Connie Willis: Dunkelheit (Buch)

Connie Willis
Dunkelheit
(Blackout, 2010)
Übersetzung: Claudia Kern
Titelbild: Martin Frei
Cross Cult, 2016, Taschenbuch, 714 Seiten, 20,00 EUR, ISBN 978-3-95981-168-2 (auch als eBook erhältlich)

Von Gunther Barnewald

Connie Willis ist die meistausgezeichnete SF-Autorin aller Zeiten, wobei sie vor allem die renommierten Preise so oft abgesahnt hat, dass ihr niemand auch nur annähernd gleichkommt. Elf Hugo Awards, sieben Nebula Awards, vier Locus Awards, Aufnahme in die Science Fiction Hall of Fame 2009 und natürlich der Damon Knight Memorial Grand Master Award (sozusagen noch ein Nebula) für ihr Lebenswerk, um nur die bedeutendsten Preise zu nennen. Leider ist von ihren wunderbaren Büchern schon lange nichts mehr auf Deutsch erschienen (Neuauflagen ausgenommen). Der Ludwigsburger Verlag Cross Cult schafft hier endlich Abhilfe.

Und natürlich hat auch dieses Buch wieder die begehrtesten Preise gewonnen. Aber die Geschichte ist der Autorin dermaßen voluminös geraten, dass sie diese in zwei Teile trennen musste. Der vorliegende Roman ist also nur ein erster Teil, der zweite soll im Februar folgen (und hat zusammen mit dem ersten Teil einen Hugo, einen Nebula und den Locus Award gewonnen).

Wie schon in ihrer tollen Novelle „Brandwache” und den beiden ebenfalls voluminösen Romanen „The Doomsday Book“ (dt. „Die Jahre des Schwarzen Todes”) und “To say nothing of the Dog”, (dt. “Die Farben der Zeit“) reisen erneut Historiker unter der Leitung von Mr. Dunworthy (der aber nicht mit reist) vom Oxford der Mitte des 21. Jahrhunderts aus in die Vergangenheit, diesmal ins Jahr 1940, um den 2. Weltkrieg und seine Auswirkungen in England zu studieren.


Während eine Frau namens Merope, die unter dem Namen Eileen O´Reilly auf einem Landsitz arbeitet, um das Schicksal der evakuierten Kinder zu studieren, möchte Polly Churchill, die sich hier Polly Sebastian nennt, das Verhalten der Kaufhausangestellten in London während der Luftschlacht um England 1940 und der anschließenden Bombardierungen studieren. Ein Historiker namens Michael Davies, der sich Mike Davis nennt und sich als US-Amerikaner ausgibt, möchte die Heldentaten der Schiffer studieren, die bei der Evakuierung der Alliierten 1940 aus Dünkirchen halfen.


Die Autorin räumt diesen drei Personen sehr viel Platz ein und der Leser erfährt reichlich über das London jener Tage, die Kinderlandverschickung und die Flucht der Alliierten vom Festland.


Doch irgendwann merken die drei, dass die Rückreisemöglichkeit ins Jahr 2060 nicht mehr gegeben ist. Und während Mike fürchtet, die Vergangenheit gravierend verändert zu haben, ist er doch bis Dünkirchen vorgedrungen, wo er hätte gar nicht sein dürfen, da dieser sogenannte „Hotspot” bisher nicht erreichbar war durch Zeitreisen, entschließt sich jeder der drei, die beiden anderen zu kontaktieren. Doch kann man sich wirklich finden wenn man nur vage weiß, was der jeweils andere erforscht? Und was ist mit dem Ausgang des Krieges: Hat Mike etwas daran geändert? Oder gar an der Erfindung der Zeitreisetechnik?


Wie bereits in „Brandwache” ist der 2. Weltkrieg ein spannendes und aufregendes Terrain für die Autorin, die bis in die kleinsten Details blendend recherchiert hat. Hier wird Geschichte lebendig und anschaulich. Der grandiose Stil von Willis und die tolle Übersetzung von Claudia Kern machen „Dunkelheit“ zu einem absoluten Lese-Hochgenuss. Hier kann man jede Zeile genießen und sich auch nach 714 Seiten noch auf eine Fortsetzung freuen, denn die drei bedauerlichen Protagonisten hängen fest in ihrer Zeit 1940 und alle Fluchtmöglichkeiten sind wohl zerstört, jeder Kontakt abgerissen. Letzte Hoffnung ist ein Kollege, der in Kürze erscheinen soll. Oder gibt es den auch nicht mehr?

Zwar ist die lange Geschichte natürlich nicht durchgehend spannend, dazu ist die Seitenzahl einfach zu hoch. Aber niemand erzählt so entspannt, lebendig und mitreißend wie Connie Willis und erschafft so lebendige Protagonisten (absolutes Highlight die verwahrlosten Kinder Binnie und Alf Hodbin, oft nur „Die Hodbins” genannt, die alle Erwachsenen in den Wahnsinn treiben und tief in die Slums von London blicken lassen).

Es wäre wirklich zu wünschen, dass auch noch andere Romane und Story-Sammlungen von Willis noch in Deutsch erscheinen (immerhin hat Willis 17 Romane und 6 Bände mit Kurzgeschichten publiziert, von denen leider nur wenige hierzulande vorliegen). Ein großer Dank deshalb an den Verlag Cross Cult für diese Publikationen.Und ein besonderes Dankeschön an Martin Frei, der das Umschlagcover so toll gestaltet hat, dass man mit nur ganz wenig Phantasie einen weißen Highlandterrier seitlich oben auf den Wolken thronen sehen kann (Buch quer legen, Rücken nach oben).