Traum von Jerusalem (Comic)

Philippe Thirault & Lionel Marty
Traum von Jerusalem
(Die heilige Miliz, Die göttliche Prüfung, Die weiße Lanze, Esse homo)
Übersetzung: Marcel Le Comute
(Le Rêve de Jérusalem Tome 1-4, 2007-2010)
Ehapa, 2011, Hardcover, 194 Seiten, 39,95 EUR, ISBN 978-3-7704-3410-7

Rezension von Irene Salzmann

Auvergne/Frankreich, 1076: Hermance Languedolce ist erst sechs Jahre alt, als er unter der Anleitung seiner Mutter durch Handauflegen Kranke und Verletzte zu heilen beginnt. Ihr neuer Geliebter möchte die göttliche Gabe des Jungen benutzen, um reich zu werden, doch diese erlischt mit dem Tod der Mutter. Der Klerus will den vermeintlichen Ketzer in der sogenannten Rüstung der Qualen sterben lassen, aber Hermance gelingt es, sich des Feuers zu bedienen und zu befreien. Eine Zigeunerfamilie findet ihn, nimmt ihn bei sich auf und heilt seine verbrannten Füße.

An einem anderen Ort wütet der aus Livland stammende Karlis Oresund, genannt ‚der Schwarze Live‘, und steigt bald zum gefragten Söldner auf. Einer seiner Raubzüge führt den Heiden in ein Kloster, in dem ihm Jesus erscheint, ihn läutert und ihm die Gabe verleiht, gute und böse Mächte wahrzunehmen. Von nun an will der Schwarze Live im Zeichen des Kreuzes kämpfen und schließt sich Bohemund von Tarent an.

Zwanzig Jahre später begegnen sich Hermance und der Schwarze Live, der den jungen Mann zunächst für einen Scharlatan hält, dann jedoch seine Kraft erkennt, ihn mitnimmt auf den Kreuzzug nach Jerusalem und ihn zu leiten beginnt, sodass Hermance erneut als Heiler wirken kann. Als die beiden Istvàna Kalia, der Anführerin der Tafuren, begegnen, beginnt eine fatale Dreiecksbeziehung inmitten des brutalen Schlachtengetümmels.


Die frei erfundene Geschichte spielt vor dem Hintergrund des ersten Kreuzzugs (1096 bis 1099), zu dem Papst Urban II. aufgerufen hatte. Dieser führte zur Befreiung Jerusalems, das danach 88 Jahre unter christlicher Herrschaft stand, und zur Gründung mehrerer Kreuzfahrer-Staaten, die sich aufgrund von Zwistigkeiten nicht gegen die vereinten muslimische Stämme behaupten konnten und ebenfalls aufgegeben werden mussten.

Es ist ein Zeitalter, in dem die Menschen an göttliche Befehle und Wunder glaubten, doch wer sie ausführte, befand sich ständig in Gefahr, als Häretiker auf grausame Weise hingerichtet zu werden. Die Aussicht auf eine Belohnung für die Befreiung des Heiligen Landes veranlasste viele, sich dem Kreuzzug anzuschließen. Wer realistischer dachte, folgte vor allem dem Versprechen auf Landbesitz, Reichtum und ein besseres Leben.

Was jene fanden, war jedoch vor allem Entbehrung, Krankheit und Tod. Der Autor Philippe Thirault und der Illustrator Lionel Marty schildern, ohne zu schönen, die schlimmsten Facetten des Kreuzzugs. Ehre, Nächstenliebe, Mitleid und Gnade kennt keiner der Protagonisten. Sie wirken wie Besessene, und einer reißt den anderen mit. Zwar geht es ums blanke Überleben, und der Gegner ist kein Deut besser, aber der allgegenwärtige Fanatismus verhindert, dass man als Leser eine Beziehung zu den Charakteren aufbaut oder gar mit ihnen sympathisiert.

Hier gibt es keine sauberen, gut gekleideten und ehrbaren Ritter à la Hollywood, sondern dreckige, grausame Mörder, die berserkerhaft alles niedermetzeln, was zwischen ihnen und ihrem Ziel steht. Selbst die Beziehungen zwischen Hermance, dem Schwarzen Liven und Istvàna ist von Egoismus, Gier, Neid und teilweise von Gewalt geprägt. Sie benutzen einander, um Jerusalem zu erreichen, Schätze zu erringen, am Leben zu bleiben und ihre sonstigen Begierden zu stillen - sie tun, was man von ihnen erwartet. Dass daraus vor dieser blutgetränkten Kulisse kein Happy End erwachsen kann, liegt auf der Hand.

„Traum von Jerusalem“ ist in Wirklichkeit ein Albtraum mit einer drastischen Handlung und ebenso drastischen Bildern. Der Band, der als „All in One“ die komplette vierteilige Serie beinhaltet, zeigt schonungslos die hässliche Seite des Krieges, der auch seine Teilnehmer hässlich macht. Der Comic ist weniger ein opulentes Historien-Drama als eine Abrechnung mit dem Mob, der nichts hinterfragt und sich schnell zusammenrottet, wenn sich jemand an seine Spitze stellt, und sich dann dem kollektiven Fanatismus hingibt, der keinerlei Gnade zulässt.

Aufgrund der brutalen Handlung und entsprechender Abbildungen ist der Titel nur für Erwachsene geeignet.