Carlos Rasch: Orbitale Balance (Buch)

Carlos Rasch
Orbitale Balance
Raumlotsen 2
Titelillustration von Klaus Brandt
Projekte-Verlag, 2010, Paperback, 298 Seiten, 17,50 EUR, ISBN 978-3-86634-929-2

Von Armin Möhle

Mit „Orbitale Balance“ setzt Carlos Rasch seine „Raumlotsen“-Reihe fort. Auch diesmal ist dem Band nicht zu entnehmen, welche Kurzgeschichten (überarbeitete) Nachdrucke sind. Der Vergleich mit den Veröffentlichungen des Autors in DDR-Verlagen in den sechziger, siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts fördert nur eine Titelähnlichkeit zu Tage („Krakentang“, Erstveröffentlichung bei Neues Leben, 1968).

Genau wie der erste Band, „Zurück zum Erdenball“, beginnt „Orbitale Balance“ mit einer belanglosen Story. Es gilt, die „Raumstation auf Taumelkurs“ zu retten, wozu die Roboter an Bord überlistet werden müssen, die sich entsprechend ihrer Programmierung verhalten und die Besatzung evakuieren. Konzeptionslos ist in diesem Kontext der Hinweis auf die Siedlungswelt Juwela, die bereits über ein Stargate erreichbar ist. Aber niemand schenkt ihr Aufmerksamkeit: „Die Nachrichten von dort sind interessant, aber nur wenige Menschen beachten sie.“ (Seite 37).

Die zweite Kurzgeschichte, „Hotel für Fabrikate“, ist auch eine Roboterstory, in der sich der Autor um Ironie bemüht. Der Raumlotse Jan landet auf einem Asteroiden, auf dem veraltete Roboter eine Kolonie errichtet haben. Sie halten Jan beziehungsweise sein Raumfahrzeug für Ihresgleichen und wollen ihn reparieren. Mit einem Trick kann ihnen Jan verständlich machen, dass er ein Mensch ist. Widersprüchlich mutet dabei an, dass ihn die Roboter durch das Kabinendach seines Raumschiffes erkennen können, während er zuvor die Roboter bat, sich zu beschreiben, was den Schluss zulässt, dass ihm die Sicht auf den Asteroiden versperrt war.

In „Tödliche Heimkehr zur Erde“ variiert Rasch ein Standartthema der Space Opera. Die STERNENSTEIGER kehrt nach einem Jahrzehnt (?!) zur Erde zurück. Die Besatzung sollte den Dunkelplaneten Düstros erforschen, der offenbar nicht im heimatlichen Sonnensystem zu finden ist (weitere Einzelheiten über den Planeten erfährt der Leser nicht). Doch die Besatzung der STERNENSTEIGER verhält sich seltsam, unter anderem verhängt sie über sich selbst eine Quarantäne. Ein Besatzungsmitglied ist schwer erkrankt und stirbt kurz darauf, doch nicht an einer Krankheit, die die STERNENSTEIGER von Düstros eingeschleppt hat. Rasch stellt in „Tödliche Heimkehr zur Erde“ die Frage nach der psychischen Belastbarkeit von Raumfahrern. Die Besatzung der STERNENSTEIGER entwickelt eine Kompensationsreaktion, als sie erkennt, dass sie nicht in der Lage ist, ihre Mission zu erfüllen. Das ist ein in der Space Opera seltener, auf einer menschlichen Ebene aber ein sehr gut nachvollziehbarer Handlungsverlauf. Es erscheint aber kaum vorstellbar, dass eine heimkehrende Fernexpedition mit kontaminiertem Nachschub versorgt wird, der die Krankheitswelle unter den Besatzungsmitgliedern der STERNENSTEIGER, deren Immunsystem durch die jahrelange Existenz in einer sterilen Umgebung geschwächt ist, auslöste. Das hätten doch die Planer der Fernexpedition vorausahnen können...!

„Kampf gegen Kraken“ ist die langatmigste Story in „Orbitale Balance“. Die Geschichte spielt auf der Erde, und zwar im Atlantik. Beeinflusste Kraken sabotieren Meeresfarmen. Die Raumlotsin und Psychologin Cora nimmt sich dieses Problems an. Ihre zwei dressierten Haushun.., pardon, Hauskraken sorgen dafür, dass die Story ins Lächerliche abgleitet. Tang spielt in dem „Kampf gegen Kraken“ auch eine Rolle, so dass auch der Titel „Krakentang“ eine gewisse Berechtigung hätte.

Mit „Mondmetall und Raumpiraten“ muss sich der Raumlotse Jan auseinandersetzen. Aufgeschäumtes Titan wird vom Mond zur Erde geschossen; einige der Blöcke weisen Kursabweichungen auf und gehen abseits ihrer geplanten Landepunkte nieder: In ihnen wird Gold geschmuggelt. Jan sieht sich einer Morddrohung und auch einem Anschlag ausgesetzt. Hier scheint erstmals in den „Raumlotsen“-Erzählungen ein Konflikt zu entstehen, der auf einer Seite mit einer gewissen Feindseligkeit geführt wird.

„Aktion Meteoritenstopp“ setzt diesen Handlungsstrang fort. Die MIR II wird wieder in Betrieb genommen, angeblich als Museumsraumstation, tatsächlich aber als Falle für die Raumpiraten. Ein unerwarteter Meteoriteneinfall lässt die Besatzung der MIR II, zu der neben Jan auch der Altlotse Ben Brigsen gehört, den Entschluss fassen, die Piraten an Bord zu nehmen. Es kommt zu einer Verständigung mit den Piraten, die das Gold nicht aus Gier, sondern aus kulturell-religiösen Gründen schmuggeln. Und der Anschlag auf Jan in „Mondmetall und Raumpiraten“? Nun, das war eine andere Gruppe ... „Aktion Meteroritenstopp“ ist eine inkonsequente bis naive Fortsetzung von „Raumpiraten und Mondmetall“ und entbehrt nicht unfreiwilliger Komik (zum Beispiel in Form von Raumanzughelmen, die groß genug sind, dass ein Turban darunter Platz findet ...).

In „Aktion Meteoritenstopp“ ist zum zweiten und letzten Mal in „Orbitale Balance“ von einem Stargate die Rede: „Die Raumflotte hat ein Stargate entdeckt, durch das man zur Waldwelt Juwela Kontakt aufnehmen kann.“ (Seite 263/264). Außerdem gelangt Ben Brigsen an Informationen über die „Substanz Gravitonium: Wir wissen nur nicht, ob es nur die Schwerkraft aufhebbar und steuerbar macht; ob es uns in Parallelwelten versetzt“ (Seite 268) usw. usf. Rasch bereitet seine Protagonisten also darauf vor, die (ihm zu eng gewordene?!) Bühne des Sonnensystems zu verlassen, und zwar mit konventionellen Mitteln des Genres, was erneut gegenüber dem realitätsnahen Anspruch seine Kurzgeschichten kontrastiert.

Auch im zweiten Band der „Raumlotsen“-Reihe, „Orbitale Balance“, ist das Zukunftsuniversum des Autors nicht frei von Widersprüchen. Eine Weiterentwicklung der Charakterisierung der Protagonisten ist ebenfalls nicht zu verzeichnen.