Connie Willis: Licht (Buch)

Connie Willis
Licht
(All Clear, 2010)
Übersetzung: Claudia Kern
Titelbild: Martin Frei
Cross Cult, 2017, Taschenbuch, 876 Seiten, 24,00 EUR, ISBN 978-3-95981-170-5 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Gunther Barnewald

Um mich (hoffentlich nur ausnahmsweise) einmal zu wiederholen, hier nochmals die Vorinformationen der Besprechung von „Dunkelheit“ von Connie Willis:

Connie Willis ist die meistausgezeichnete SF-Autorin aller Zeiten, wobei sie vor allem die renommierten Preise so oft abgesahnt hat, dass ihr niemand auch nur annähernd gleichkommt. Elf Hugo Awards, sieben Nebula Awards, vier Locus Awards, Aufnahme in die Science Fiction Hall of Fame 2009 und natürlich den Damon Knight Grand Master Award (sozusagen noch ein Nebula) für ihr Lebenswerk, um nur die bedeutendsten Preise zu nennen.

Leider ist von ihren wunderbaren Büchern schon lange nichts mehr auf Deutsch erschienen (Neuauflagen ausgenommen). Der Ludwigsburger Verlag Cross Cult schafft hier endlich Abhilfe. Und natürlich hat auch dieses Buch wieder die begehrtesten Preise gewonnen. Aber die Geschichte ist der Autorin dermaßen voluminös geraten, dass sie diese in zwei Teile trennen musste. Der vorliegende Roman ist also der zweite Teil (und hat zusammen mit dem ersten Teil Hugo, Nebula und Locus gewonnen).

Wie schon in ihrer tollen Novelle „Brandwache” und den beiden ebenfalls voluminösen Romanen „The Doomsday Book“ (dt. „Die Jahre des Schwarzen Todes”) und “To say nothing of the Dog”, (dt. “Die Farben der Zeit“) reisen erneut Historiker unter der Leitung von Mr. Dunworthy (der aber nicht mit reist) vom Oxford der Mitte des 21. Jahrhunderts aus in die Vergangenheit, diesmal ins Jahr 1940, um den 2. Weltkrieg und seine Auswirkungen in England zu studieren.


Während eine Frau namens Merope, die unter dem Namen Eileen O´Reilly auf einem Landsitz arbeitet, um das Schicksal der evakuierten Kinder zu studieren, möchte Polly Churchill, die sich hier Polly Sebastian nennt, das Verhalten der Kaufhausangestellten in London während der Luftschlacht um England 1940 und der anschließenden Bombardierungen studieren. Ein Historiker namens Michael Davies, der sich Mike Davis nennt und sich als US-Amerikaner ausgibt, möchte die Heldentaten der Schiffer studieren, die bei der Evakuierung der Alliierten 1940 aus Dünkirchen halfen.

 

Die Autorin räumt diesen drei Personen sehr viel Platz ein und der Leser erfährt reichlich über das London jener Tage, die Kinderlandverschickung und die Flucht der Alliierten vom Festland.


Doch irgendwann merken die drei, dass die Rückreisemöglichkeit ins Jahr 2060 nicht mehr gegeben ist. Und während Mike fürchtet, die Vergangenheit gravierend verändert zu haben, ist er doch bis Dünkirchen vorgedrungen, wo er hätte gar nicht sein dürfen, da dieser sogenannte „Hotspot” bisher nicht erreichbar war durch Zeitreisen, entschließt sich jeder der drei, die beiden anderen zu kontaktieren.


Vereint versuchen die drei nun in der Fortsetzung eine Möglichkeit der Rückreise ins Jahr 2060 zu finden. Leider scheinen alle „Vorhänge” („Vorhang” werden die menschenleeren Stellen genannt, an denen zu bestimmten Zeiten die Zeitreise-Portale aufflackern) erloschen zu sein, neue Rüstungsgüter oder Trümmer machen den unbeobachteten Zugang unmöglich. Und selbst an menschenleeren Stellen sind die Portale erloschen.

Verzweifelt versuchen die drei sich an Kollegen zu erinnern, die vielleicht schon diese Zeit erforscht haben. Doch ein Kollege, der nach Bletchley Park reisen wollte, um dort die Bemühungen der Code-Knacker um Alan Touring zu studieren (bekannt auch aus dem Bestseller „Enigma“ von Robert Harris und dessen Verfilmung), ist hier leider nie angekommen. Und als die drei versuchen, einen Zeitreise-Kollegen, der für die Brandwache in der St.-Pauls-Kathedrale arbeitete, zu kontaktieren, scheint sich alle Welt gegen sie verschworen zu haben und die Kontaktaufnahme misslingt immer haarscharf im allerletzten Moment.

Als dann auch noch Mike scheinbar einer Bombe in London zum Opfer fällt und ein völlig verzweifelter und desillusionierter Mr. Dunworthy auftaucht, dem ebenfalls die Rückkehr verwehrt ist, scheint es immer wahrscheinlicher, dass der Eingriff in die Zeit durch die Reisenden die Geschichte verändert hat. Werden die Nazis doch noch den Zweiten Weltkrieg gewinnen? Werden alle englischen Juden getötet und damit auch vielleicht nie die Zeitreise-Technik erfunden, stammt diese doch von einem Nachfahren eines dieser in Zukunft vielleicht von den Nazis getöteten Engländers? Wird die Welt faschistisch und damit ein kalter, brutaler und menschenfeindlicher Ort ohne Menschenrechte, Demokratie und Freiheit? Verzweifelt versuchen Polly und Eileen sich zusammen mit ihren neuen Freunden und den beiden Hodbin-Kindern, die von Eileen inzwischen adoptiert wurden, da deren Mutter ebenfalls einer Bombe zum Opfer fiel wie so viele Einwohner Londons, gegen die Katastrophe zu stemmen.

Leider rücken jene Tage näher, in denen sowohl Mr. Dunworthy als auch Polly bereits in London weilten, damals mit einer anderen Expedition einige Jahre später. Erreichen die beiden diese Zeit, müssen sie vorher sterben, denn ein und derselbe Körper kann nicht zur gleichen Zeit an zwei Orten existieren. Lediglich Eileen, deren erste Zeitreise dies ist, könnte in dieser Zeit schadlos verweilen. Doch kann es noch eine Rettung geben vor dem GAU?


Erneut erzählt die Autorin eine unfassbar spannende und lebendige Geschichte. Gelang es ihr im ersten Band, den Leser auf erstaunlichen 710 Seiten zu fesseln (zwar nicht durchgängig, aber doch zu großen Teilen), so gelingt Willis dies im vorliegenden Werk sogar auf sage und schreibe 876 Seiten(!).

Erneut wirkt die Atmosphäre atemberaubend authentisch, die Charaktere sind wunderbar entwickelt und der Stil der Autorin ermöglicht dem Leser ein reibungsloses Dahingleiten.

Kaum jemand erzählt so mühelos und unangestrengt wie Connie Willis.

Eine grandiose Geschichte, packend erzählt und hochintelligent konstruiert.