Amanda Carlson: Vollmondfieber (Buch)

Amanda Carlson
Vollmondfieber
Jessica McClain 1
(Full Blooded, 2012)
Aus dem Amerikanischen von Frauke Meier
Bastei Lübbe, 2013, Taschenbuch, 384 Seiten, 8,99 EUR, ISBN 978-3-404-20684-1 (auch als eBook erhältlich)

Von Irene Salzmann

Jessica McClain ist die Tochter eines Werwolfs und einer menschlichen Frau. Die Mutter starb kurz nach ihrer und der Geburt ihres Zwillingsbruders Tyler, so dass ihr Vater Callum die beiden allein aufziehen musste. Während sich Tyler zu einem prächtigen Wolf entwickelte, passierte bei Jessica nichts. Wieso auch? Es gibt keine Werwölfinnen!

Doch dann geschieht Jahre nach ihrer Pubertät das Unfassbare: Jessica wandelt sich und kann sogar eine Halbform annehmen, die seit dem Verschwinden der Lykaner Legende ist. Nun ist guter Rat teuer, da sich Jessica eine menschliche Existenz als Detektivin aufgebaut hat, die sie erhalten will, und ihr Vater hatte dem zugestimmt, obwohl das Rudel die junge Frau von jeher mit Misstrauen beobachtete – könnte sie doch jene sein, die laut dem ‚Kain-Mythos‘ das Ende der Werwölfe herbeiführt.

Schnell erweist sich Jessica als etwas völlig Neues, für das sich nicht nur der Werwolfrat interessiert. Ein namhafter Söldner entführt oder rettet sie – so ganz klar ist das niemandem. Einerseits steht der attraktive Wandler in Callums Schuld, andererseits ist sein Auftraggeber jemand, den niemand verärgern will. Aber es kommt noch schlimmer, denn Jessica und ihr Entführer erkennen sich als Gefährten, obwohl er nicht einmal ein Wolf ist.

Bevor die Beiden ihre Gefühle sondieren können, werden sie auch schon angegriffen. Die Rädelsführer bekennen Farbe, und Jessica bekommt es mit einer Göttin und Meisterin der Magie zu tun, die sie töten will, um den Mann zu bestrafen, der sie hatte besiegen können…

Der Roman beginnt mitten in der Handlung, mit der ersten Wandlung von Jessica, und macht den Leser dadurch neugierig auf das Kommende. Erst danach wird ihr Leben aufgerollt und mit kleinen Details versehen, wie beispielsweise dem Detective und Ex-Kollegen Ray Hart, der sie hasst und ihr um jeden Preis ein Vergehen anhängen will, wozu er nun reichlich Gelegenheit erhält, da Jessica als Privatermittlerin Molly Hannon unter den Menschen lebt und das Geheimnis ihrer Abstammung zu hüten hat, will sie nicht gezwungen werden, wieder im Habitat der Werwölfe zu leben.

Alle damit verbundenen Probleme ziehen sich über fast zwei Drittel des Buches hin, sind durchaus kurzweilig beschrieben und erlauben es, auch die Personen näher kennenzulernen, mit denen Jessica befreundet beziehungsweise verfeindet ist. Man kann sich ein plastisches Bild ihres komplizierten Lebens und den Regeln des Rudels machen.

Das Tempo zieht im letzten Drittel deutlich an. Mit dem Auftauchen des mysteriösen Söldners steigt auch die Spannung: Er befindet sich in einem Zwiespalt, da er Jessicas Vater einen Gefallen schuldet, gleichzeitig aber auch einen Vertrag erfüllen muss. Die erste Begegnung endet in einem Desaster, da sich die andere Partei nicht an die Abmachung halten und Jessica in ihre Gewalt bringen will. Als einzige Werwölfin und Lykanerin ist sie etwas Besonderes und weckt das Interesse aller Übersinnlichen, zu denen die Werwesen, Vampire, Hexen etc. zählen.

Nachdem Jessica und ihr neuer Beschützer oder Entführer – sie sind sich dessen selber nicht ganz im Klaren – hatten fliehen können, stellen sie fest, dass sie Gefährten aber keine Wandler derselben Art sind. Was der attraktive Mann tatsächlich ist, bleibt ein Geheimnis. Kaum haben sie sich gefunden und sich ihren Gefühlen noch nicht einmal stellen können, verlieren sie einander wieder. Dieser Schluss kommt gerade im Vergleich zu dem langsamen, sorgfältig aufgebauten Beginn viel zu schnell und abrupt, als wären der Autorin zum Ende hin die Seiten ausgegangen, oder der Abgabetermin für das Manuskript stand unmittelbar vor der Tür. Schade, denn hier wäre sehr viel mehr drin gewesen, und die Rädelsführerin, nachdem sie ihre Identität offenbart hatte, hätte genauso vielschichtig angelegt werden können wie die übrigen Charaktere. So hingegen wirkt sie die meiste Zeit wie eine eingeschnappte Zicke statt wie eine erfahrene, sich ihrer Macht bewussten Frau, die noch einige Asse im Ärmel trägt.

Das Buch endet mit mehreren Cliffhangers und vielen offenen Fragen, die neugierig machen, wie es weitergeht.

Auch wenn der Titel die genannten kleinen Schwächen ausweist, so bietet er insgesamt doch ein sehr großes Lesevergnügen und zählt zu den besseren Paranormal Romances, die man auch den Fantastik-Freunden empfehlen kann, die lieber spannende Action-Sequenzen als endloses Liebesgesäusel lesen wollen.

„Vollmondfieber“ ist ein packender Horror-Roman über eine toughe, sehr menschliche Werwölfin, deren Abenteuer man gern weiterhin begleiten wird.