Marvel Noir: X-Men (Comic)

Fred van Lente
Marvel Noir: X-Men
(X-Men Noir 1 – 4, Marvel,, 2008/09)
Aus dem Amerikanischen von Bernd Kronsbein
Titelillustration von Dennis Calero
Zeichnungen von Mark Paniccia, Ralph Macchio, Nathan Cosby, Alan Fine
Panini, 2010, Paperback mit Klappenborschur, 140 Seiten, 14,95 EUR

Irene Salzmann

Außer Spider-Man, Daredevil, Luke Cage, den Punisher und Wolverine schickte Marvel auch die X-Men in das "Noir"-Universum. Jede dieser Graphic Novels kann unabhängig von den anderen und dem bekannten Background gelesen werden; Vorkenntnisse sind nicht notwendig. Den "Noir"-Reihen ist gemein, dass sie in den USA der 1930er Jahre spielen, in jener Ära der Weltwirtschaftskrise, Korruption, Bandenkriminalität und politischen Instabilität. Die Comics orientieren sich an der Tradition des Films Noir und der Pulp Fiction. Sie sind realistisch und düster gezeichnet, selbst über den helleren Farben liegt ein Schleier, der diese Welt deprimierend und bedrohlich erscheinend lässt. Wer die Guten und die Bösen sind, ist auf den ersten Blick hin oft nicht ersichtlich.

Der Psychiater Professor Xavier sitzt im Gefängnis. Ihm wird angelastet, dass er in seinem Institut psychisch gestörte Jugendliche erforscht und zu kriminellen Handlungen anleitet, statt zu versuchen, sie in die Gesellschaft zu integrieren. Nachdem die Leiche einer jungen Frau gefunden wurde, die man für Jean Grey hält, gibt Xavier dem ermittelnden Beamten Eric Magnus einen vagen Hinweis. Daraufhin beginnt die Suche nach Anna-Marie Renkin – und es gibt noch mehr Tote.

In "Marvel Noir: X-Men" begegnet man zahlreichen Figuren, die im gängigen Marvel-Universum Mitglieder dieses Teams waren und sind beziehungsweise auf irgendeine Weise mit ihm involviert sind. Auch einige der Konflikte übernahm man und passte sie den veränderten Gegebenheiten an. So sind die Jugendlichen, die Xavier unter seine Fittiche nahm, zwar keine Mutanten, aber sie haben andere Talente oder Eigenarten und sind deswegen einmal mehr Außenseiter der Gesellschaft. Xavier und Magnus treten als Gegenspieler mit verschiedenen Anschauungen auf, und jeder von ihnen ist unter dem Deckmantel des Psychiaters beziehungsweise Polizisten noch etwas gänzlich anderes. Magnus' Kinder, Wanda und Peter, haben sich von ihrem Vater distanziert. Logan und Scott Summers sind Rivalen um die Gunst von Jean, und die Situation eskaliert, als Spuren die Vermutung zulassen, Logan sei der Mörder.

Was passiert hier? Schon aufgrund der vielen Personen und Handlungsebenen, die regelmäßig wechseln, wird vom Leser sehr viel Aufmerksamkeit verlangt, denn nichts ist so, wie man eingangs glaubte. Erst am Schluss fallen die Puzzlestücke an die richtigen Stellen, die Schlüsselrollen von Jean und Anna-Marie in dieser brutalen, finsteren Geschichte werden offenbart.
Schon lange ist die Welt der X-Men alles andere als heil, aber das "Noir"-Paperback schafft es, das Bisherige zu toppen. Der Autor und die Zeichner haben ihre Aufgabe bestmöglich erfüllt und eine ungewöhnliche Graphic Novel der Extra-Klasse geschaffen, die nicht nur Fans der "X"-Reihen sondern auch Comic-Leser, die sich weniger für Superhelden interessieren und eher zu Titeln wie "Criminal", "100 Bullets" oder "DMZ" greifen, überzeugen kann.

Der Band wartet außerdem noch mit der Kurzgeschichte "Die Sentinels", einer Cover-Galerie, den Abbildungen verschiedener Entwürfe und Informationen zu den Künstlern auf. Die Gestaltung als Paperback mit Klappenbroschur, Kunstdruckpapier und stilistisch einheitlichen Titelillustrationen aller "Noir"-Comics wirkt edel, knapp 15,00 EUR für 140 Seiten sind angemessen.

"Marvel Noir: X-Men" bietet dem reiferen Publikum ein abgeschlossenes Abenteuer der etwas ,anderen' Art. Man sollte ein wenig darin blättern, denn die Story könnte manchem Fan schon zu dunkel und tragisch sein.