John Gwynne: Macht - Die Getreuen und die Gefallenen 1 (Buch)

John Gwynne
Macht
Die Getreuen und die Gefallenen 1
(Malce - The Faithful and the Fallen 1, 2012)
Übersetzung: Wolfgang Thon
Blanvalet, 2017, Paperback, 832 Seiten, 16,00 EUR, ISBN 978-3-7341-6119-3 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Irene Salzmann

Genauso wie „Der Herr der Ringe“ viele Autoren dazu verleitet hat und noch verleitet, eine ‚Nacherzählung‘ dieses epischen Abenteuers zu schreiben (zum Beispiel Terry Brooks: „Shannara“), sorgt nun George R. R. Martins „Game of Thrones“ für analoge Fantasy-Romane mit vielen Handlungsorten und Protagonisten, die erst eine Beziehung zum Leser herstellen, nur um dann auf tragische Weise ihr Leben zu verlieren. Es wird viel fabuliert und gekämpft, Machthunger trifft auf den Wunsch, ein ehrbares, ruhiges Leben zu führen, der ewige Konflikt zwischen Gut und Böse zwingt alle, sich für eine Seite zu entscheiden, und nicht jeder, der im vorliegenden Buch behauptet, ein Champion von Elyon zu sein, ist es auch, denn Asroth, der Gegenspieler, ist listenreich und skrupellos.

 

John Gwynne entführt seine Leser in die Verfemten Lande (die Karte findet sich auf den Innenseiten von Back- und Frontcover, lässt allerdings das immer wieder erwähnte Land Narvon vermissen, das ungefähr da sein müsste, wo sich der Finsterwald befindet …?), die zur Heimat von Giganten und Menschen wurde, nachdem die Auseinandersetzung zwischen den Göttern Elyon und Asroth die Welt beinahe vernichtet hätte. Während sich der Schöpfergott bekümmert zurückzog, ist der Zerstörer immer noch erpicht, einen Weg in diese Sphäre zu finden und sein begonnenes Werk zu vollenden.

Dass der Götterkrieg nicht mehr fern ist, belegen blutende Steine und andere Vorkommnisse. Hochkönig Aquilus von Tenebral bittet all seine Kollegen zu einem Konzil, um eine Allianz gegen die drohende Gefahr zu schmieden. Allerdings hegen viele Regenten Zweifel an den kryptischen Prophezeiungen, am Nutzen des Bündnisses - und einige haben sich längst für die andere Seite entschieden.

Nathair, Aquilus‘ Sohn und Prinz von Tenebral, wird schon länger von Träumen heimgesucht, die ihm offenbaren, dass er der verheißene Kämpfer Elyons sei, der die Welt vor Asroth bewahren wird. Der charismatische junge Mann schart eine wachsende Zahl Anhänger um sich und geht Bündnisse ein, die seinem Vater ein Dorn im Auge sind. Allerdings ist Nathair davon überzeugt, dass er alle Reiche unter seiner Flagge vereinen muss, um das Böse besiegen zu können, und dass der Zweck die Mittel heiligt.

Derweil wächst in Ardan ein Junge auf: Corban, Sohn des Schmieds. Er träumt wie seine Altersgenossen davon, bald zu den Kriegern zu gehören. Bis es soweit ist, passiert jedoch viel, und er muss auch lernen, was es heißt, ein Krieger zu sein. Er ist gezwungen, sich gegen Neider zu verteidigen, er verliert Menschen, die ihm nahe stehen, und er spürt die Ohnmacht gegenüber der Übermacht der Verräter an seinem König.


Natürlich gibt es noch etliche Handlungsebenen und Protagonisten mehr.

