Gesa Schwartz: Grim – Das Siegel des Feuers (Buch)

Gesa Schwartz
Grim – Die Siegel des Feuers
Titelillustration von Max Meinzold
Lyx, 2010, Hardcover, 678 Seiten, 19,95 EUR, ISBN 978-3-8025-8303-2

Carsten Kuhr

Paris ist bekannt als die Stadt der Liebe. Im Schatten des Eiffeltums, des Künstlerviertels Montmartre und des Louvre aber gibt es an den alt-ehrwürdigen Kathedralen noch viel mehr zu entdecken, als der oberflächliche Tourist bemerkt.

In luftiger Höhe wachen seltsame Skulpturen über die Bewohner der Metropole. Wesen auf zwei und auf vier Beinen, oftmals mit grimmigen Fratzen und Hörnern auf der Stirn oder Boxfüßen – Wasserspeier oder auch Gorgoyles nennt man die mittelalterlichen Dämonenbanner.

Die siebzehnjährige Mia lebt in Paris. Seit ihr Vater, ein begnadeter Maler des Übersinnlichen, vor Jahren starb und ihr älterer Bruder das Elternhaus verlassen hat, ist sie mit ihrer Mutter allein zu Hause.

In letzter Zeit traut sie oftmals ihren Augen kaum. Immer wieder erblickt sie Dinge, ja Lebewesen, die es nicht gibt. Ihr Bruder Jakob eröffnet ihr, dass sie weder verrückt wird, noch unter Drogeneinfluss steht. Sie ist eine Hartide, eine Seherin des Möglichen, und erhält immer wieder Einblicke in die Anderweit.

Seit Jahrhunderten, seit dem großen Krieg der Menschen gegen die Gargoyles und dem anschließenden Zauber des Vergessens, achten die übernatürlichen Wesen akribisch darauf, dass kein Mensch von ihrer Existenz erfährt.

Grim, ein aufgrund seiner Menschenfreundlichkeit gerade zum Strafdienst degradierter Gargoyle der Schattenflügler, wacht darüber, dass keiner das steinerne Gesetz bricht. Wer doch einen in der Nacht lebendig gewordenen Wasserspeier, einen Vampir oder Werwolf, zu Gesicht bekommt, dessen Gedächtnis wird auf magischem Weg gelöscht.

Eines Nachts überrascht er seine alte, todkranke Freundin Moira, wie sie sich nicht nur einem jungen Menschen offenbart, sondern diesem auch noch ein mysteriöses Pergament übergibt

Bevor sie sich, gebeutelt von einer tödlichen Krankheit, der endgültigen Versteinerung hingibt, muss er seiner Freundin versprechen, ganz entgegen den Anweisungen der OGP, der Obersten Gargoylen Polizei, über den Menschen Jakob zu wachen. Noch ahnt er nicht, was ihn dieses Gelöbnis kosten wird.

In der Folgezeit wird Jakob von Hybriden, Mischlingen aus Gargoyle- und Menschabstammung verfolgt. Was nur will Seraphin von Athen, der Anführer der Hybriden, von Jakob, was kann so wichtig an dem Pergament sein, dass er bereit ist, seine schwarzmagische Kunst zur Beschaffung des Pergaments einzusetzen?

Kurz bevor Jakob sich selbst, von den Verfolgern in die Enge getrieben, umbringt, überlässt er das Pergament seiner Schwester. Da diese, solange ihre Kräfte nicht von einem Feenkrieger erweckt wurden gar nicht in der Lage ist, die Botschaft zu entziffern, reisen sie und ihr Bewacher Grim gen Süden. In der Stadt unterhalb Roms suchen und finden sie in einem der vergessenen Helden der Gargoyles einen Helfer, der sie auf die richtige Spur setzt.

Während Mia sich daran macht, das Geheimnis des Pergaments zu lösen, eilt Grim vom Hilferuf seines Vorgesetzten aufgeschreckt nach Ghrogonia, der Stadt unterhalb von Paris, zurück. Ein blutiger Umsturz hat stattgefunden, die Hybriden haben sich des magischen Gorgoylenzepters bemächtigt und mit dem Rattenfängerzauber dafür gesorgt, dass alle übernatürlichen Wesen ihren eigenen Willen verlieren. Angeführt von Grim und mit Hilfe des von Mia gefundenen lang verschollenen Zepters der Menschen kämpfen die wenigen aufrechten Verteidiger gegen die Hybriden und ihre dunklen Pläne, die sowohl die Anderweit, als auch die Menschen bedrohen ...

Was ist das für ein Buch, das pünktlich zur Leipziger Buchmesse in die Buchhandlungen kam? Lyx hat sich in den letzten Jahren quasi aus dem Nichts – bei vgs erschienen in erster Linie Bücher zu Fernsehserien und Kochbücher – zu einem der interessantesten Verlage der Szene gemausert. Unter der Ägide von Volker Busch und seinen Kolleginnen suchte und fand man frische, unverbrauchte Talente, baute nach und nach ein beeindruckend vielschichtiges Fantasy-Programm auf.

Neben den Romance-Fantasy- und High-Fantasy-Epen lag und liegt der Schwerpunkt dabei auf den Urban-Fantasy-Geschichten.

