Veronica Roth: Gezeichnet - Rat der Neun (Hörbuch)

Veronica Roth
Gezeichnet
Rat der Neun 1
(Carve the Mark, 2017)
Übersetzung: Petra Koob-Pawis und Michaela Link
Sprecher: Laura Maire und Shenja Lacher
der Hörverlag,  2017, 2 mp3-CDs, ca. 964 Minuten, ca. 15,99 EUR, ISBN 978-3-8445-2497-0

Rezension von Irene Salzmann

Akos, sein Bruder Eijeh und seine Schwester Cisi leben auf dem Planeten Thuvhe, aber dort haben sich auch die Shotet niedergelassen, die vom „Rat der Neun“ nicht als Nationenplanet, sondern bloß als Volk erachtet werden und die die friedlichen Thuvhesi immer wieder angreifen.

Eines Tages werden die Kinder von ihrem Vater aus der Schule abgeholt, denn die Shotet sind hinter ihnen her, weil der Rat preisgegeben hat, dass zwei von ihnen von den Orakeln als sogenannte Schicksale erkannt wurden und was sie erwartet - was zuvor stets ein Geheimnis war. Sie werden angegriffen, der Vater ermordet, Akos und Eijeh entführt. Die Mutter, eines von drei Thuvhesi-Orakeln, hat ihre Familie nicht gewarnt und ist verschwunden.

Akos und Eijeh werden vor Ryzek geführt, den jungen Herrscher der Shotet. Er macht Eijeh zu seinem persönlichen Orakel, weil er sein eigenes Schicksal ändern will, und Akos zum Sklaven seiner Schwester Cyra, weil er die Gabe besitzt, ihre Fähigkeit, Schmerzen zu bereiten, die ihr ebenfalls Schmerzen auferlegen, in Schach zu halten, denn sie ist Ryzeks Waffe gegen alle, die sich ihm widersetzen. Akos kann Cyra tatsächlich den Schmerz nehmen, sodass sie handlungsfähig bleibt.

In allen Welten besitzen die Menschen eine mehr oder minder nutzvolle Gabe. Ryzek ist in der Lage, anderen eine Erinnerung zu rauben und ihnen dafür eine der seinen zu geben (was im Laufe der Handlung die Frage aufwirft, weshalb ihn die vielen Erinnerungen nicht schizophren oder besser werden lassen, wenn seine Opfer - Eijeh - umso bösartiger werden). Auf diese Weise zwingt er Cyra und Eijeh zum Gehorsam.

Da Ryzek Eijeh für seine Pläne benötigt, hat dieser relativ wenig zu befürchten, aber er wird verändert. Akos lebt viel gefährlicher, denn er passt sich den Shotet nur an, weil er seinen Bruder retten will. Ohne es zu wollen baut er dabei eine Beziehung zu Cyra auf, die sie schon bald voreinander abhängig macht, denn Akos befreit sie vom Schmerz und stärkt ihr Selbstwertgefühl, indem er sie als ein weiteres Opfer ihres Bruders akzeptiert und nicht als böse empfindet, und Cyra beginnt daraufhin, Mut zu fassen und sich gegen ihren Bruder zu wehren.

Natürlich ist diese Beziehung auch die Schwäche der beiden, die von Ryzek erkannt und ausgenutzt wird. Bis dahin haben die beiden jedoch einen Punkt überschritten, der verhindert, dass sie schwach werden und sich erpressen lassen. Im Gegenteil, Akos und Cyra nehmen ihr Schicksal in die eigenen Hände, um Ryzeks Tyrannei zu beenden.


„Gezeichnet“, der erste von zwei Teilen der „Rat der Neun“-Duologie, ist komplexer, als die Rezension annehmen lässt. Der Roman wartet mit einer Vielfalt an Orten und Protagonisten auf, die ihren mehr oder minder großen Puzzle-Beitrag zum Geschehen leisten. Dass man sie nicht alle nennen kann, ist klar, das würde zu weit führen, aber die Hörbücher haben auch den Nachteil, dass nicht immer die Namen der Protagonisten gelistet werden, und wenn es so viele wie hier sind - wie schreibt man sie alle?! Ein Booklet mit einigen Informationen wäre begrüßenswert.

