Jennifer Estep: Karma Girl - Bigtime 1 (Buch)

Jennifer Estep
Karma Girl
Bigtime 1
(Karma Girl, 2007)
Übersetzung: Vanessa Lamatsch
Piper, 2017, Paperback, 394 Seiten, 12,99 EUR, ISBN 978-3-492-28037-2 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Irene Salzmann

Nur wenige Minuten vor ihrer Hochzeit erwischt die Journalistin Carmen Cole ihren Bräutigam in flagranti mit ihrer besten Freundin. Schlimmer noch: Die beiden sind nicht einmal zerknirscht, sondern sprechen davon, dass die Affäre unausweichlich gewesen sei, denn Matt ist der lokale Superheld Machinator und Karen die Superschurkin Crusher, die trotz oder gerade wegen ihrer heftigen Kämpfe eine starke Anziehung zueinander verspüren.

Carmen ist zutiefst verletzt und gekränkt, zum einen wegen des Treuebruchs, zum anderen weil sie von den Superhelden-Identitäten nichts gewusst hatte und wohl auch nicht so bald hätte erfahren sollen. Um sich zu rächen, schießt Carmen mehrere Fotos mit ihrem Handy, eilt schnurstracks in die Redaktion und liefert eine Enthüllungsstory, mit der sie die einstmals wichtigsten Menschen in ihrem Leben öffentlich bloßstellt.

Damit nicht genug zieht Carmen von nun an von Stadt zu Stadt, um weitere Superhelden und -schurken zu demaskieren. Tatsächlich ist das gar nicht so schwierig, denn bestimmte Indizien bringen sie stets auf die richtige Spur. Dann jedoch passiert etwas, womit Carmen nicht gerechnet hat. In Bigtime deckt sie die Identität von Tornado, einem Mitglied der Fearless Five, auf, der sich kurz darauf das Leben nimmt. Das hatte Carmen wirklich nicht gewollt!

Künftig keine Enthüllungen mehr, schwört sie sich, und wendet sich der Klatschspalte zu, während eine Welle des Hasses über sie hinwegrollt, denn nicht nur die Superhelden geben Carmen die Schuld am Tod eines der ihren, sondern auch die Bevölkerung trauert um einen beliebten Helden. Allerdings wird Carmen kurz darauf von dem Schurken-Team Terrible Trinity gezwungen, auch die Identitäten der verbliebenen Fearless Five herauszufinden.

Notgedrungen beginnt Carmen herumzuschnüffeln, jedoch um ihren Fehler wiedergutzumachen, indem sie die Superhelden zu retten und ihnen die Terrible Trinity auszuliefern versucht. Dieses Vorhaben ist jedoch gar nicht so leicht in die Tat umzusetzen, auch nicht, als sie die Gruppe näher kennenlernt, und schon gar nicht, nachdem sie sich Hals über Kopf in Striker verliebt hat…


Superhelden-Storys in Buchform findet man relativ selten. Es gibt wenige Romane, welche die Geschichte eines Kinofilms (nach-) erzählen, sich einem Event aus der Comic-Reihe widmen oder ein eigenständiges Abenteuer inszenieren. Auch nicht häufiger trifft man auf Romane, in denen Superhelden agieren, die eigens geschaffen und nicht von DC, Marvel, Image oder sonst einem Verlag entlehnt wurden. Auf Anhieb fallen nur die zwei Bände von Jackie Kessler und Caitlin Kittredge, „Das Ikarus-Projekt“ 1 und 2, ein, erschienen bei Lyx. Und nun präsentiert Piper eine solche Serie von Jennifer Estep, „Bigtime“.

Wer ein bisschen bewandert ist in den diversen Superhelden-Universen, wird so manche humorige Anspielungen entdecken und feststellen, dass für die Akteure die meisten Anleihen aus den DC-Comics gezogen wurden. Beispielsweise erinnert Striker an Batman alias Bruce Wayne, Frost an Mr. Freeze, Tornado an Red Tornado und so weiter. Auch den Helden-Codex, nicht zu töten, der bei DC am intensivsten ausgeprägt ist, findet man hier, was, wie jeder weiß, den Schurken zum Vorteil gereicht, denn sie kennen solche Skrupel nicht, landen für ihre Vergehen im Gefängnis, brechen aus, und der Kampf gegen sie beginnt erneut (ohne ‚endgültige Problemlösung‘ à la „Punisher“, „Wolverine“ oder „Spawn“).

In diese Welt, in der Helden die normalen Menschen vor den Schurken schützen, die entweder Raubzüge begehen oder die Welt erobern wollen, stolpert unbeabsichtigt die Hauptfigur Carmen Cole, eine Journalistin. Als Leser kann man nachempfinden, dass sie sich für den Treuebruch ihres Verlobten an allen Superhelden und -schurken rächen und verhindern will, dass andere auf ähnliche Weise betrogen werden. Sie begeht jedoch den Fehler, alle über einen Kamm zu scheren und die möglichen Konsequenzen ihrer Enthüllungen nicht zu bedenken, denn, genau genommen, vernichtet sie Existenzen und liefert die Betroffenen mehr oder minder direkt ihren Gegnern aus.

Entsprechend groß ist ihr Entsetzen, als eines ihrer Opfer angeblich Selbstmord begeht. Das löst in der jungen Frau einen Wandel aus, wie ihn wohl so ziemlich jeder Held durchmacht, der plötzlich zu besonderen Kräften kam, die er zunächst zum eigenen Wohl einzusetzen gedachte, sie durch ein Schlüsselerlebnis jedoch künftig der Allgemeinheit zur Verfügung stellen möchte. Als Carmen von der Terrible Trinity unter Druck gesetzt wird, deckt sie zwar gehorsam die Identitäten der Fearless Five auf, aber nur zu dem Zweck, um mit deren Hilfe die Schurken ausschalten zu können. Dass das nicht gleich klappt, liegt auf der Hand, und die ‚Guten‘ geraten mehr als einmal in die Bredouille, denn die Feinde sind äußerst gerissen. Als schon alles verloren scheint, gibt es eine Überraschung, die das erfahrene Publikum gewiss frühzeitig erahnte.

Um die Auseinandersetzung zwischen den Fearless Five und der Terrible Trinity nicht zu schnell abzuhandeln, werden zwischenmenschliche Momente eingefügt. Die unvermeidliche Romanze zwischen Carmen und Striker sorgt für einige erotische Einlagen. Von Fiera, die mit Tornado liiert war, schlägt Carmen Ablehnung entgegen, denn ihr wird die Schuld an seinem Tod gegeben. Mr. Sage und Hermit verhalten sich ziemlich neutral, wirken eher ausgleichend auf die drei anderen ein, zwischen denen es immer wieder zu Konflikten kommt.

In der Summe liest sich das wirklich nett und dürfte nicht nur Comic-Leserinnen ab 16 Jahre (wegen der erotischen Szenen) gefallen, sondern auch den weiblichen Fans des früheren Romantacy-Programms von Lyx und selbstverständlich den Paranormal Romances anderer Verlage, darunter Piper, Bastei Lübbe, Heyne etc.

„Karma Girl“, der erste Band der fünfteiligen „Bigtime“-Reihe von Jennifer Estep, spielt gelungen mit dem Superhelden-Motiv, nimmt es ernst, wo es angebracht ist, und auf die Schippe, wo die Klischees dazu Anlass bieten. Die Charaktere erfüllen ihre Rollen, es gibt gleichermaßen Action und Romantik. Ein unterhaltsamer Schmöker für weibliche Genre-Fans.