Oliver Dierssen: Fausto (Buch)

Oliver Dierssen
Fausto
Heyne, 2011, Hardcover, 446 Seiten, 14,99 EUR, ISBN 978-3-453-26001-6

Von Carsten Kuhr

Was macht man, wenn man knapp 15 Jahre alt ist, in der Schule als Komplettversager gilt, mit einer alleinerziehende, esoterisch-alternativen Mutter geplagt ist und auch noch ständig widerliche Pickel auf seinem Gesicht entdecken muss? Man verzweifelt! Sie meinen jetzt, ich übertreibe, aber versetzen sie sich einmal in meine Haut. Im Gymnasium von den Strebern verachtet, von den Luschen wegen mangelnder Coolness – das heißt, dass ich mich nicht prügele – durch Missachtung gestraft, hänge ich in der letzten Reihe im Klassenzimmer der 9c herum und verstecke mich vor meinen Lehrern. Doch dann, eines Tages, wird alles anders. Ich soll vor versammelter Mannschaft meine Hausaufgabe vorlesen. Doch der Aufsatz, der erstmalig in meiner schulischen Karriere orthographisch fehlerfrei im Heft steht, ist ganz gewiss nicht von mir. Dazu ist er viel zu gut.

Kennen Sie den Spruch vom geschenkten Gaul? Plötzlich sind all meine Hausaufgaben herausragend, ich gelte, natürlich komplett zu unrecht, als hochbegabt. Des Rätsels Lösung findet sich unter meinem Bett. In einer Kiste von Zeitschriften, die meine Mutter von der Altpapiersammlung herangeschleppt hat, schlummerte seit siebenundzwanzig Jahren ein Dämon. Und der ernährt sich von Rechtschreibfehlern, ändert Grammatik und Syntax – ich bin ein gemachter Mann! Mein Taschengeld wird erhöht, ein Fernseher steht auch plötzlich in meinem Zimmer. Nur unser Klassenstreber ist nicht ganz so begeistert von meinem unerwarteten Ruhm. Selbst Canan, die hübsche Türkin von der Schulbank neben mir, lächelt mir zu; was will das Herz mehr. Doch dann schlägt der Streber zurück, alles droht den Bach hinunterzugehen – und dann mischt sich auch noch mein brutaler Banknachbar ein…

Oliver Dierssen kam zwar beim Heyne-Wettbewerb „Schreiben Sie einen magische Bestseller“ nur auf den zweiten Rang, in der Publikumsgunst aber hat er seine Konkurrentin Victoria Schlederer schon hinter sich gelassen – nicht umsonst wurde Dierssens Debütveröffentlichung „Fledermausland“ mit dem Deutschen Phantastik Preis 2010 für das beste Debütwerk ausgezeichnet. Der Grund für den Zuspruch, sowohl aus Verlags- wie aus Leserkreisen, liegt sicherlich auch darin begründet, dass Dierssen in seinem Werk ganz eigene Wege weit abseits der gewohnten, ausgetretenen Pfade geht.

In seinem neuen Roman, der vom Verlag mit einer Hardcover-Ausgabe geedelt wurde, ist dies nicht anders. Statt uns mit sich ständig wiederholenden Questen zu langweilen, die üblichen Fantasy-Völker auftreten zu lassen oder sich der ausgelutschten Jungzauberer und lasziven Vampire zu bedienen, beschreibt uns der Autor erneut, wie das Übernatürliche – dieses Mal in Form eines liebenswerten Bücherdämons – Einzug in die überschaubare Welt eine Gymnasiasten hält. Dabei kann sich jeder Leser in der Haut des pubertierenden Hauptdarstellers wiederfinden. Die Mutter ist nur peinlich, nervt mehr, als dass sie cool ist, die seelische Wunde, die der Vater, der die Familie der Karriere wegen verlassen hat, schmerzt weiterhin, obwohl und gerade weil der Junge sich dies selbst nicht eingestehen will, und die Lover seiner Mutter tragen auch nicht eben zu seinem Seelenfrieden bei. Dazu kommt die Ausgrenzung in der Klasse, die zum einen seinen mangelnden schulischen Leistungen zu verdanken ist, zum anderen aber auch damit zusammenhängt, dass er nie gelernt hat, sich in der Klassengemeinschaft durchzusetzen.

Erst im Verlauf der Handlung reift der Junge zu einer Persönlichkeit, setzt sich mit sich, seinen Problemen, auseinander und macht erste Gehversuche hin zu einer romantischen Beziehung. All dies Nichtphantastische ist so realitätsnah und überzeugend ausgeführt, dass sich ein jeder Leser mühelos in dem Jungen wiederfinden kann. Unwillkürlich schlüpft man in die Rolle des Underdogs, hat Mitleid mit dem Jungen, der trotz seiner schwierigen Situation versucht das Richtige zu machen. Dazu gesellt sich dann als zweite, im Vergleich unwichtigere, Ebene das Phantastische. Der liebenswert gezeichnete Bücherdämon, der eigentlich nichts anderes will als seinem Herren zu dienen, Schreibfehler zu fressen und auszubessern und seinem Meister zu besseren Noten zu verhelfen, entspricht so gar nicht dem gewohnten Bild eines teuflischen Abkömmlings. Stattdessen begegnet uns ein dienstbarer Geist, der voller Elan und guten Absichten tätig wird.

Das ist ungewöhnlich, hat wie das ganze Buch Humor und Esprit und liest sich locker auf einen Rutsch durch.