Literatur-News

Wolfgang Thadewald. 24.4.1936 – 1.12.2014. Ein Nachruf

„Fahrt frei für das deutsche Science Fiction Fandom! Und mit fährt immer: Euer Wolfgang Thadewald!“ Dieser hochgestimmte Satz von 1959 aus dem Fanzine „Sol“ kennzeichnet wie kein anderer das Selbstverständnis Wolfgang Thadewalds, der seiner schweren, lange mit Tapferkeit, Ironie und Selbstdisziplin bewältigten Krankheit nun schließlich doch 78jährig erlegen ist.

„Sol“ – das war für ihn der erste Tummelplatz seiner fannischen Neigungen zu einer Zeit, als die Mitglieder des Science Fiction Clubs Deutschland, dem Wolfgang früh beitrat, sich auf der Höhe der Zeit fühlen konnten. 1957 als Fanzine der SFCD-Gruppe Bielefeld entstanden, mauserte „Sol“ sich unter der Redaktion von Klaus Eylmann, Ulf Miehe, Winfried Scholz und eben Wolfgang Thadewald während der folgenden Jahre zum Mitteilungsblatt der nordwestdeutschen Fan-Zirkel und zu einem führenden Diskussionsforum im SFCD.

Das Fandom war noch überschaubar, die fannischen Aktivitäten manchmal unernst. Waldemar Kumming prägte in der Fanpostille „Munich Round Up“ – gleichfalls 1959 – den Namen Vurguzz für ein potentes Getränk, ausgeschenkt auf dem Planeten Monstros in der Bar „Zu den dreieinhalb Planeten“. Die Umsetzung in die Realität eines ursprünglich 82%igen Kräuterlikörs erfolgte ein Jahr später auf der Basis eines gemeinsamen Einfalls von Wolfgang Thadewald und Franz Ettl in Unterwössen: Ettl mixte, Thadewald entwarf mit Buntstiften das farbige Etikett (heute noch zu besichtigen). Bald professionell hergestellt, hielt Vurguzz Einzug ins Fandom und blieb legendär bis heute.

Die Zeiten wurden ernster. In den 90er Jahren begann die SF-Gruppe Hannover (SFGH), die Wolfgang mitbegründet hatte, zu schwächeln. Wolfgang übernahm es 1997, das Fanzine „SFGH-Chroniken“ weiterzuführen – erst mit Schreibmaschine, Schere und Alleskleber, später mit dem Computer. Nicht lange, und er verlieh ihm ein unverwechselbares Profil. Nachdrucke „historischer Preziosen“ der Sekundärliteratur (so ein früher Rezensent), Wiederveröffentlichung ehrwürdiger Zukunftsentwürfe der Phantastik „von vorgestern“, Kurzgeschichten aus der angeblichen Feder der liebenswert-frech erdachten Inge Ranz sowie andere kleine, aber feine Erzählungen spiegelten ebenso Wolfgangs Faible für die Vergangenheit der Zukunft wie sein scharfes Auge für die Skurrilitäten des heutigen Alltags.

Die Vergangenheit der Zukunft: Wo schlägt sie sich derart nieder wie im Sammeln von Büchern, Zeitschriften, Heften? „Bücher, wohin das Auge schaut“, schrieb die „Hannoversche Allgemeine“ noch vor einem Jahr über Wolfgang. „Eine überwältigende Vielfalt an bedrucktem Papier. Bücher in Regalen, in Stapeln auf dem Boden und in Kartons. Weit über 4000 Exponate allein von Jules Verne, mehr als 50.000 Bände Phantastischer Literatur insgesamt nennt er sein Eigen.“ Außerdem: Kataloge, Bibliographien, Bestandslisten, Verzeichnisse, Karteien – „alle Bücher über alle Bücher, die ich mir nicht kaufen kann“, mit Wolfgangs Worten. Er schrieb sie für die Seite der Villa-Galactica-„Abonauten“, deren finanzieller Beistand bis heute ermöglicht, jene andere enorme Sammlung zu katalogisieren, die der 2003 verstorbene Heinz Jürgen Ehrig zusammengetragen hat. In einem Satz, der die tiefe Sympathie des Sammlers für den Sammler spiegelt, charakterisierte Wolfgang Thadewald sie als „einzigartigen kulturhistorischen Schatz“.

Seine umfassenden Kenntnisse, seine eigene umfängliche Bibliothek waren es, die Wolfgang ermöglichten, buchstäblich hunderte von Fachartikeln zu schreiben – die meisten über Jules Verne, auf den er sich seit Jahrzehnten spezialisiert hatte. Mit Unterstützung des Jules-Verne-Clubs gab er 2004 den CD-ROM-Werkführer „Jules Verne. Bekannte und unbekannte Welten“ heraus: 39.000 Bildschirmseiten – Romane, Erzählungen, Rezensionen, bio- und bibliographische Studien. Letztes Jahr erschien dann – wiederum ermöglicht durch die Mithilfe des Clubs, vor allem aber Zeugnis eigener bewunderungswürdiger Energie – unter dem Titel „150 Jahre Jules Verne“ der 1. Band von „Thadewalds Spaziergängen durch die Vernistik“. Den geplanten 2. Band, eine Neuausgabe von Gustav Hofmanns „Die Reise nach dem Mond. Nach Jules Verne“, konnte er nicht mehr verwirklichen.

Diese Werke sind nicht die einzige Erinnerung an Wolfgang, die vielen Menschen bleiben wird. Sein finanzielles Engagement, seine ideelle Unterstützung, haben maßgeblich beigetragen zur Entstehung der Stiftung, die seit 2006 die Existenz und Weiterentwicklung der Phantastischen Bibliothek Wetzlar gewährleistet und deren Aufsichtsrat er bis zu seinem Tod angehörte. Einmal mehr war es ihm darum zu tun, eine Sammlung anderen dauerhaft zugänglich zu machen, zu ihrer Freude und zur Erweiterung ihres Wissensstandes.

So viele Jahre, so viele freundliche, manchmal fröhliche Erinnerungen. Es war schön, dass es Wolfgang gab. Was will man mehr über einen Menschen sagen, dem man von Herzen zugetan war? Säße er doch auf Wolke Sieben und könnte sich noch einmal freuen…

Rainer Eisfeld