Steven Savile: London Macabre (Buch)

Steven Savile
London Macabre
(London Macabre, 2012)
Aus dem britischen Englisch übersetzt von Andreas Schiffmann
Titelillustration von Michael Schubert
Voodoo Press, 2015, Taschenbuch, 540 Seiten, 16,99 EUR, ISBN 978-3-902802-83-5 (auch als eBook erhältlich)

Von Carsten Kuhr

Willkommen im viktorianischen London. Einer Stadt, die sich auf dem Höhepunkt ihrer Macht befindet, aus deren Amtsstuben ein Weltreich regiert und das Commonwealth zementiert wird.

Dass rund um die Prachtbauten des Britischen Museums auch Not und Elend herrschen, dass Blumenmädchen ihren Körper für ein paar Pennies verkaufen müssen um zu überleben, ist bekannt. Immer wieder einmal findet man eines der Mädchen ermordet auf, haben Habgier und Hass dafür gesorgt, dass eine Seele gen Himmel fährt.

Eines Nachts, kurz vor Mitternacht, wird einem Blumenmädchen das Genick gebrochen. Dieses Mal aber hat das Opfer schlicht Pech, zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort gewesen zu sein. Nathaniel Seth, seines Zeichens Mitglied der Gefolgschaft, einer okkulten Loge, steigt in das Museum ein, um ein altes Artefakt zu stehlen. Ein Homunkulus, mit dessen Hilfe und blutigen Opfern eine Passage ins Innerste der Erde geöffnet werden soll.

Seth selbst fährt, in einen magischen Käfig gespannt, zum Mittelpunkt der Erde, einem Ort, an dem er schon erwartet wird. Sein Ansinnen, die dort eingesperrten Dämonen zu befreien, wenn sie ihm nur ihre Kräfte zur Verfügung stellen, wird ad absurdum geführt, dient Seths Körper den Dämonen doch als erste lang entbehrte Nahrung auf ihrem Weg an die Oberfläche.

Nur dem selbstlosen Einsatz des Gentlemen-Clubs ist es zu verdanken, dass zunächst das Schlimmste verhindert werden kann. Mittels einer Beschwörung wird der Welt eine Stunde entwendet, doch einer der Dämonen ist der Hölle entkommen. Als dieser Jagd auf Engel macht, ihnen die Schwingen ausreißt, ahnen die Agenten beider Seiten, dass etwas Unerhörtes vor sich geht. Leichen gefallener Engel pflastern der Weg, der Kain zu dem Tor führt, das in seine Heimat führt. Der Garten Eden wartet, wohl bewacht von Uriel, ist in diesem doch der Morgenengel eingekerkert. „Brennt mit mir“, so raunt es im Hintergrund einer Welt, die ihren Gott lange verloren hat und in der dessen Schöpfungen darum streiten, die Nachfolge anzutreten - und dies alles nur, weil eine Frau ihren gestorbenen Geliebten wiederhaben will…


Was ist dies für ein Roman von einem der produktivsten Autoren unserer Zeit? Savile hat sich über seine Mitarbeit an „Primeval“, „Torchwood“, „Stargate“ und „Doctor Who“ Meriten verdient, seine eigenen Schöpfungen, zumeist im Bereich des phantastischen Thriller angesiedelt, wissen zu überzeugen.

Vorliegend entführt er uns in ein London, das wir zunächst meinen zu kennen. Das viktorianische London wird gerne und häufig als Handlungsort gewählt. Steampunk-Verfasser nutzen die Kulisse ebenso wie Horror-Autoren, die dank der vielen Kohlefeuer rußgeschwärzte Luft dient so manchem Ganoven und Monster als Tarnung. In diese Kulisse hat Savile einen Plot gesetzt, der anders ist, als das Gewohnte.

Vorliegend tummeln sich Engel und Dämonen, Magier und dunkle Zauberer, Okkultisten und Mörder und versuchen im Chaos der Heimsuchung das Beste für sich herauszuholen. Der Autor nutzt die alttestamentarische Vorgabe des Garten Eden, der Engel und Gott selbst, um uns aus diesen Bestandteilen eine Geschichte zu erzählen, die sicherlich nicht jedermanns Geschmack trifft, aber bestens und packend unterhält. Das ist blasphemisch, wenn er von einem geflohenen Gott berichtet, der seine Schöpfung nicht mehr ertragen kann, oder von den Erzengeln, die ihre Pflicht pervertiert dahinvegetieren und ihre Aufgabe, die Menschen zu schützen und anzuleiten, vergessen haben.

In diese Welt hat der Autor dann zwei einander bekämpfende Geheimbünde, Erzschurken, Okkultisten und Magier gesetzt, die jede ihr eigenes Ziel verfolgen. Verrat und Folter, Zauber und Flüche, lebendig werdende Löwen und versteinernde Magier - Savile lässt seine Phantasie spielen und präsentiert dem Leser einen Plot weit abseits der ausgetretenen Pfade.

Bei einem der großen Internetversender kann man in einem Kommentar nachlesen, dass die Übersetzung schlecht sei und der Roman blasphemisch mit der Bibel umginge. Letzteres ist insofern zutreffend, als dass Savile die biblischen Gestalten verwendet und sie als andere Wesen porträtiert, die von der Last der Jahrtausende, dem fehlenden Gott und ihrer eigenen Erinnerung gequält werden und daran so manches Mal gebrochen sind. Was die Übersetzung anbelangt, so kann ich dem Urteil nicht beipflichten. Ganz im Gegenteil fand ich die Übertragung sehr gelungen, sprachlich immer wieder den jeweiligen Gestalten angepasst und auf hohem Niveau.