Rudolf Simek: Monster im Mittelalter - Die phantastische Welt der Wundervölker und Fabelwesen (Buch)

Rudolf Simek
Monster im Mittelalter - Die phantastische Welt der Wundervölker und Fabelwesen
Titelbild: Bärbel Bereth
Böhlau, 2015, Paperback, 360 Seiten, 29,90 EUR, ISBN 978-3-41221-111-0

Rezension von Jan Niklas Meier

Das Monströse ist allgegenwärtiger Bestandteil unserer Kultur, das hat bereits 1996 der US-amerikanische Historiker Jeffrey Jerome Cohen festgestellt. Wir alle leben in einer Welt der Monster, ihre Erscheinungsformen reichen dabei von Kreaturen des Horror-Films über Kinderspielzeug bis zum metaphorischen Gebrauch des Terminus - etwa für den monströsen Finanzmarkt. Cohens These der Allgegenwärtigkeit des Monströsen in der Kultur meint aber nicht nur unsere Zeit, sondern schließt ebenso vergangene Epochen mit ein. Für das Mittelalter nun hat Rudolf Simek den Spagat gewagt, ein Buch vorzulegen, dass einerseits den Ansprüchen eines akademischen Fachpublikums gerecht wird, andererseits aber auch den interessierten Laien anzusprechen soll. Gerade ein Thema von solcher Popularität mag der Wissenschaft einen Weg aus ihrem sprichwörtlichen Elfenbeinturm herausweisen.

 

Simek bietet in einem umfassenden ersten Teil seines Buchs einen Abriss der Entwicklung und kulturellen Funktion mittelalterlicher Monster, um nachfolgend eine lexikalische Zusammenschau aller überlieferten Kreaturen zu liefern.


Der Autor, seit 1995 Lehrstuhlinhaber für Ältere Germanistik unter Einschluss des Nordischen an der Universität Bonn, beweist dabei eine immense Sachkenntnis, versteht es aber gleichzeitig, einen ausgesprochen lebendigen Schreibstil zu pflegen, der zu keiner Zeit in die oftmals doch ziemlich sperrigen Satzkonstruktionen akademischen Publizierens abzudriften droht.

Zunächst erzählt Simek die lange Geschichte des Monströsen in der europäischen Kultur. Alle Erläuterungen erfolgen durchweg sehr quellennah, wobei entsprechende Zitate sowohl im originalen Wortlaut als auch in moderner deutscher Übersetzung wiedergegeben werden. Einen Schwerpunkt legt der Autor dabei auf eine Abgrenzung des mittelalterlichen Verständnisses von Monstrosität hin zu einer modernen Definition. So wird etwa plausibel dargelegt, dass jedem monströsen Wesen im Mittelalter immer ein gewisser Grad an Menschlichkeit zugrundeliegen musste, und dass die Kreaturen zumeist als nicht für den Menschen gefährlich angesehen wurden.

Verortet wurden diese seltsamen Wesen am Rand der damals bekannten Welt. Definiert Simek nun sehr detailliert das mittelalterliche Monster, fällt die Abgrenzung zu einem modernen Begriffsverständnis eher dünn aus. Hier wäre etwa eine Aufnahme der bekannten Arbeiten Michel Foucaults wünschenswert gewesen, der mit Beginn des 19. Jahrhunderts das sso genannte „Sittenmonster“ aufkommen sieht. Während sich nun mittelalterliche Monstrosität besonders an körperlicher Abnormität festmacht, verstößt das Sittenmonster mit seinem Handeln gegen menschliche Werte und Normen, sein Körper dagegen weist es nicht mehr als monströs aus. Zurück im Mittelalter, spart der Autor außerdem die Nutzbarmachung der Monster als Instrument zur Diffamierung von außen eindringender Feinde aus. So inszenierte man etwa Muslime als monströse Wesen, die das vermeintlich homogene, im Angesicht der Gefahr zusammenstehende christliche Abendland von außen bedrohten. Gerade dieser Aspekt des Themas beweist nun auch heute eine traurige Aktualität.

Insgesamt aber liefert Simek einen umfassenden, faszinierenden Einblick in eine lang vergangene Epoche, die uns in weiten Teilen gar nicht so fern ist, wie wir vielleicht denken mögen.

Der zweite Teil des Buchs bietet dann eine lexikalische Zusammenschau aller heute bekannten mittelalterlichen Monster nebst den Quellen, die sie uns überliefern. Für die Forschung stellt diese Darstellung eine wertvolle Handreichung dar, existiert eine derartige Übersicht doch bislang nicht. Insgesamt wird jedoch auch - und hierin liegt die große Stärke des Werks - demjenigen etwas geboten, der sich einfach nur für das Thema interessiert und keinen entsprechenden akademischen Hintergrund mitbringt.

Simek verlässt mit „Monster im Mittelalter“ den wissenschaftlichen Elfenbeinturm und legt ein spannendes, gut geschriebenes Werk vor, dem eine rege Rezeption zu wünschen ist.