Nun ist das so eine Crux mit einer Bestsellerwelle. Mittlerweile haben alle Verlage die Chancen erkannt, die derartige Werke umsatztechnisch bieten, als Folge ging eine wahre Sintflut an entsprechenden Titeln über uns nieder. Dabei überwogen die ausländischen Lizenzen bei weitem, einige wenige deutschsprachige Autoren wagten sich, zaghaft zunächst, an entsprechende Plots heran.

Während die Völker-Romanwelle zwischenzeitlich im Wesentlichen von Originalromanen getragen werden, dominiert bei der Urban Fantasy weiterhin der angloamerikanische Sprachraum.

Wenn nun also der Verlag, der die Welle bei uns mit verursacht hat, ein entsprechendes Erstlingswerk mit einer Hardcover-Ausgabe adelt, dann weist dies darauf hin, dass man vom Inhalt mehr als überzeugt ist.

Schon äußerlich kommt dem Leser das Buch dabei aufsehenerregend entgegen. Ein zum Inhalt kongenial passendes, farbenprächtiges Prägecover, dazu passende Vorsätze, Ziegelsteinformat, Kapitelvignetten und Lesebändchen – bibliophiles Herz, was willst Du mehr?

Nun ist das so eine Sache mit dem Inhalt entsprechender Romane. Mittlerweile kennen wir die Ausgangssituationen zur Genüge – Vampire oder Werwesen über ihren erotischen Charme auf meist etwas frustrierte, gutgebaute Damen aus, dazu gesellt sich ein packender Kampf, fertig ist der Bestseller.

Gesa Schwartz macht es sich glücklicherweise nicht so leicht. Statt auf abgegriffenen Topics aufzubauen, entwirft sie eine Welt, die wohltuend anders und detailreich ausgestaltet ist.

Lebendiggewordene Wasserspeier stehen im Zentrum der Aufmerksamkeit. Natürlich gibt es auch andere übernatürliche Wesen, Werwölfe, Vampire, Kobolde oder Feen doch die Gargoyles und ihre Kultur dominieren den Roman.

Ausgehend von zwei zunächst getrennten Handlungssträngen erzählt uns die Autorin von zwei Charakteren, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Auf der einen Seite der pflichtbewusste, erfahrene Gargoylenpolizist, der sich, einsam wie er ist, zu den Menschen hingezogen fühlt. Die Verantwortung auf seinen Eid aber zwingt ihn, Distanz zu wahren, eine traumatische Freundschaft in seiner Vergangenheit hat ihn gelehrt, dass Menschen sterben und Verlust sehr weh tut. Hinter seinem mächtigen Äußeren verbirgt sich dabei ein weiches, mitfühlendes Herz und ein wacher, rational denkender Verstand.

Auf der anderen Seite ein haltloses, sehr emotionales Mädchen, das von der Situation, in der sie sich unerwartet und ungewollt wieder findet. zunächst überfordert wird.

Zusammen machen sie sich auf in ein Abenteuer, in dessen Verlauf sie, und mit ihnen der Leser, mit der Geschichte der verschiedenen Völker, ihren Helden und Verrätern und nicht zuletzt mit sich selbst konfrontiert werden.

Es geht dabei viel um Selbsterkenntnis, um den Mut, sich seinen Gefühlen und seiner Verantwortung zu stellen, aber auch, wenn auch weitgehend unterschwellig, um Gefühle. Nicht nur solche der amourösen Art, sondern und insbesondere auch Empfindungen wie Verlust, Trauer, Angst und Hilflosigkeit prägen den Text. Wie gehe ich mit diesen nicht eben einfachen Gefühlen um, wie mit dem natürlichen Wunsch der Verleugnung und Flucht?

Sehr geschickt und behutsam entwickelt die Autorin hier ihre Personen, nimmt den Leser dabei an der Hand und offenbart ihm immer wieder Details, die sich nach und nach zu einem stimmigen Bild fügen. Erst im Nachhinein merkt man, wie geschickt Schwartz hier ihre Fundamente gelegt hat, wie die Persönlichkeiten nach und nach immer plastischer zu Tage
treten.

Eingepackt hat die Autorin ihre mitreißende Geschichte in ein Ambiente, das den Leser zunächst mit unserer üblichen Alltagswelt konfrontiert. Zwei Metropolen hat Schwartz dabei portraitiert, mit Paris die Stadt der Liebe und der Sehnsucht, und mit Rom die Stadt in der man buchstäblich Geschichte atmet.

Wichtiger und faszinierender als die Metropolen selbst aber sind die Städte, die sich verborgen vor den Menschen, inner- und unterhalb derselben verstecken. Bewacht von den Wasserspeiern, geschützt von mächtiger Magie können, dürften sie eigentlich nie fallen.

Als das Undenkbare dann doch passiert, ist guter Rat teuer. Plötzlich erweist sich der integre Rebell – eigentlich ein Widerspruch in sich selbst, der aber Grim sehr genau portraitiert – als treibende, charismatische Kraft im Widerstand, der Bündnisse schmiedet und das Heft des Handeins in die Hand nimmt. Auch diese Entwicklung wurde sehr gut nachvollziehbar dargestellt. Doch allein kann er nicht obsiegen, nur mit Hilfe eines Menschenmädchens kann die Bedrohung vielleicht abgewendet werden.

Das ist beste Abenteuerliteratur, phantastisch, voller Spannung und Drive mit ungewöhnlichen Figuren und Tiefgang.