Cyra und Akos sind die Hauptfiguren, die nach einiger Zeit erkennen, dass sie mehr vereint als trennt, denn sie sind Ryzeks Gefangene, unabhängig von ihrer Herkunft. Notgedrungen werden sie zu Schicksalsgefährten, dann zu Verbündeten und schließlich zu Liebenden. Während Akos sich die Traditionen der Shotet zueigen macht, um zu überleben, tut Cyra das, wozu ihr vorher die Kraft fehlte: Sie streift Ryzeks Joch ab und verbündet sich mit den Rebellen. Der Anschlag auf Ryzek geht jedoch schief, Cyra und Akos werden gefangengenommen und gefoltert…

Veronica Roth, die Autorin der vier „Die Bestimmung“-Romane, wartet diesmal mit einem Zweiteiler auf, der erneut in einer futuristischen Welt spielt.

Während ein ominöser „Rat der Neun“ mit Hilfe der der nicht minder mysteriösen Orakel die Geschicke der Völker bestimmt, begehren so manche Herrscher auf, hier der Shotet Ryzek, den sein Vater zu einem Monster gemacht hat und der seine Schwester Cyra missbraucht, um Kritiker gefügig zu machen. Nicht nur will er Macht und Anerkennung, sondern sein Schicksal zu ändern, ist sein Hauptanliegen, und um das zu erreichen, sind ihm alle Mittel recht.

Während Ryzek als durch und durch böse beschrieben wird, wandelt sich Cyra vom Saulus zum Paulus durch die Liebe zu Akos. Seine Triebfeder ist zunächst die Befreiung seines Bruders, aber dieser gerät mehr und mehr unter Ryzeks Einfluss, sodass der Erfolg eines solchen Unternehmens immer zweifelhafter wird. Außerdem erwidert Akos Cyras Gefühle. Allerdings bleibt es lang spekulativ, wer oder was für beide das Hauptanliegen ist, und auch wenn das geklärt werden kann, bleiben die Verpflichtungen.

Man nimmt Anteil am Schicksal der beiden, die im Wechsel sehr persönlich berichten, was geschieht, und ihrer (Quasi-) Freunde, lehnt mit ihnen ihre grausamen Feinde ab - aber obschon ‚die Guten‘ etwas bewirken, ist der Konflikt noch lang nicht gelöst. Am Ende des Buchs gibt es einige Enthüllungen, die Vieles von dem, was die Protagonisten immer glaubten, infrage stellt und neue Antworten einfordert. Mit diesem Cliffhanger schließt der Teil - Fortsetzung folgt.

Das Buch könnte in seinem Umfang etwas langatmig sein, die Schilderungen von Ryzeks Vorgehen könnten recht grausam scheinen, sodass man sich wundert, weshalb ein solcher Titel in einem Jugendbuchverlag - cbt - publiziert wird. Das Alter der Protagonisten allein kann es nicht sein, aber es wäre auch nicht das erste Mal, das ein Titel sowohl unter dem Jugendbuch- als auch dem Erwachsenen-Label eines Verlags erscheint, um möglichst viele Leser anzusprechen.

Was in Action-Mangas schon lange gang und gäbe ist, dass Kinder und Teenager die Jobs von Erwachsenen erledigen, setzt sich mittlerweile auch in der hiesigen Spannungsliteratur immer mehr durch. Freilich waren die Heroen meist um die Zwanzig bis Dreißig, aber erst seit „Buffy“, „Twilight“, „Vampire Diaries“ & Co. wird ausdrücklich erwähnt, wie jung die Akteure sind, damit sich die lesefaulen PC-Kids als Erwachsenen-Leser von morgen vielleicht doch noch zum eBook oder anderem locken lassen.

Wie auch immer, das Hörbuch bietet gute Unterhaltung, man folgt der Lesung gern, aber wer über Lese-Erfahrung verfügt, erkennt die gängigen Gut-Böse-Klischees.

Schätzt man Titel dieser Art („Die Tribute von Panem“), kommt man auf seine Kosten, und im Zweifelsfall ist das Hörbuch gewiss leichter zu bewältigen als der 600-Seiten-Ziegelstein.