Die ‚Guten‘ werden sympathisch geschildert und ähneln einander vom Wesen und sogar von ihrer Geschichte her, da es sich meist um Fürstensöhne handelt, die sich als Krieger verdingen und hoffen, auf diese Weise das Richtige zu tun. Obschon sich der Autor bemüht, sie optisch und in den Details verschieden zu gestalten, gleichen sie einander durch ihre Wesenszüge sehr. Allein Nathair und Corban, die Schlüsselfiguren, heben sich von ihnen ab, da ihnen mehr Raum zur Entfaltung gegeben wird.

Die ‚Bösen‘ haben eher kurze Auftritte. Sie verfügen über Kenntnisse und Mittel, die ihnen Vorteile über die ahnungs- und arglosen Mitmenschen verschaffen. Man weiß sogleich, dass sie Übles planen, aber das Ausmaß davon soll nicht zu früh enthüllt werden. Man findet welche in hohen Positionen, die im Geheimen langfristig planen, und natürlich gibt es die üblichen Fieslinge, die zunächst ihre Überlegenheit für kleinliche Gemeinheiten ausnutzen und sich später zu größeren Verbrechen verführen lassen.

Dazwischen liegt eine Grauzone, in der sich Personen bewegen, die aufgrund der Vorkommnisse die Lager wechseln, weil sie entweder persönliche Eitelkeiten befriedigen oder an perfiden Grausamkeiten nicht teilnehmen wollen. Hinzu kommen jene, die sich von Asroth manipulieren lassen und tatsächlich glauben, sie würden für Elyon kämpfen, obwohl sie längst korrumpiert wurden, wie ihre Taten belegen. Ob sie ihre Fehler irgendwann erkennen und ihre Seite neu wählen, bleibt abzuwarten.

Wer etwas genauer hinschaut, entdeckt so manche Anleihe, die sich der Autor erlaubt hat. Beispielsweise wirken einige der Namen, die er den Ländern, Orten und Personen gegeben hat, als habe er sich von der „Edda“ und anderen Schriften (Jotunheim, Kawalagebirge), historischen Landkarten (Rhenus, Helveth) oder auch biblischen Motiven (Elyon und Asroth, Engel und Dämonen) inspirieren lassen. Bei der Namensgebung folgt er allerdings keinen sprachlich-kulturellen Regeln, sondern entschied sich wohl für das, was seiner Meinung nach gut klingt.

Zu „Game of Thrones“ findet man natürlich auch Parallelen wie die unterschiedlichen Altersgruppen, Personen, die überwiegend im nahen Umfeld der Fürsten agieren, ein Woelfen-Welpe, das seinem Retter überall hin folgt, interne Konflikte vor der Kulisse einer viel größeren Gefahr, der Tod von Sympathieträgern usw. usf. Die Geschichte beginnt verhalten, die Ereignisse eskalieren immer mehr, die Tragödien sind unausweichlich.

Auffällig ist, wie begierig die jungen Männer sind, Kämpfe auszutragen und in den Krieg zu ziehen. Nachdem die Giganten zunächst als grausame, übermächtige Gegner geschildert wurden, gelingt es den Recken dann doch relativ leicht, sogar ganze Truppen von ihnen aufzuhalten beziehungsweise auszulöschen. Magie erweist sich dabei als hilfreich, steht aber nur wenigen zur Verfügung.

Wenn man Bücher im Stil des „Herrn der Ringe“ und „Game of Thrones“ schätzt, wird man, sofern man die Parallelen nicht überbewerten will und auch den Beschreibungen der Kämpfe etwas abgewinnen kann, recht gut von „Macht“, schon wegen der interessanten Charaktere, unterhalten - und wartet neugierig auf die Fortsetzungen, „Jähzorn“, „Bosheit“ und „Ungnade“. Man sollte jedoch vor dem Kauf bedenken, dass die vielen Ebenen und die vielen kleinen und großen Auseinandersetzungen nicht immer für Spannung sorgen. Manches ist vorhersehbar, und wenn außerdem zu viele positiv besetzte Figuren sterben, bringt das eine gewisse Ermüdung, sodass die anfängliche Begeisterung nachlassen kann.