Heidrun Jänchen: Willkommen auf Aurora (Buch)

Heidrun Jänchen
Willkommen auf Aurora
Titelbild: Jacek Kaczynski
Wurdack, 2012, Paperback mit Klappenbroschur, 318 Seiten, 14,95 EUR, ISBN 978-3-938065-80-8

Von Gunther Barnewald

„Willkommen auf Aurora“ ist ein Band mit 17 Kurzgeschichten der Autorin Heidrun Jänchen, die vom Umfang her zwischen 6 und knapp 40 (eng bedruckten) Seiten variieren. Da Storybände sich traditionell leider schlecht verkaufen, ist es mutig vom Wurdack Verlag, dieses Risiko einzugehen.

Wer jedoch Jänchens kürzere Texte in den letzten Anthologien des Verlags gelesen hat, der weiß, dass die Autorin mittlerweile ein beachtliches Niveau erreicht hat. Nicht umsonst war die Autorin mehrmals für die namhaftesten SF-Preise nominiert und vor allem ihre Storys „Kamele, Kuckucksuhren und Bienen“ und „In der Freihandelszone“ gehören zum Besten, was in der SF in Deutschland in den letzten Jahren veröffentlicht wurde.

Die hier versammelten Geschichten sind, bis auf vier Wiederveröffentlichungen, alles Erstveröffentlichungen. Die vier anderen erschienen vorher in kleineren Publikationen oder einer Computerzeitschrift. Wer also Jänchens Erzählungen aus den Wurdack-Anthologien schon kennt, erhält hier trotzdem komplett neues Material.

Alle Geschichten sind gut lesbar, interessant und spannend, man merkt der Autorin an, dass sie handwerklich gut schreiben kann und immer solide Arbeiten abliefert. In ihren besseren Texten gesellt sich zu einer überzeugenden Atmosphäre und glaubhaften Protagonisten auch noch eine wunderbare Idee, welche die Texte über das Niveau durchschnittlicher Autoren hinweghebt.

Das aus meiner Sicht stärkste Werk ist die längere Erzählung „Stadt in der Steppe“, bei der nur bedauerlich ist, dass sie viel zu früh endet. Von der tollen, sehr schlagfertigen, telepathisch begabten 15jährigen Protagonistin hätte man gerne noch viel mehr erfahren, vor allem wie es, nach ihrer geglückten Flucht aus einem Forschungs- und Zuchtzentrum, weitergeht mit ihr. Vielleicht lässt sich die Autorin ja irgendwann einmal dazu hinreißen, den packenden Text zu einem Roman auszudehnen.

Fast genausogut ist die fiese Story „Marias Sohn“, in der ein Baby wegen einer geklauten, patentierten Gensequenz zum Eigentum eines Saatgutmultis erklärt wird. Zu spät begreifen die Chefs des Ausbeuterunternehmens, dass man damit auch in anderer Weise für den jungen Mann verantwortlich ist...

Während die Titelgeschichte die beklemmende Realität eines militanten Streiks auf einem fernen Planeten schildert, zeigt „Emotionale Intelligenz“ den besonderen Geschlechterkampf eines Weltraumpiloten mit zwei anstrengenden „Zicken“, die dann schlussendlich doch auf den vermeintlichen Macho angewiesen sind (mutig von der Autorin, den männlichen Protagonisten hier so gut davon kommen zu lassen!).

Während „Gemurkel“ die Gefahren einer neuen Technologie zeigt (so ist es, wie im SF-Film „X-Change“, möglich, fremde Körper zu übernehmen, sie zu mieten und mit ihnen Schindluder zu treiben, wofür man sinnigerweise Arbeitslose abkommandiert und sie zwingt, sich zur Verfügung zu stellen), entdecken Forscher in der Story „In der Finsternis“ eine intelligente Rasse auf einem fremden Planeten, die sich den extremen Bedingungen dieser Welt angepasst hat. Diese Erzählung bietet auch noch ein völlig überraschendes Ende, wie man es von anderen, eher patriotisch eingestellten Geschichten her gar nicht kennt.

Wunderbar auch die Idee zu „Zweivierteltakt, e-moll“, in der die Fruchtbarkeit der Menschheit so rapide nachgelassen hat, dass man zu besonderen Maßnahmen greift. Männer verlieren ihr Recht auf eine eigene Wohnung und Existenz, müssen jeweils für drei Monate bei einer Frau einziehen, wenn diese nicht schwanger wird, immer wieder wechseln, neue Partnerinnen ausprobieren. Nur bei Schwangerschaft dürfen die beiden zusammen bleiben. Doch die Protagonistin hat sich verliebt und findet eine Möglichkeit, ihren Lover zweimal im Jahr bei sich wohnen zu lassen. Schlussendlich erlebt sie dann etwas, was es bei dieser gesellschaftlichen Ausgangsposition kaum noch gibt...

Und während in „Adina sehen und...“ die Protagonistin nach ihrem Urlaubstrip eine böse (wenn auch leider vorhersehbare) Überraschung mit ihrem Duplikatkörper auf dem fremden Planeten erlebt, schildert die Autorin in „Seemanns Braut“ den brutalen aber vergeblichen Versuch einer abhängig gewordenen Raumfahrerin, zu ihrer ganz speziellen Droge zurück zu kehren.

Hervorzuheben sind sicherlich noch die kurze Geschichte „Und dann die Stille“, in der die allmächtige akustische Werbung die Protagonistin fast in den Wahnsinn treibt, und „Slomo“, welche für den Deutschen Science Fiction Preis nominiert war, die aufzeigt, dass technische Optimierung des menschlichen Körpers oft grauenvolle Langzeitwirkungen entfalten kann, was fast zum Untergang der modernen Technologie führt.

Alle anderen Kurzgeschichten sind ebenfalls empfehlenswert, keine Story ist dröge oder langweilig.

Ein kleines Manko (neben dem Foto der Autorin oberhalb des Klappentextes, in dem Heidrun Jänchen arg grimmig und abweisend in die Kamera schaut) ist vielleicht, dass keine der Geschichten das Topniveau der Autorin erreicht, welches sie mit „Kamele, Kuckucksuhren und Bienen“ und „In der Freihandelszone“ erreicht hatte. Die ein oder andere überragende Story fehlt hier leider. Dies wird aber kompensiert durch das durchgängig hohe Niveau aller 17 Erzählungen, die hier vereint sind.

Wer gut geschriebene und ideenreiche SF mag, der sollte an diesem Band auf keinen Fall vorbeigehen.