Der Schwarze Mann (Comic)

Der Schwarze Mann
Szenario: Antoine Maurel
Zeichnungen: Pierre-Yves Berhin
Übersetzung: Rossi Schreiber-Leser
Titelbild: Hamo, Benoît Bekaert
(Noirhomme: Ouverture, Sacrifices, Eches, 2007-2010)
Ehapa, 2011, Hardcover, 146 Seiten, 34,95 EUR, ISBN 978-3-7704-3525-1

Rezension von Irene Salzmann

Das Cover von „Der Schwarze Mann“, dessen Geschichte zu Beginn des 19. Jahrhunderts spielt, erinnert gewiss nicht zufällig an „Das Phantom der Oper“. Dieser mehrfach inszenierte Roman („Le Fantôme de l’Opéra“) des französischen Journalisten und Schriftstellers Gaston Leroux, der in Fortsetzungen in der Zeitung „Le Gaulois“ 1909/1910 erschien und 2004 von der Musicalverfilmung profitierte, sieht ganz nach der Vorlage für den dreiteiligen Comic „Der Schwarze Mann“ aus, der hier als „All in One“-Album vorliegt, geschrieben und gezeichnet in den Jahren 2007 bis 2010. Die Ähnlichkeit der jeweiligen Titelfiguren liegt auf der Hand, auch wenn die Details stark variieren.

 

Paris in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Mehreren Personen erscheint „der Schwarze Mann“ und bewegt sie dazu, Dinge (in einer Weise) zu tun, die sie für sich ausgeschlossen hatten. Der Unbekannte in dem schwarzen Gewand, der einen Zylinder und offenbar eine Maske trägt, weiß genau, wie er jene, die er auswählt, anpacken muss, dass sie ihm wie Marionetten gehorchen. Für ihr Gewissen, den scheinbaren Erfolg, ihre Ängste oder was auch immer, lassen sie sich manipulieren - und schließlich in den Wahnsinn, Selbstmord und andere üble Situationen treiben.

Zunächst scheint „der Schwarze Mann“ bloß ein Hirngespinst zu sein, dem ein Autor, vielleicht eine Hommage an Gaston Leroux, durch seine Geschichten Gestalt verleiht. Aber dann werden plötzlich Menschen ermordet von eben jener Romanfigur, ohne dass es einen Zusammenhang zwischen den Opfern noch ein konkretes Motiv gibt. Natürlich möchte sich so mancher selbst ernannte Verbrechensbekämpfer die Situation für seinen sozialen Aufstieg zunutze machen, doch auch dagegen hat „der Schwarze Mann“ etwas.

Jemand kommt seinem Geheimnis jedoch zu nah, sodass er sich zu drastischeren Maßnahmen entschließt, die ihn einige Jahre später entlarven, nachdem er längst seine Identität und Beweggründe jenem enthüllt hat, an dem er sich hatte rächen wollen.


„Der Schwarze Mann“ ist eine düstere Rache-Story, wie nach und nach verraten wird, nur dass sie, anders als „Das Phantom der Oper“ nicht in den Pariser Katakomben und der Oper, sondern vor allem in Adelskreisen spielt. Es geht um Standesdünkel, physische und psychische Grausamkeiten. Das einstige Opfer wird zum Täter und nutzt die Möglichkeiten, die ihm die Gesellschaft offeriert, gegen seine Feinde: Selbstherrlichkeit, Korruption, der Hunger nach Macht, Ansehen und Geld sowie die kleinen und großen Schwächen des Einzelnen. Die Details folgen später, nachdem die Maske fällt. Ein System, dessen Herrscherschicht die Wahrheit - Presse-, Meinungs-, Versammlungsfreiheit - unterdrückt, die Bürger bespitzeln und von Dritten denunzieren lässt, aus Polizei und Justiz einen Willkürapparat macht - potentielle Opfer werden nicht geschützt, stattdessen an angeblichen Tätern Exempel statuiert -, schafft die entsprechenden Reaktionen: Duckmäusertum oder Gegengewalt; ein Thema, das heute wieder höchst aktuell ist. „Der Schwarze Mann“ entschied sich für Letzteres.

Die Einzelheiten sollte jeder selbst lesen, denn die Handlung ist so aufgebaut, dass man lange im Dunkeln tappt und mit seinen Mutmaßungen in die falsche Richtung geht. Als die Auflösung erfolgt, sie vom Täter selbst erläutert wird, ist diese zwar in sich schlüssig, wirkt aber doch ein wenig konstruiert, insbesondere weil der ‚Phantom-Aspekt‘ gerade zu Beginn sehr stark war. Man möchte meinen, dass die Wende zum Realismus erst später erfolgte, auch um sich einige Jahre nach der „Phantom der Oper“-Begeisterung von dieser abzugrenzen.

Die Zeichnungen sind zum Thema passend, stimmungsvoll und realistisch mit Mut zur Hässlichkeit, denn die Charaktere sind Durchschnitts- und Alltagstypen, aber keine ‚Comic-Role-Models‘.

„Der Schwarze Mann“ ist eine spannende Lektüre, die eine Weile in die Irre führt und Einzelschicksale in den Vordergrund stellt, bis es eine gewisse Wende mit Auflösung gibt, die zwar dramatisch, aber leider nicht ganz so faszinierend ausfällt, wie man es erwartet hätte.