Michael Schmidt (Hrsg.): Zwielicht Classic 1 (Buch)

Michael Schmidt (Hrsg.)
Zwielicht Classic 1
Titelillustration von Lothar Bauer
2013, Paperback, 174 Seiten, 9,90 EUR (auch als eBook erhältlich)

Von Carsten Kuhr

In den letzten Jahren haben sich die Publikums-Verlage komplett aus der Herausgabe von Anthologien verabschiedet. Junge wie arrivierte Autoren haben damit kaum mehr eine Möglichkeit, ihre Stücke einem breiteren, interessierten Leserkreis vorzustellen. In die entstandene Lücke stießen, insbesondere was die Horror-Storys anbelangt, unzählige Kleinverlage und nicht zuletzt Publikationsmöglichkeiten im Internet und dem eBook. Bei der Masse, die hier jährlich erscheint, haben selbst gestandene Kenner des Genres ihre liebe Mühe, den Überblick zu behalten. So wuchs die Zahl der Publikationen in den letzten Jahren markant an, jährlich kommen rund 200 neue Geschichten hinzu.

Um hier eine Auswahl zu treffen, um die Spreu vom Weizen zu trennen, haben sich die Macher hinter dem Horror-Magazin „Zwielicht“, allen voran der umtriebige und sachkundige Herausgeber Michael Schmidt, etwas einfallen lassen. Zunächst nur als preiswertes eBook, jetzt auch im Print (gedruckt wurde das Buch in den USA) wollen sie unter dem Signet „Zwielicht Classic“ die herausragendsten Erzählungen sammeln und dem Leser, angereichert mit einigen Artikeln, kredenzen.

Was im eBook alle 2 Monate begann – zwischenzeitlich ist Teil 5 in Arbeit – das findet auch seinen Weg ins gedruckte Buch. Vor mir liegt der erste gedruckte Band. Wie wir das von den bislang erschienen „Zwielicht“-Magazinen kennen (hier ist die Printausgabe des dritten Teils in Arbeit), teilen sich lesenswerte Geschichten den Platz mit fundierten Artikeln – der Schwerpunkt liegt aber ganz eindeutig auf den pointierten Beiträgen namhafter und nicht ganz so bekannter Autoren.

Man merkt, dass der Herausgeber hier auf einen großen Fundus an Geschichten zurückgreifen kann; jeder der Beiträge ist auf seine ganz eigene Art herausragend, unterhält, verstört ja entsetzt den Leser – was könnte man besseres über eine Horror-Story sagen.

Nun fassen Sie sich ein Herz, ordern Sie digital oder in gedruckter Form die Anthologie, lesen Sie sie, und sie werden mir Recht geben.

Was Sie erwartet wollen sie noch wissen? Bitte sehr:

In Torsten Scheibs „Besessen“ (2010) begegnet uns eine kleine, abgeschieden lebende Gemeinde. Alles von außerhalb wird verteufelt, nur der Glaube an den Erlöser vermag Seelenheil zu bringen. Die Schwester unsere Protagonisten ist, wie der Priester behauptet, von einem Dämon besessen. Bevor der Kleriker aber im Beisein und unter Mithilfe der Familie das Ritual, die Opferung der Besessenen, durchführen kann, begehrt der junge Mann gegen den Beschluss auf – ein Aufbegehren, das in Blut endet.

Nach wie vor ist das Mysterium um Jack the Ripper ungelöst. Wer war der Täter, der fünf Frauen umbrachte und dann bestialisch verstümmelte, ihre Gliedmaßen kunstvoll um ihren Torso arrangierte? Malte S. Sembten geht in „Blind Date“ (1997; Gewinner des Kurd Laßwitz Preises) dieser Frage auf ganz eigene Weise nach. Er stellt uns eine besondere Liebesdienerin aus der Zukunft vor, die für ein betuchtes Klientel Samen von geschichtlichen Größen aus aller Zeit sammelt. Der Auftrag, Jack zu verführen aber, erweist sich als weit schwieriger als gedacht…

Vor gut zehn Jahren kamen sie auf eine kleine italienische Insel, um ihrem Hobby, dem Tauchen nachzugehen. Als junges, verliebtest Paar wollten sie die Höhlen erforschen, einen unterirdischen Zugang zum Meer finden. Ein Unfall riss Moritz aus dem Leben, Carina, seine Frau, hat sich zwischenzeitlich neu gebunden. Doch einmal im Jahr reist sie zurück an den Ort der Tragödie. In Christian Weis’ „Der erste Tag der Ewigkeit“ (2010) begleiten wir einen Privatdetektiv, den ihr Mann engagiert hat. Als er einen jungen, lebenslustigen Mann im Zimmer der Frau sieht, ahnt er nicht, dass die Spur zurückführt in die Höhle – die Höhle, in der Moritz ertrank und Carina nun verschwunden ist…

In Tobias Bachmanns „Die fehlende Stunde“ (2010) wandelt der Autor auf Kafkas Spuren. Er berichtet uns von einem jungen Mann, einem werdenden Vater, der im Jahr 2040 den kybernetischen Opiaten verfällt und meint, im Jahr 2004 zu leben. Was ist real, was Einbildung und wie kann er diese Welten nur unterscheiden – und will er dies überhaupt wissen?

Andreas Schumacher entführt uns in „Der neue Nachbar“ (2010) in die Zukunft. Ein Krieg hat die Zivilisation verändert. Nicht länger ist die Küche das Revier der Frauen, oh nein, ganz im Gegenteil haben nur Männer Zugang zu den Kochfeldern, Backöfen und Mikrowellen. Frauen dagegen werden angehimmelt und erfüllen noch eine weitere, überraschende Funktion innerhalb der neuen Haute Cuisine…

Lieben Sie auch chinesisches Essen? Die acht Kostbarkeiten mit gebratenem Reis erfreuen sich besonderer Beliebtheit in Andreas Grubers „Tor nach Cloon“ (1999). Als allerdings der Wirtschaftskontrolldienst auftaucht und genauer schaut, was da so in den Pfannen und Friteusen brutzelt, stoßen die Beamten auf ein gar merkwürdiges Beschaffungssystem.

Die Geschichte der kleinen Dorothy und des Zauberers Ozirios kennen wir alle. Doch wie ging es weiter, nachdem Dorothy auf die heimische Farm zurückgekehrt war? Christian Endres erzählt uns in „Kein Abschied hält ewig“ (2010), wie die brave, liebenswerte Dorothy den großen Magier erpresst, ihre Eltern aus dem Grab zurückzuholen – doch merke, nicht immer bekommt man das, was man sich wünscht…

Nina Horvath entführt uns in „Hell dunkel, dunkel hell“ (2004) auf eine Raumstation. Im Labor passiert ein schrecklicher Unfall. Ein Toter und zwei Schwerverletzte werden von einer jungen Frau mit Depressionen gerettet. Seitdem sie ihr Liebhaber verlassen hat, lässt sie sich von einem unsichtbaren Phantasie-Mann helfen – auch, um nach außen als Heldin dazustehen…

Folgende Artikel finden sich im Band:
Michael Schmidt: Die phantastischen Ermittler der Heftromanszene (2011)
Martin Strasser: Mr. Psycho mit Herz: Robert Bloch (2007)
Elmar Huber: Interview mit Nina Horvath (2012)
Michael Schmidt: Zwielicht: das deutsche Horrormagazin (2012)
Vincent Preis: Die bisherigen Preisträger