Wonder Woman: The Hiketeia (Comic)

Wonder Woman: The Hiketeia
(Wonder Woman: The Hiketeia, 2002)
Autor: Greg Rucka
Zeichner: J. G. Jones
Übersetzung: Christian Heiß
Panini, 2017, Paperback, 100 Seiten, 12,99 EUR, ISBN 978-3-74160-112-5 (auch als Hardcover erhältlich, 19,00 EUR)

Rezension von Irene Salzmann

Das Crossover von „Wonder Woman“ und „Batman“, „Hiketeia“, erschien in den USA 2002. Die Graphic Novel war die erste Geschichte, die Greg Rucka Wonder Woman widmete, nachdem er zuvor zahlreiche Batman-Storys verfasst hatte und woraufhin er sich ausgiebig mit der Amazonenprinzessin zu befassen begann.

 

Danielle Wellys bringt die Drogendealer um, die Schuld am Tod ihrer Schwester Melody haben. Prompt stellt Batman die Mörderin, die sich ihm mit viel Geschick entziehen kann und Wonder Woman um Schutz bittet. Dabei bedient sie sich eines alten Rituals, Hiketeia genannt, dem sich die Amazone nicht entziehen kann. Sie nimmt die Flüchtige bei sich auf und macht sie zu ihrer Sekretärin. Als Batman Wonder Woman auffordert, ihm Danielle zu übergeben, damit sie sich vor Gericht für ihre Taten verantwortet, weigert sich Wonder Woman und es kommt zum Kampf.


Die Geschichte erinnert an die Sage um Orestes, den Sohn des Agamemnon und der Klytämnestra. Nach seiner Rückkehr aus dem Trojanischen Krieg ermordet Klytämnestra ihren Mann im Bad und wird daraufhin von Orestes erschlagen. Dieser hat somit seinen Väter gerächt, aber zugleich die leibliche Mutter getötet, woraufhin die Erinnyen Jagd auf ihn machen.

Die Problematik des Orestes ist, dass er so handeln musste, weil das Gebot der Vergeltung es von ihm verlangte, doch indem er zum Muttermörder wurde, zog er sich den Zorn der Rachegöttinnen zu, der ihn auch ereilt hätte, wäre das Verbrechen am Vater nicht gesühnt worden. Kurz: Es gab keine Alternative, keinen Ausweg für Orestes - nur die Verdammnis.

Dasselbe trifft auf Wonder Woman zu, die dem Flehen und der Berufung auf „Hiketeia“ Gehör schenken muss, wenngleich ihr Handeln sie in einen innerlichen Konflikt bringt, als sie erfährt, dass Danielle wegen mehrfachen Mordes gesucht wird. Sie mag Verständnis dafür aufbringen, dass die junge Frau Selbstjustiz an Männern verübt hat, die nicht nur ihre Schwester sondern auch andere in den Tod getrieben haben beziehungsweise noch treiben würden - vielleicht sogar Personen, die Wonder Woman nahestehen - und womöglich durch die Maschen des Gesetzes geschlüpft wären, aber Wonder Woman will sich nicht über die Justiz stellen oder einen Freund bekämpfen, der mit seiner Forderung, Danielle der Polizei zu übergeben, im Recht ist.

Infolgedessen muss Wonder Woman die Wahl treffen, entweder die Tradition zu ignorieren, Danielle der Justiz zu überlassen und selbst von den Erinnyen zur Rechenschaft gezogen zu werden - oder dem Ritual zu folgen, Danielle zu beschützen und Batman, der den Rechtsstaat verkörpert, zu bekämpfen, da er dem Gesetz gehorcht und keine Ausnahmeregelungen anerkennen kann und will. Was Wonder Woman auch tut, sie handelt in jedem Fall falsch und bricht altes oder geltendes Recht, was Konsequenzen nach sich ziehen wird.

Obwohl dieser Konflikt im Mittelpunkt steht, ist die eigentliche Hauptdarstellerin Danielle, die durch ihre Tat und das Wissen um „Hiketeia“ alles ins Rollen bringt. Wonder Woman erkennt die Intelligenz ihres Schützlings und macht sie zu ihrer Begleiterin bei öffentlichen Auftritten, sodass Danielle einen Einblick in das Leben und Denken Wonder Womans erhält. Als der Konflikt mit Batman eskaliert, entschließt sich die junge Frau, das Drama zu beenden.

J. G. Jones („Shi“, „Black Widow“, „Before Watchmen“) illustrierte zusammen mit Tuscher Wade von Grawbadger („Birds of Prey“, „Starman“, „New Avengers“) und Kolorist Dave Stewart („Hellboy“, „Conan“, „Ultimate X-Men“) die Graphic Novel im realistisch-idealistischen Stil. Die kräftigen Konturlinien der Figuren verleihen den Bildern eine an den Jugendstil erinnernde comichafte Optik. Die gelungene Kolorierung in größtenteils dunklen Nuancen passt zum Thema der ausweglosen Situation.

Der in sich abgeschlossene Band kann ganz ohne Vorkenntnisse gelesen werden, da sich alles Notwendige, auch das Hintergrundwissen über Wonder Woman und Batman, aus der Handlung erschließt. Der Transfer des „Orestes“-Drama in die Gegenwart funktioniert und ist zeichnerisch gefällig umgesetzt. Für Fans und Gelegenheitsleser eine spannende, ansehnliche Lektüre!