Patricia Briggs. Siegel der Nacht – Mercy Thompson 6 (Buch)

Patricia Briggs
Siegel der Nacht
Mercy Thompson 6
(River Marked)
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Vanessa Lamatsch
Titelillustration von Animagic
Heyne, 2011, Taschenbuch, 400 Seiten, 8,99 EUR, ISBN 978-3-453-52831-4

Von Carsten Kuhr

Endlich hat Mercy Thompson es geschafft: aus der einsamen Wer-Kojotin ist eine ehrbare Ehefrau geworden. Auch, oder vielleicht gerade weil sie sich von Adam, ihrem frischgebackenen Mann, dem Alpha der Werwölfe von Tri-City, nichts sagen lässt, aufmüpfig und schlagkräftig ihre Argumente vertritt, hat sie nicht nur seine Liebe sondern auch seinen Respekt verdient.

Eigentlich hätte es sie misstrauisch machen dass die Angehörigen des Feenvolks ihnen für ihre Hochzeitsreise nicht nur einen nagelneuen Trailer sondern auch noch einen noch gar nicht eingeweihten Luxus-Campingplatz zur Verfügung gestellt haben. Doch im Überschwang der Gefühle vergisst man so manches Mal das mahnende Unterbewusstsein. Denn die Feen machen nie Geschenke, da gibt es nichts umsonst, und wie üblich verfolgen sie mit ihren Gaben ihre eigenen Pläne.

Im Fluss beim Campingplatz regt sich etwas Uraltes, Böses. Seit es erwacht ist, hat es sich von Fischen und Menschen genährt, jetzt macht es sich auf, größere Beute zu jagen. Und so macht Mercedes sich einmal mehr auf, das Böse zu bekämpfen. An ihrer Seite steht nicht nur ihr frisch angetrauter Ehemann, sondern auch die Indianer des Reservats. Dass es sich bei diesen um Walker handelt, dass ein Medizinmann hilfreich eingreift, ist noch lange nicht das Aufsehenerregendste. Auch Kojote, einer der Unsterblichen und auf irgendeine Weise auch ein wenig Marcys Vater; mischt sich ein – und dies ist auch höchst notwendig, denn der Flussteufel ist ein Gegner, der, wenn man ihr nicht Einhalt gebietet, die Welt verschlingen wird…

Die Romane um die Wer-Kojotin und Mechanikerin Mercy Thompson erfreuen sich nicht nur in den USA, sondern auch auf unserer Seite des Atlantiks großen Zuspruchs. Die Mischung aus einer im Leben stehenden Kfz-Mechanikerin für feutsche Karossen und einer übernatürlichen Welt hat wenig mit den gegenwärtig sonst so angesagten Romance-Fantasy-Romanen zu tun. Da wird wenig über Hormonschübe berichtet, es gibt auch keine Schuhkauforgien zu überstehen und schon gar nicht lässt sich unsere Mercy von den starken Armen ihres unsterblichen Liebhabers auffangen – Mercy sorgt selbst dafür, dass ihren vielen Gegner bereuen, sich jemals mit ihr angelegt zu haben.

In den bisherigen Titeln haben wir zunächst ihre direkte Umgebung in Tri-City kennengelernt. So machten wir die Bekanntschaft ihrer Freunde, Verbündete und Gegner, erfuhren allerdings wenig über ihre persönliche Geschichte. Bei einem Werwolfsrudel wuchs sie nach dem Unfalltod ihrer Pflegeeltern auf, bevor sie sich in Tri-City in jeglicher Hinsicht selbständig machte.

Nun, abseits ihrer üblichen Umgebung nahe einem Indianerreservat in Columbia, erfahren wir endlich mehr über ihre bis dato mysteriöse Herkunft. Als Mischling eines indianischen Rodeo-Reiters und einer Weißen ahnte sie bisher nicht, woher sie ihre Kräfte sich in eine Kojotin zu wandeln erhalten hat. Ist sie ein Walker, vielleicht gar die Einzige ihrer Art? Am Ufer des Gorge stößt sie nun nicht nur auf andere Walker, Menschen die als Abkömmlinge eines Unsterblichen und eines Menschen die Gabe haben, sich in Tiere verwandeln zu können, sondern auf den Geist ihres Vaters und ihren Ahnherren. Und dieser weiß nicht nur amüsant und kurzweilig zu parlieren, er hat auch eine Mission für Mercy. Geschickt greift die Autorin hier auf indianische Mythen zurück, macht uns mit den uns weitgehend unbekannten Überlieferungen um die Schöpfung der Welt und deren Götter bekannt und verpackt dies in eine mitreißende, actionreiche Handlung. Natürlich geht es nicht ohne Kämpfe und Blessuren für unsere Protagonistin ab, muss sie schwierige Entscheidungen treffen und wird auch ihre Beziehung auf eine erste harte Vertrauensprobe gestellt. Dies alles aber in sich logisch verbunden und aufgebaut, auch wenn es Patricia Briggs in einigen wenigen Szenen fast zu gut meint mit dem Wüsten-Flair.

Das Buch lebt, nachdem Mercy ihr vertrautes Umfeld verlassen hat, insbesondere durch die Einbettung der indianischen Mythen, die den gewohnt routiniert erzählten Kampfszenen gleichberechtigt zur Seite treten und für Faszination und Tiefe sorgen.