Melissa Fairchild: Weltenwanderer – Die Geheimnisse des Brückenorakels 2 (Buch)

Melissa Fairchild
Weltenwanderer – Die Geheimnisse des Brückenorakels 2
Aus dem Englischen übersetzt von Karin Dufner
Titelillustration von FinePic
Pan, 2010, Hardcover, 332 Seiten, 14,99 EUR, ISBN 978-3-3426-28323-3

Von Carsten Kuhr

Auf den ersten Blick fällt Avi, der Held unseres Romans, in der Multi-Kulti-Gesellschaft Londons kaum auf. Sein dunkler Teint, seine etwas größeren, schrägstehenden Augen und die ein wenig spitz zulaufenden Ohren weisen ihn zwar als Abkömmling des Feenreichs aus, doch hat er sich in die Masse der die englische Hauptstadt bevölkernden Menschen eingefügt. Dass ausgerechnet der junge Mann ein Feenprinz ist, der, so die Prophezeiung, die seit Jahrhunderten getrennten Reiche der Feen und Menschen wieder vereinen kann, ahnt in der schnelllebigen Menschenwelt niemand.

Dass er dies weder will noch vorhat, hindert seinen Stiefvater nicht daran, ihn und seine Freundin Hannah gnadenlos zu verfolgen. Im ersten Band wurden beide eingekerkert, sein ihn hassender Halbbruder hat die Seiten seines Lebensbuches zerrissen und auf diese Weise einen Teil von Avis Vergangenheit, an die er selbst sich nicht mehr erinnern kann, für immer zerstört.

Eigentlich will Avi ja von dem Reich seiner Mutter, der Feenkönigin, nichts mehr wissen, doch da mehren sich die merkwürdigen Geschehnisse. Alte Segelschiffe machen am Kai der Themsestadt fest, unbekannte Wesen bringen den Zoo durcheinander. Die Hinweise sind deutlich: Avis Vater, der Goblinkönig Kellen, scheint einen Weg gefunden zu haben, eine dauerhafte Brücke zwischen den Reichen einzurichten, mittels der er seine Holden die Erde angreifen lassen will. So heißt es für Avi und Hannah erneut, den ungewollten Kampf gegen das eigene Erbe aufzunehmen, um die Knechtschaft der Menschen abzuwenden...

Schon im ersten Teil der „Geheimnisse des Brückenorakels“ gelang der Autorin eine wirklich bemerkenswerte Synthese zwischen dem märchenhaften Glanz der Feenwelt und einer überzeugend ausgebauten Kulisse des modernen Londons unserer Tage. „The Best of both Worlds“, so könnte man die Mischung prägnant bezeichnen, geht vorliegend also in die zweite Runde. Wieder hadert unser Held wider Willen mit seinem Schicksal, gibt es jede Menge böser Widersacher, unerwarteter Wendungen und Gefahren sowie ein paar stille Momente des Glücks, der Trauer und der Ohnmacht. Das hört sich jetzt theatralisch an, doch wenn Avi seine Heilgabe an Hannahs krebskranker Mutter anwendet und feststellen muss, dass er all seiner phantastischen Kräfte zum Trotz die liebenswerte Frau nicht retten, ihr Leid allenfalls vermindern kann, dann macht dieses Gefühl der Ohnmacht betroffen und verleiht dem Roman zusätzliche Tiefe.

Melissa Fairchield hat die Reihe als All-Age-Serie konzipiert. Insoweit ist insbesondere die Ausrichtung der Figuren, die klare Zuordnung der Antagonisten als ausschließlich böse Wesen, sehr deutlich und lässt für Zwischentöne oder detailreiche Entwicklungen hier keinen Raum. Anders sieht dies bei Avi und Hannah aus. Sie entwickeln sich sehr wohl fort, ihre Zuneigung, das wechselseitige Vertrauen gedeiht, die Gefahren schweißen sie zusammen. Diese Entwicklung hat die Autorin sehr gut nachvollziehbar herausgearbeitet. Daneben steht einmal mehr die actionreiche Handlung im Vordergrund. Der Kampf Avi gegen Kellen und dessen Sohn birgt genügend Sprengstoff, um den Leser an die Seiten zu bannen.

Alles in allem eine erneut gelungene Frischzellenkur für den Sidhe-Sagenkreis, der Leser aller Altersschichten ins einen Bann zu ziehen vermag.