Michael Schmidt (Hrsg.): Zwielicht Classic 4 (Buch)

Michael Schmidt (Hrsg.)
Zwielicht Classic 4
Titelillustration von Lothar Bauer
2014, Paperback, 186 Seiten, 8,99 EUR, ISBN 978-1-493695-91-1 (auch als eBook erhältlich)

Von Carsten Kuhr

Sammelbände mit Kurzgeschichten, ganz gleich ob nur von einem mehr oder minder bekannten Autor oder eine Anthologie, verkaufen sich nicht – so zumindest die allgemeine Meinung in deutschen Verlagshäusern. Und die Zahlen scheinen den Pessimisten recht zu geben, der moderne Leser will Endlosserien, in denen sich die bekannte Handlung ständig wiederholt, er oder sie mühelos in die Zeilen eintauchen kann, ohne zu viel Gehirnschmalz investieren zu müssen.

Doch, wie so oft, gibt es Ausnahmen von der Regel. Es gibt gerade im phantastischen Bereich ein Genre, dessen Leser die Wucht einer guten Pointe oder eines überraschenden Endes zu schätzen wissen, die sich gerne auf eine kurze Begegnung mit dem Unheimlichen, dem Makaberen oder Bösen einlassen. Gemeint sind, Sie ahnen es bereits, die Freunde des gediegenen Horrors, der Weird Fiction und der unheimlichen Literatur.

Nun sind Horror-Fans, um bei dem generalisierenden Begriff zu bleiben, immer schon ein wenig anders als Freunde der SF oder Fantasy gewesen, sie sind experimentierfreudiger, aufgeschlossener und interessierter an Neuem und Unbekanntem. So finden sich online wie im Print immer wieder Projekte, die den kurzen Text hofieren, die Autoren die Möglichkeit geben, auszuprobieren, zu experimentieren und sich so zu entwickeln.

Die von Michael Schmidt mit viel Engagement betreuten „Zwielicht“-Bände legen beredt Zeugnis von dieser Tatsache ab. Mit Gespür für außergewöhnliche Geschichten sucht der Herausgeber immer wieder neue Preziosen aus, die stilistisch ansprechend den Leser verstören, ängstigen oder berühren. Schon zum vierten Mal hebt sich so der Vorhang zu der „Classic“-Edition mit Beiträgen, die bereits einmal erschienen sind, die aber von ihrer Kraft und Klasse nichts verloren haben.

Freuen kann man sich vorliegend auf Ralph Doeges „Altes Muster“, in der ein Lindwurm das durch diesen zerstörte Leipzig heimsucht. Nur die Opferung von unschuldigen Jungfrauen kann ihn besänftigen – so zumindest die offizielle Doktrin. Als der alte Winter bei der Suche nach Glas für seine Glasharfe die jugendliche Julia trifft, muss er sich entscheiden; ob er Julia, wie vorgeschrieben, der städtischen Inquisition verrät, oder den Weg des Feuers geht?

Vincent Voss entführt uns in „Zehn Meter“ in ein Nervensanatorium. Ein Pfleger, der selbst unter Furchtanfällen leidet, hat die Nachtschicht übernommen – und trifft dabei einen alten, unerwünschten Bekannten…

Andreas Grubers „Der Puppenmacher von Leipzig“ entführt uns, wie der Titel andeutet, nach Leipzig. Hier erwacht ein junger Mann, nachdem er von einem Kutsche überrollt und sein Rückgrat gebrochen wurde, in einem Auditorium, wo er mit künstlichen Mitteln am Leben erhalten wird – sehr zu seinem Leidwesen, kennt er doch die Apparaturen, die er selbst an unschuldigen Kindern erprobt hat; oder ist doch alles nur ein Albtraum?

In Iven Einszehns „Ich bin so destruktiv!“ sucht eine Frau die Hilfe eines Psychiaters. Nur ein Irrenarzt kann ihr, so ist sie überzeugt, helfen, denn sie zerstört alles und jeden, der ihr begegnet. Wenn sie etwas Negatives eenkt, wird das Gedachte Realität, und sie denkt nur noch negativ – wie auch der Seelenklempner am eigenen Leib erfahren muss.

Torsten Scheibs „Gute Ansätze“ stellt uns einen jungen Mann vor, der in den Suks von Marokko einem Voodoo-Priester ein Buch aus der Haut von Dämonen oder Engeln abgekauft hat, das in der Lage ist, tote Tiere oder deren Reste wieder zum Leben zu erwecken – wie eine ganze Ladung VIPs auf dem Laufsteg zu ihrem grenzenlosen Leid erfahren muss, als sich ihre Pelzmäntel und Krokoschuhe aufmachen, Rache zu üben.

In Arthur Gordon Wolfs „Marlene?“ findet ein Ehemann seine ermordete Frau im Schlafzimmer – und im Spiegel des Schranks den wahnsinnigen Mörder.

Marcus Richters „Ein verflucht gutes Buch“ stellt uns Kaltenstedt, einen jungen Mann, vor, der allein durch Berührung der Buchrücken den Inhalt eines gedruckten Werkes erfassen kann. Doch wer ist er, wo kommt er her und was nur zieht ihn in einem Antiquariat in New England zu einem Buch so besonders hin?

Rainer Innreiters „Emotionslos“ stellt uns einen riesigen, experimentellen Rechner vor. Als im Verlauf mehrerer Jahre verschiedene Menschen in dem Forschungsinstitut sterben, schöpft ein Polizist Verdacht, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zugeht; ein Verdacht, der sich als falsch und doch zutreffend erweist.

In Harald A. Weissens „Eldorado“ begegnen wir einem Mann, der ein Geschäft gemacht hat. Alles was er sich wünscht, eine Frau, ein Kind, ging in Erfüllung. Doch dann hintergeht er seinen Dealer und das Weiß eines abstrakten Bildes bekommt für ihn eine ganz neue Bedeutung.

August Apels „Der Freischütz“, die literarische Vorlage der gleichnamigen Oper von Carl Maria von Weber, schließt den Geschichtenteil ab.

Zwei Artikel aus der Feder des Herausgebers, „A Night at the Opera“ sowie ein Interview mit Tim Svart, beenden das Buch.