ratten hält, die sich aber schnell als kleine menschenähnliche Kreaturen erweisen. Kurz darauf erscheint der alte Wirt, überzeugt den eher irritierten als verängstigten Gast von der Harmlosigkeit dieser Wesen und bietet ihm eine Geschichte an: die zwar unheimliche und unglaubliche, aber dennoch wahre Geschichte des nun verlassenen Dorfes.

Die Erzählung beginnt vor vielen Jahrzehnten – im Jahr 1822 – mit dem grauenhaften Mord an der Frau des Gastwirtes der Herberge und dem spurlosen Verschwinden ihrer kleinen Tochter, eines lebenslustigen, fröhlichen Mädchens namens Irena. Für den kleinen Ort Trebernec bedeutet dieses grauenvolle Ereignis einen zwar tiefen Einschnitt, über die Jahre, die ins Land gehen, verdrängen aber die meisten Menschen den Mord, zumal sich das Dorf dank einer hochmodernen Konservenfabrik zu einem prosperierenden Städtchen entwickelt. Lediglich Irenas Vater, ein gebrochener Mann, gibt die Hoffnung nie auf, seine Tochter lebendig wiederzusehen. Und tatsächlich steht elf Jahre später eines Nachts Irena lebend vor ihm. Die junge Frau scheint stumm, erfreut sich jedoch ansonsten bester Gesundheit. Und nicht nur das: Irena ist nunmehr mit einer seltsamen Gabe gesegnet, die es ihr erlaubt, Vieh wie Menschen auf unerklärliche Weise zu heilen. Über den Ursprung und die Gottgefälligkeit dieser Gabe entbrennt schnell ein Streit zwischen den Dorfbewohnern, der einen tiefen Riss mitten durch die Gemeinschaft zur Folge hat, wobei Irena ihre einstige Kinderliebe, Yann Korwen, an ihrer Seite weiß. Dennoch wird die Lage zunehmend bedrohlicher, da mit Irenas Auftauchen das Verschwinden von Menschen beginnt, Krankheiten den Ort heimsuchen und einige Dörfler wie besessen scheinen.

Wie schon Prugnes „Canoe Bay“ ist die „Herberge am Ende der Welt“ in erzählerischer Hinsicht kein herausragender Comic, denn dazu fehlt es ihm unterm Strich an Originalität und Vielschichtigkeit. Die Handlung selbst ist in weiten Teilen vorhersehbar, die Figuren sind relativ stereotyp gezeichnet und die Auflösung der Rätsel – so sie denn überhaupt erfolgt – ist am Ende dann doch ein Spur zu soapy, zu dahergeholt. Dennoch bietet sich dem Leser alles in allem eine gefällig geschriebene beziehungsweise inszenierte, leichte und unterhaltsame Gruselgeschichte geradezu klassischer Couleur vor einem zeitgeschichtlich und gesellschaftlich stimmigen Hintergrund.

Während die Story selbst also vergleichsweise brav und mainstreamhaft daherkommt, ist das Artwork Tiburce Ogers überwältigend. In pastellenen Farben bannt er sowohl die frühlingshafte Helle einer von kühlem Licht durchfluteten Küstenlandschaft als auch die Wärme einer Herbergsstube oder die tosenden Stürme nächtlicher Unwetter in atmosphärisch so atemberaubende Bilder, dass sie eigentlich ein größeres Comic-Format verdient hätten.

Fazit: Die gefällige Story und das grandiose Artwork machen diesen Sammelband zu einer uneingeschränkten Empfehlung für jeden Freund wohligen Gruselns.